Müde und satt lehnten sich die Eselreiter mit ihren Rücken gegen die Felswände.
Unterdessen wurde Jisah unruhig. Die Hyänen würden ihr Versteck bald aufgespürt haben.
Jisah hatte seine Sorge Winter gegenüber gerade ausgesprochen, als ein spitzer Hornstoß ertönte. Kurz darauf durchriss ein weiteres Warnsignal die Luft. Der Fidelspieler hielt inne. Stille breitete sich in der Höhle aus. Die Eselreiter lauschten aufmerksam. Jisah griff unter sein Hemd, um nach der Feder zu fühlen. Er hob seinen Kragen und blickte darunter. Sie leuchtete in einem matten silbernen Licht. Er blinzelte. Das Leuchten war noch da. Verwundert schüttelte Jisah den Kopf. Vorne in der Höhle brach Aufregung aus. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Zwei weitere Hornstöße schallten aus der Ferne in die Höhle hinein. Die Eselreiter sprangen auf. Nur Sekunden später vernahm Jisah lautes Hufgetrappel. Ein junger Eselreiter erreichte den Eingang der Höhle. Jisah sah seine Silhouette. Es war ein Junge, etwa so alt wie er selbst. Noch bevor die Beine seines Reittieres völlig still standen, sprang er ab. Atemlos keuchend schlitterte er in die Höhle hinein.
„Sie sind direkt hinter mir!“, stieß er aus. „Hyänen! Eine ganze Meute“, fuhr er keuchend fort.
Hektisch sprangen die Schmuggler auf. Becher fielen scheppernd zu Boden. Einer der Schmuggler begann eilig, mit seinen schweren Stiefeln das Feuer auszutreten.
In diesem Augenblick verließen Winter und Jisah ihre Deckung. Sie traten aus dem Versteck hervor. Sofort waren alle Blicke auf sie gerichtet. Stille breitete sich aus. Dann schnellten die Köpfe zurück zum Eingang, wo der kleine Junge, noch immer völlig außer Atem, an seinen Esel gelehnt stand. Winter reckte seinen Kopf und sprach leise, aber bestimmt: „Sie jagen nicht euch. Sondern uns!“
Ohne genau zu wissen, was er tat, griff Jisah unter sein Hemd und zog die Feder hervor. Ihr silberner Schein erleuchtete die gesamte Höhle.
Die Stille war greifbar. Jisah stand nur da. Alleine neben Winter. Die Feder in der linken Hand. Alle Blicke waren auf ihn und auf die Feder gerichtet.
DER KNOCHENSAMMLER
Zögernd folgten Wald und Pepe, immer noch völlig außer Atem, der gekrümmten Gestalt ihres bleichen Führers. Pepe bemerkte, dass dieser humpelte. Schwer stützte sich der Höhlenbewohner auf einen langen Stab. Mit einem dumpfen Dröhnen setzte er ihn Schritt für Schritt neben sich auf. In der linken Hand hielt er eine funzelige Grubenlampe. Als Pepe den Stab im Zwielicht der Lampe genauer betrachtete, fiel ihm auf, dass er nicht aus Holz, sondern aus einem sehr großen, sehr alten Knochen zu sein schien.
„Was ist das für ein Mensch?“, flüsterte Pepe Wald atemlos ins Ohr.
Völlig erschöpft lehnte er sich gegen die kalte Höhlenwand. Wald rang nach Atem und keuchte: „Ein Knochensammler.“
„Oh, Sie sprechen über mich?“ Der Knochensammler drehte sich um. „Ich habe mich nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir. Ich bedauere es zutiefst. Entschuldigen Sie bitte, hohe Herren. Ich meine fast, auch Sie hätten es ein klein wenig eilig gehabt. Wie auch immer.“ Er wischte mit seiner Hand durch die Luft und die Grubenlampe flackerte. „Mein Name ist Geiswind. Geiswind, der Knochensammler.“
Pepe warf einen fragenden Blick in Walds sorgenvolles Gesicht.
Der Knochensammler umklammerte seinen Knochen und senkte den Kopf. „Ja, ja“, murmelte er halblaut, „die feinen Herren halten nicht viel von unsereins. Ja, ja. Es muss wohl so sein.“ Er schüttelte seinen Kopf und Pepe befürchtete beinahe, dass ihm dieser vom Hals fallen würde. Die Haut des Alten war fast durchsichtig, dünn und zerknittert. Nur über seinen hohen Wangenknochen spannte sie sich. Sein graues Haar war von verblassten roten Strähnen durchzogen. Es fiel ihm bis über die Schultern und rahmte einen Bart ein, der, struppig wie ein Sanddornbusch, über sein Gesicht wucherte. Er war nur wenig größer als Pepe und seine ganze Gestalt wirkte eingesackt. Vielleicht ist er einmal ein stolzer Mann gewesen?, dachte Pepe und betrachtete Geiswinds langen dunklen Mantel.
„Wir müssen weiter. Geht dicht hinter mir“, sagte der Knochensammler mit seiner trockenen Stimme und wandte sich zum Gehen.
„Halt! Wohin führst du uns, Mann?“, unterbrach Wald seinen Gang.
Geiswind drehte sich erneut um. Wald blickte ihm direkt in die Augen.
„Dieser Stollen wurde in den uralten Zeiten von Zwergen gegraben.“ Er hielt inne, um sich eine rote Strähne aus dem Gesicht zu wischen. „Auf der Suche nach Eisenerz trieben sie ihre Schächte durch das halbe Brachtland. Das Felsenmeer verdankt seinen Ursprung diesen alten Stollen. Sie wurden marode, stürzten ein und verwandelten die Landschaft.“
Wald verzog misstrauisch das Gesicht.
„Keine Sorge“, antwortete der Knochensammler. „Dieser Bereich ist stabil.“ Wie zur Bestätigung stieß er seinen Knochen hart auf den steinernen Boden. Ein dumpfes Dröhnen hallte durch den unterirdischen Gang. Dann streckte Geiswind seinen Arm aus und leuchtete mit der Grubenlampe in die Tiefe des Stollens. Pepe sah nur Schwärze. Der Knochensammler fuhr fort: „Etwa zwei Stunden strammen Fußmarsches weiter vorne gibt es eine Steige. Sie führt zu einem unterirdischen Seitenarm der Bracht. Dort könnt ihr mein altes Floß nutzen und zum Hauptfluss zurückgelangen …“
Wald ging einen schnellen Schritt auf Geiswind zu. „Wieso sollten wir dir trauen?“, unterbrach er den Alten unwirsch.
Geiswind senkte den Kopf. Wie ein Zischen schoss es aus seinem faltigen Mund: „Ich kann euch gerne wieder die Tür nach draußen öffnen. Entscheidet euch.“
In den Augen des Knochensammlers blitzte ein Funkeln auf, das Pepe nicht deuten konnte. So sehr er sich anstrengte, er konnte in der Tiefe dieser schwarzen Seele nichts lesen.
„Ich warne dich!“, knurrte Wald. „Führ uns durch den Berg! Und keine Fallen! Verstanden? Wir brauchen unsere Knochen noch!“
Die Wände der Schächte blieben so eng wie zu Beginn. Wald schienen seine sechs Läufe in dieser Umgebung eher hinderlich als dienlich zu sein. Seine Laune verschlechterte sich zusehends. In stummem Marsch gingen sie hintereinanderher. Die Lampe des Knochensammlers hatte von Anfang an nur dämmrig geleuchtet und nach knapp einer Stunde schien ihr Licht langsam zu erlöschen.
„Es ist gleich so weit“, krächzte Geiswind. Als die eiserne Grubenlampe zu flackern anfing, blieb er stehen, wandte sich nach rechts und kramte in seinem Mantel. Mit einem rostigen Schlüssel schloss er eine kleine hölzerne Tür auf, die sich knarrend öffnete. Der Knochensammler trat einen Schritt zur Seite und ließ Pepe und Wald im letzten Flackern der Lampe eintreten. Dann herrschte Dunkelheit. Sie hörten Geiswind schnarren und scharren und kurz darauf erleuchteten drei Öllampen den Raum.
Pepe blickte um sich und entdeckte eine beeindruckende Knochensammlung. Da standen mehrere Wiesendschädel an die Wände gelehnt und daneben riesige Oberschenkelknochen der längst ausgestorbenen Waldschrate. Auf einem hölzernen Schemel lag der flache Schädel eines Nebelparders neben dem gedrungenen Schädel eines Brillenbärs. Körbe voller Ellenbogen und kleine Schälchen mit Haifischzähnen bedeckten den Boden des Raumes. Hühnerknochen hingen, an Schnüren aufgereiht, unter der Decke und Töpfe voller Knochenstaub und Knorpelasche reihten sich ringsum auf den Regalen.
Während die beiden Gefährten sich erschöpft setzten, entzündete der Knochensammler ein kleines Kohlenfeuer. Er nahm einen leeren eisernen Topf aus einem der unzähligen Regale und füllte ihn mit Vogelknochen, die er von der Decke klaubte. Dann goss er kristallklares