Nacht über der Prärie. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические приключения
Год издания: 0
isbn: 9783938305607
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Aussagen der beiden Polizisten liegen vor.«

      »Ich habe mich nicht widersetzt. Wenn ich mich widersetze, bin ich mit den beiden Figuren hier in spätestens fünf Sekunden fertig. Davor haben sie vielleicht Angst gehabt, und darum haben sie mich angegriffen, ehe sie überhaupt ein Wort gesagt hatten.«

      »Die gegenteiligen Aussagen der beiden Polizisten liegen vor.«

      »Die Aussagen sind falsch.«

      »Nimm deine Zunge in acht, Joe King. Die Aussagen werden beschworen werden, daran zweifle ich nicht.«

      Die Polizisten nahmen eine zustimmende Haltung ein.

      »Ich frage zum letzten Mal: Wo bist du gewesen, und woher stammt dieses silberne Halskettchen, das man bei dir gefunden hat?«

      »Ich verweigere die Aussage.«

      Der Richter atmete unwillig und wandte sich, um eine Pause auszufüllen, Runzelmann zu. »Was ist?«

      »Die Eltern von Harold Booth sind da und wünschen Sie zu sprechen.«

      »Isaac Booth soll hereinkommen.«

      Runzelmann führte den Rancher in das Präsidentenzimmer, das als vorläufiger Verhandlungsraum einer Voruntersuchung diente. Als Booth Joe King in Handschellen sah, wurde er wesentlich sicherer. Bis dahin hatte er noch etwas gezweifelt, ob es richtig sein könne, einen Joe King zu beschuldigen, wenn man auf einer einsamen Ranch lebte.

      »Sie haben ein Anliegen, Booth?«

      »Mein Sohn Harold ist verschwunden. Er ist seit jener Sturmnacht verschwunden. Am Abend war er noch in der Nähe des Supermarkts gesehen worden, zu der gleichen Zeit wie Joe King. Queenie Halkett kam dazwischen.«

      Der Richter schaute starr auf den Mann, der diese Angaben machte. Dann holte er langsam, als ob es ihm selbst schwerfalle, das silberne Kettchen heraus, das die Polizisten bei Joe Kings Verhaftung beschlagnahmt hatten. Er winkte Booth, näher zu treten, und gab ihm das Kettchen in die Hand.

      »Kennt Ihr diesen Gegenstand?«

      »Ja.« Die von Arbeit zerfurchte, mit harter Haut überzogene Hand zitterte. »Das … das ist … das Kettchen, das mein Sohn … stets … um den Hals trug.«

      Isaac Booth gab das Kettchen an den Richter zurück, mit einer mühsamen Bewegung. Seine Schultern waren vorgesunken. Er hatte beim Richter vorsprechen wollen, aber im Innersten hatte er gehofft, dass sich der Verdacht sofort in nichts auflöse. Er wollte seinen Sohn nicht tot, sondern lebendig wissen. Aber jetzt gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Das Geschwätz enthielt grausige Wahrheit.

      Der Richter fasste Stonehorn fest ins Auge. »Joe King … du hast Harold Booth ermordet.«

      »Nein.«

      »Wo warst du in jener Sturmnacht?«

      »Ich verweigere die Aussage.«

      »Wie bist du in den Besitz dieses Kettchens gekommen?«

      »Ich habe es gefunden.«

      Auf der Stirn des Richters schwoll eine dicke Ader. »Dein Volk schämt sich deiner, Joe King. Wenn du nicht nachweisen kannst, wo du in jener Nacht gewesen bist, und nicht nachweisen kannst, wie du in den Besitz dieses Kettchens kamst, so ist dir das Todesurteil dieses Mal gewiss.«

      Stonehorn schwieg.

      »Sag mir doch wenigstens, du Mörder, wo du meinen toten Sohn gelassen hast!« schrie der alte Rancher. »Sag mir doch das, damit ich ihn in die Erde legen kann und ihn nicht irgendwo die Geier zerhacken!«

      Booth stand an der Seite des Richtertisches. Er konnte Joe King in das Gesicht sehen, das völlig unbeweglich blieb. »Du Bandit und Sohn einer Mörderin …« Booth kannte sich nicht mehr. Er wollte auf den Gefesselten einschlagen. Ein Polizist fing seinen Arm ab.

      Booth keuchte. »Wo ist … seine Leiche?«

      Joe King schwieg.

      »Wo willst du das Kettchen gefunden haben?« Auch der Richter vermochte seine Erregung kaum mehr zu unterdrücken.

      »Ich habe es am Straßenrand im Gras zufällig gefunden, hundertfünfzig Fuß von den Häusern hier entfernt, in Richtung New City. Es machte den Eindruck, dass es dort schon länger lag.«

      »Wie bist du darauf gekommen, dort dieses Kettchen zu suchen?«

      »Ich habe es nicht gesucht. Ich habe es rein zufällig gefunden.«

      »So. Du hast es rein zufällig gefunden. Wann?«

      »Vor einer Woche.«

      »Warum hast du es nicht abgeliefert? Es ist aus Silber.«

      »Das interessierte mich nicht.«

      »Das interessierte dich nicht. Was interessiert dich denn?«

      »Ich verweigere die Aussage.«

      Es trat eine Pause ein. Der Richter hatte ein weißes Blatt vor sich, auf dem schon einige Punkte notiert waren, und vervollständigte jetzt mit eigener Hand diese Protokollunterlagen. Er wollte sich damit zur Ruhe und zur Sachlichkeit zwingen.

      Isaac Booth war auf einem Stuhl zusammengesunken und legte die Hand über die Augen. Runzelmann lehnte an der Tür.

      Straff standen nur die beiden Polizisten und Joe King. Der größere der Polizisten hatte Joe King fest am Arm gepackt, der kleinere hatte die Pistole gezogen, denn beide fürchteten einen Ausbruchsversuch des Angeschuldigten. Er hatte immerhin die Füße frei.

      Joe King schaute auf die Pistole mit einem Ausdruck jener mitleidigen Verachtung, die ihm schon viele Feinde gemacht hatte.

      »Können wir heute vormittag noch etwas tun, um mehr Licht in die Sache zu bringen?« fragte der Richter Runzelmann, der als besonders bewandert in allen Stammesverhältnissen und -wirrnissen galt. Runzelmann beantwortete die Frage nur ungern, aber er tat es.

      »Vielleicht kann Queenie Halkett irgendeinen Hinweis geben. Sie ist an jenem Abend vor dem Supermarkt gesehen worden. Ihr Wagen stand dort.«

      »Das Mädchen weiß überhaupt nichts«, sagte Stonehorn kurz und heftig mit einem feindseligen Blick auf Runzelmann. Der Richter hob langsam den Kopf und schaute Joe King von unten herauf an. »Das war in allen deinen vielen Verhören das erste Mal, dass du voreilig und ungefragt und unklug geantwortet hast, Joe King. – Wir werden Queenie rufen.«

      Der Angeschuldigte kam in die denkbar schlechteste Stimmung, nachdem er sich eine Blöße gegeben hatte. Nichts konnte er weniger ertragen, als verwundbar oder überhaupt in seinen eigenen Augen unvollkommen zu erscheinen. Tashina würde denken, dass er es war, der sie in diese Sache durch irgendwelche Aussagen hineingezogen hatte. Natürlich wurde sie erst getrennt von ihm vernommen. Er konnte ihr keinen Wink geben; er konnte sie von sich aus nichts wissen lassen, gar nichts. Wahrscheinlich spielte sich dann eine Szene ab, in der sie ihn zu verleugnen suchte, oder sie sagte, vom Richter gedrängt, zuviel. Die Polizisten, die Richter, diese Familie Booth würden triumphieren, und Queenie würde zu leiden haben. Stonehorn war nahe daran, wirklich einen verrückten Ausbruchsversuch zu wagen, um die Vernehmung von Queenie noch abzuwehren.

      Aber er sagte sich, dass auch dieser Weg nicht mehr gangbar war, denn die Zeugin Queenie wurde durch einen solchen Vorgang nicht weniger interessant.

      Der Richter ließ Stonehorn abführen. Er wurde in die Zelle mit vergittertem Fenster gebracht, die gleich neben dem Gerichtshaus zu dem primitiven Polizeigefängnis gehörte.

      Stonehorn kannte die Zelle schon lange und zur Genüge. Er ließ sich auf dem Hocker nieder. Seine Hände blieben gefesselt. Dauernd schaute bald der eine, bald der andere Polizist prüfend durch den Spion an der Tür.

      Unterdessen war Runzelmann beauftragt worden, Queenie unauffällig herbeizuschaffen. Der Richter wollte der Familie Halkett und dem Mädchen selbst möglichst alle Schande ersparen. Wenn ein Name überhaupt im Zusammenhang mit Joe King ins Gerede kam, gleich, aus welchem Grunde, so schien er beschmutzt. Der alte Richter bereute schon fast, dass