Noch müde, gerade der Nacht entsprungen, in den Knochen noch halb taub, ungewaschen, nur die Augen leicht mit Wasser gespült, halb angezogen, stolperte ich über den Stuhl in der Küche. Meine Hände konnten gerade noch die Tür umklammern und den Sturz abdämpfen. Ein Glück!
Auf der Straße führte Prinz seinen morgendlichen Tanz auf. Jedem Baum schnüffelte er mit der Nase am Boden entgegen. Er las die Zeitung seiner Hunde Welt: neue Spuren, andere neue Markierungen, wer seid ihr.
Am Kiosk holten wir eine Zeitung. Der Mann hinter dem Tresen nuschelte ein „Juten Morgen“, mehr nicht. Viel redete ich nie mit ihm, manchmal ein paar Worte mehr, wenn ich meinen Lottogewinn abholte. Dann sagte er: „Soll ick et verrechnen?“ Und meine Worte waren, außer einem kurzen „ja“, auch nicht viel mehr.
Draußen hörte ich meine innere Stimme: He, Markus, der will mit dir nicht reden! Na und? Ist mir doch egal! Es ist Sonntag und mir geht es mit meinem Freund gut! Der Winter ist vorbei, ein langer und harter noch dazu, wir haben ihn überstanden, dachte ich.
Der Tag war so richtig etwas für meine Seele. Am Teich in der Morgensonne fühlte ich mich wohl. Meine Augen gingen neugierig umher, sahen Schwäne mit einer kleinen Bugwelle durch den Teich paddeln, ein paar Erpel stritten sich um ein Entenweibchen.
Im Haus gegenüber im zweiten Stock öffnete meine alte Dame Erika gerade die Fenster, der Duft des Morgens zog an ihr vorbei, die Gardinen flatterten, legten sich mächtig ins Zeug. Komisch, hier unten am Teich spürte ich nichts davon. Plötzlich meldete sich mein Magen, tanzte Boogie-Woogie und knurrte wie im Kampf – Hunger!
„Prinz, komm jetzt!“
Wir machten uns auf den Weg. Im Treppenhaus hörten wir leise Musik. Oben angekommen, machte ich mich erst einmal daran, meinem Freund Futter zu geben.
Ich bin auch noch da, rief er in mir. Na, klar doch, aber erst ab in die Dusche, mir ist kalt. Schnell noch Kaffee aufgesetzt! Der Kessel summte seine Melodie.
Ein Brausen am Morgen im nassen Element, stehend im Wellenbad der Gefühle! „Heiß und kalt im Wechsel der Zeit geschafft“, blicke ich in den Spiegel, noch mit einem leichten Hauch Duschnebel behangen, Tropfen rannen dem Boden entgegen. Hier sah ich mich selbst in meiner Verschwommenheit. Meine Hände befühlten meinen Bart.
Rasieren? Nein, morgen, Markus, ich habe Hunger jetzt! Na gut, dann eben nicht.
Nach einer Tasse Kaffee und einer Scheibe Schwarzbrot mit einem Becher Quark war mein Hunger schon so gut wie gestillt. Noch ein Apfel und ich hatte genug. Müdigkeit machte sich in mir breit, ein Blick auf die Uhr: dreiviertel acht. Ja, wenn man einen Freund wie Prinz hat, vergeht die Zeit eben anders!
Ich machte mir ein Zwischenlager fertig. Beim Lesen eines Berichts aus Lateinamerika fiel mir die Lektüre aus der Hand. Schlaf, Markus, schlaf!, hörte ich wie ein Echo meine innere Stimme, ruh dich aus, deine Kraft braucht dich noch!
Im Schlaf erwachten die Erinnerungen. Sie führten mich wie auf einem vorbestimmten Weg in die Welt des anderen Lebens. Es begann wieder der Kampf mit den anderen. Wellen schlugen hoch über mir zusammen, Stürme und Donner peitschten meine Seele. Ich rief mich, aber ich war nicht da. Da und dort sah ich meinen Freund Prinz, wie er von Wellen erfasst wurde. Er trieb in den Zeiten des Jetzt, des Gewesenen dahin.
Schweißnass, hustend und mit Krämpfen stürzte ich von einem Grauen ins nächste. In mir wollte die Lunge alles ausstoßen, was ich nicht brauchte. Mein Herz kämpfte wie ein Schiff in einem Sturm auf dem Meer. Es ließ mich nicht los. Was war es, was mich trieb? Wer zeigte mir dieses Leben, das ich nicht kannte? Leidend in den Zuckungen des Jetzt, die Lebenskraft gemindert, versank ich in Tiefschlaf.
Es war schon tiefe Nacht, halb eins, als ich wieder ins Leben zurückfand. Ich hatte den ganzen Tag geschlafen! Prinz lag am Fußende. Als ich ihn mir so betrachtete, war er noch auf einer Reise: Seine Pfoten rannten um die Wette.
Mit den Füßen wieder auf dem Boden der Tatsachen, machte ich mich daran, den Abendspaziergang mit meinem Freund vorzubereiten. Prinz lugte aus müden Augen herüber.
„Los, komm schon!“, rief ich.
Mit einem Satz sprang er aus dem Bett und rannte zur Tür. Er hatte es gut: Seine Garderobe war immer dabei! Treppab ging es der Nacht entgegen.
*
Am nächsten Morgen gab ich Prinz, wie immer während der Woche, bei meinem alten Freund Heinz ab. Manchmal dachte ich schon: He, gib mir meinen Hund zurück, das ist meiner! Aber nein, im Ernst: Ich durfte stolz sein auf meinen hilfsbereiten Nachbarn. In die Firma durfte ich ja nicht mehr mit dem Kleinen; Jansen hatte mit Kündigung gedroht.
Der Bus hatte drei Minuten Verspätung. Die U-Bahn war an diesem Morgen nicht so voll, ich fand einen Platz. Meine Blicke erfassten ein junges Paar beim Turteln, schön wie am Teich am Sonntag dachte ich, hm.
Der Weg war lang, aber gewohnt. Trübsal und Gedankenspiel mit Markus gab es heute erstaunlicherweise kaum, ich versuchte es mehrfach, aber mein Ich war noch nicht in Form.
Im Büro war alles wie immer, ich warf meine Sachen auf den Kleiderständer.
„Mein Alter, wie geht es dir?“
Eine Antwort bekam ich nicht von meinem Sessel, er wartete geduldig auf mich. Ohne ein weiteres Wort ließ ich mich in ihn fallen. Knarrendes Geräusch des Leders und ein Ächzen des Gestelles entlockten meinem Sitzkameraden doch noch eine Antwort.
Gedankenverloren tat ich nicht viel, spielte an meiner Aktentasche herum, roch das alte Leder, den Geruch der Gegenwart und des Vergänglichen. Dann öffneten meine Finger endlich den Verschluss der Tasche.
Die Akte Petach lag in einem vergilbten Aktenordner ganz vorn. Dies hier also war mein Leben: Trüffelspüren am Tag, sein Zeichen der anderen Vergangenheit spielten mit meinen Fingern, den Seitenzahlen tackt gebend, welche es wenige gab, sie spielten offenbar keine eklatante Rolle in den Räumen des Lebens …
Markus? Ja? Komm jetzt zurück! Der Termin Tagesbesprechung drohte. Ich machte mich auf den Weg. Ralf war auch wieder vom Lehrgang zurück.
*
Der Besprechungsraum. Jansen wippte mit seinen Füßen dem Wellengang der Nordsee nach. Er war ruhelos. Dann ging es los: Frage- und Antwortspiel, wie eh und je. Heute erfassten seine Blicke nicht mich, sondern einen blonden jungen Mann, erst seit zwei Wochen im Dienst. „Herr Zerner, sie kommen wohl noch aus der Zeit der Schreiberlinge?“
Der junge Mann errötete. Jansen, hörte ich mich innerlich rufen, halt deine Schnauze, alter Sack, lass den jungen Mann zufrieden!
Jansen aber drehte weiter auf: „Zerner, sie schmeißen mir einen handgeschriebenen Vorgang auf den Tisch, was soll ich damit anfangen? Haben Sie keinen PC, keinen Drucker?“
Kleinlaut hörte ich ihn „doch“ antworten. Armer Junge, dachte ich.
„Jansen hat eine unheilbare Bewusstseinsspaltung“, hörte ich Ralf mir ins Ohr flüstern.
„Meinst du?“
„Na klar, so wie der sich aufspielt. Sein Job ist seine Spielwiese!“
„Was hat er, was wir nicht haben?“
„Wir haben keinen Hausdrachen der Tyrannei zu ertragen!“
Ralf und ich konnten uns das Prusten nicht verkneifen. Unser Lachen erfüllte den Raum, Tränen wollten mit im Spiel sein. Da hörten wir Jansens lauter werdende Stimme und auch die Kollegen mahnten besorgt zur Ruhe. Jansen stand mit Zornesfalten vorn. Oh Mann, wenn Blicke töten könnten!
„Kann ich nach der Lachübung der beiden Herren jetzt wohl in meiner Unterredung fortfahren?“
Nach zehn Minuten war der Spuk endlich vorbei.
*
Wir wanderten die Flure entlang, unseren Büros entgegen. Auf zu neuem Tatendrang! Normalerweise hätte Jansen uns zusammengeschissen – heute nicht, komisch.