Ein kurzer Tritt aufs Gas, dann bremste er den purblauen Porsche 911 Speedster scharf ab, direkt vor der Metallschranke und der installierten Kamera, mit deren Hilfe er neugierige Touristen vor dem Betreten seines Anwesens hoch über dem Tegernsee abzuschrecken hoffte. Er schob die Ray Ban auf das soeben nach der Dusche im Golfclub frisch gegelte, noch feucht glänzende Haar und blinzelte Richtung Hauseingang. Den beiden Polizeiautos vor seinem Haus musste der Gärtner die Schranke geöffnet haben. Natascha weilte noch vier Tage in Mailand zur privaten Modemesse Angelo Sabatonis. Natascha, der Gärtner und er selbst, nur sie drei besaßen eine Fernbedienung für die Schranke.
„Scheiße, warum hat der Patermann mir das nicht gesagt? Wenigstens ’ne SMS hätte er mir doch schreiben können! Na supi-dupi. Da gönnst du dir nach dieser verdammt anstrengenden Show eine Golf-Runde und freust dich auf deine Masseuse Mai-Lin! Ein halbes Stündchen Relax-Massage! Du freust dich auf den Besuch von Vögelchen, mit der ganz andere körperliche Berührungen angedacht sind! Du freust dich auf ein bisschen Ablenkung! Und jetzt empfängt dich hier eine Hundertschaft der Polizei. Was soll das? So eine Scheiße!“
Er war wütend auf den Gärtner, der immer nicht da war, wenn es drauf ankam. Wie damals, beim Überfall dieser maskierten Bande. Oder der ihm wichtige Informationen vorenthielt wie jetzt. Sein Haus, von Bullen heimgesucht. Und Patermann? Schweigt. Auf BR3 lief Killing me softly with his song. Jäh erstarben die Stimmen der Fugees, als er den Zündschlüssel zog. Erst jetzt hörte er Geräusche. Tritte auf Kies, die sich ihm näherten. Ein schneller Blick in den Rückspiegel, und er sah: Auch hinter ihm stand ein Polizeiauto, aus dem zwei Beamte entstiegen waren.
„Hey, Leute, was ist denn hier los? Welche verpissten Idioten sind da wieder bei mir eingebrochen?“
Die Stimme, leicht überschlagend, mit einem Hauch Nervosität. Die Polizeibeamten ignorierten die Worte.
„Herr Dollmann?“
Was sollte diese Frage? Wollten die ihn auf den Arm nehmen? Er zählte zu den bekanntesten Leuten im Land. Dutzende Zeitschriften zeigten sein Konterfei Woche für Woche auf den Titelblättern. Dollmann war gut für Skandale, verfügte über lockere und freche Sprüche, führte jedes Jahr eine neue Gespielin über die roten Teppiche der Galas, Fernsehpreisverleihungen und Opernbälle. Er war Hauptjuror und Moderator von Einer ist der Doofste, einer der beliebtesten Shows im deutschen Fernsehen. Keine Minute, in der ihn nicht jemand auf der Straße ansprach. Und nun wollte dieser Bulle allen Ernstes wissen, ob er Herr Dollmann sei?
„Herr Dollmann, Dietrich Dollmann?“
Dietrich, dieses Beamtenhirn! Nicht mal seine Mutter hatte ihn so genannt. Ganz Deutschland, alle kannten ihn als Didi Dollmann.
„Was soll der Scheiß? Didi Dollmann, ja, der bin ich!“
„Dann kommen Sie bitte mit, Herr Dollmann.“
Die beiden Beamten nahmen ihn in die Mitte, wiesen ihm mit einer Handbewegung die Richtung und gingen zum breiten Treppenaufgang aus Carrara-Marmor. Sissi, die Angorakatze, strich mit ihrem seidig-weißen Fell um Dollmanns Beine und schaute ihn aus ihren Mandelaugen treuherzig an.
Ein mulmiges Gefühl stieg in ihm hoch, als er sah, wie Zivilbeamte Leitz-Ordner in grünen Kisten und seinen Laptop aus dem Haus trugen. Durch das Küchenfenster erkannte er Kripomitarbeiter in weißen Overalls, die verschiedene Ablagen und Gegenstände einpinselten. War da was mit Patermann passiert? Hatten die Einbrecher ihn etwa tätlich angegriffen? Patermann war doch nicht …
„Verdammt noch mal, was ist denn hier los? Was macht ihr hier alle in meinem Haus?“
Auf der Treppe erschien ein spindeldürrer Riese mit faltigem Gesicht und einem auffallend großen Kehlkopf. Die ganze Erscheinung erinnerte an einen Truthahn.
„Herr Dollmann?“
Nicht schon wieder. Sind das hier alles Marsmenschen? Oder wollen die mich provozieren?
„Huber ist mein Name. Kriminaloberrat der Bayerischen Bereitschaftspolizei. Sie sind vorläufig festgenommen als dringend Tatverdächtiger.“
„Eh, euch geht’s wohl nicht gut! Ich zahl meine Steuern! Könnt ihr meinen Steuerberater anrufen! Und das Finanzamt. Die Hälfte meiner Kohle fließt an den Staat. Damit werden eure Gehälter gezahlt. Hej, was soll das hier? Ich bin voriges Jahr selbst überfallen worden! Ich bin Opfer und nicht Täter. Das ist doch völlig bescheuert, die Nummer, die ihr hier abzieht!“
Der Kriminalbeamte hörte sich die Suada an und fuhr dann unbeeindruckt fort:
„Ihnen wird vorgeworfen, am vergangenen Donnerstag gegen 22.00 Uhr Frau Natascha Nowikow hier in diesem Haus vergewaltigt zu haben. Sie können jetzt Ihren Anwalt anrufen. Wenn Sie damit fertig sind, bringen wir Sie in die Untersuchungshaft nach München.“
„Ihr seid wohl wahnsinnig? Was wird mit Mai-Lin? Was mit Vögelchen? Was sagt ihr da? Vergewaltigung? Natascha? Ihr seid doch verrückt.“
Er zückte sein Handy. Nervös durchblätterte er sein Telefonbuch. Irina, Iris, Istel-Bergewitz.
„Hallo, ich muss Klaus-Dieter, ähm, Rechtsanwalt
Dr. Istel-Bergewitz sprechen ––– JA, SOFORT. ES IST SEHR DRINGEND.“
Sissi maunzte zu ihm hoch. Im Garten warf Patermann die Heckenschere an.
„He, hallo, Patermann!“ Der Gärtner hörte das Brüllen nicht. Dollmann ging zwei bestimmende Schritte Richtung Garten, dann stellte sich ihm der Truthahn in den Weg.
„Ich muss dem Deppen doch sagen, dass er sich um die Katze kümmert!“
„Wir werden es ihm mitteilen, Herr Dollmann.“
Ganz in der Ferne war ein Donnern zu hören. Der Himmel zog sich mit Wolken zu wie ein schwarzer Vorhang. Kaum hatte er das Verdeck seines Speedsters geschlossen, geleiteten ihn der Truthahn und ein weiterer Beamter zu einem der Polizeiautos und schoben ihn leicht auf die Rückbank. Bilder vom letzten Donnerstag schossen ihm durch den Kopf. Er und Natascha. Sie hatten gestritten, ja, wie so oft in der letzten Zeit. Sie hatte ihn verdächtigt, neben ihr noch andere Frauen zu haben. Aber dann hatten sie sich geliebt. Mit ihrer beider Vorliebe für Bondagespiele. Handschellen, Seile, Korsett. Das gab ihnen den Kick. Ihnen beiden! Da ging es auch mal härter zur Sache. Am Donnerstag war er nicht zimperlich gewesen. Er ihr Zuchtmeister, der sie ans Bett fesselt. Klar hatte er sich auch etwas an ihr abreagiert. Sie hatte es gewagt, seinen Lebensstil anzugreifen, ihm seine Freiheit nicht zuzugestehen. Das verlangte nach Genugtuung. Mit Bondage ging das hervorragend. Spielerisches Abarbeiten von Konflikten. Das war doch ihre stille Verabredung. Hatte sie nicht auch alle Freiheiten? Wusste er, was sie mit Angelo Sabatoni in den Hotels der Modemetropolen dieser Welt so trieb? Es war doch ein Geben und Nehmen und sie waren beide keine Klosterschwestern. Mann, was sollte die Scheiße hier? Morgen waren doch alle Zeitungen voll, wenn das rauskam. Wenn das sich nicht ganz schnell auflöste, war er erledigt. Er musste unbedingt mit Natascha sprechen. Er kannte ihren wunden Punkt. Den würde er ausnutzen, gnadenlos. Was hatte er noch zu verlieren?
II
„Da hätte ich eine Stelle für Sie auf der NOFRETETE!“
Alles am Sachbearbeiter Heinz Schmidt wirkte verlebt: Das beige C&A-Sakko mit Lederbesatz an den Ellenbogen, verbeult und nichtssagend, das verwaschene T-Shirt, die eingefallenen Wangen, der ungepflegte Oberlippenbart. Vor und nach dem politischen Umbruch von 1989 war er fünfundzwanzig Jahre lang als Angestellter der Stadt Suhl zuständig für das Texten von Verbotsschildern. Bei einer routinemäßigen Überprüfung seines Dienstcomputers vor ein paar Jahren fanden sich zahlreiche Webseiten deutscher Eheanbahnungsinstitute sowie Korrespondenzen zwischen blutjungen Thailänderinnen und dem deutschen Stadtbediensteten Heinz Schmidt, die nur schwerlich mit der Recherche zu Verbotstexten auf städtischen Schildern in Einklang zu bringen waren. Er musste gehen. Über viele Umschulungen verschlug es Heinz Schmidt für die letzten drei Jahre vor der Rente in die Suhler Arbeitsagentur.
Fahrig huschte er jetzt die Computermaus hin und