*
Am anderen Morgen, als ich meine Augen öffnete, stand Prinz mit seiner feuchten Schnauze am Bett. Als er merkte, dass ich wach wurde, sprang er am Bett hoch, als wollte er sagen: Raus hier, genug geschlafen!
Müde und unausgeschlafen begrüßte ich meinen neuen Freund. Schwankend betrat ich den neuen Tag, tollte mit ihm durch die Wohnung. Laut bellend raste er hinter mir her.
„So, Kleiner, erst mal Pause!“
Ich machte mir einen Tee und verrichtete meine morgendliche Körperpflege. An Essen war noch nicht zu denken, mir war schlecht.
Leise versuchte ich, das Haus allein zu verlassen. Natürlich klappte es nicht: Prinz raste die Treppe runter, dabei sah ich es schon kommen: Seine Krallen versuchten, sich in den Boden zu verkrallen, aber er hatte keine Chance, der Boden wurde von unserer Hauswartsfrau zu gut gebohnert. Prinz purzelte die Treppe runter, ich hörte ihn quieken. Er rappelte sich wieder auf. Jetzt bewegte er sich bedächtiger.
Vor dem Haus Eiseskälte. Prinz stürzte sich in den erstbesten Schneehaufen und forderte mich auf, bei seinem wilden Treiben mitzumachen. Natürlich hatte ich keine Lust, mich am frühen Morgen in einen Schneehaufen zu werfen. Wir gingen die Straße entlang, alles lag noch in stillem Frieden. Ich jagte Prinz mit Schneebällen durch den nahen Park.
„Markus, hörte ich seine, diese bestimmenden Worte, ab nach Hause, deine Füße sind kalt und dein Hunger ist auch nicht ohne!“
Wir machten uns auf den Weg zurück. An der Haustür begegnete uns Heinz Grahn. Erst bemerkte er meinen Hund nicht – als wir allerdings beide im Hausflur waren, spürte er, dass etwas an seinem Hosenbein zupfte. Heinz musste lachen, als er meinen Kleinen sah.
„Mann, wo kommt der denn her? Markus, wie bist du denn auf den Hund gekommen?“
Ich musste innerlich lachen. „Tja, Heinz, eine lange Geschichte.“
*
In den nächsten Tagen wurde unsere Wohnung zur WG. Alle meine Nachbarn wollten Prinz sehen! Hier war es, das Leben im Einklang, das ich mir so wünschte. Nach einigen Tagen normalisierte sich unsere Hausgemeinschaft leider wieder.
Die Tage vergingen; das neue Jahr begann mit Alltag. In der letzten Nacht meiner Freiheit beschlich mich eine seltsame Beklemmung. „Was wollt Ihr von mir?“ In mir sollte sich etwas breit machen, das ich noch nicht kannte. Was es war, wusste ich nicht. Nur spüren konnte ich es. Ich versuchte, meine Gedanken noch ein wenig auf Schlaf zu stellen und mich zu lösen. Ich war angekommen in meiner zweiten Lebenswelt.
Am Morgen machte ich mich auf den Weg zur Arbeit. Alles normal, kein Schneesturm. In der U-Bahn benahm Prinz sich, als wenn er hier zu Hause wäre. Komisch, dachte ich, machte mir aber keine Gedanken darüber. Gelassen schaute sich Prinz die Menschen an, bei einigen verharrte er länger. Manchmal, wenn er die Leute betrachtete, wedelte er leicht mit dem Stummelschwanz, als würde er in ihre Seele schauen und die Guten und weniger Guten erkennen. Welch eine Gabe, dachte ich versunken.
In meinem Inneren merkte ich nicht, wie sich jemand neben mich setzte. Ich hörte ein leises Knurren, augenblicklich erwachte ich. Prinz fixierte mit seinem feinen Gespür einen Mann. Neben mir, oh Schreck, hat sich, dieser aus der Vergangenheit über Kopf lesende Fette niedergelassen! Seine stahlgrauen Augen taxierten mich.
Gott sei Dank mussten wir umsteigen. Wir rannten den Bahnsteig entlang, um den Anschlusszug zu erreichen. So schafften wir in kurzer Zeit den Weg zum Büro.
Hier gab es erst einmal ein großes Hallo. Wir wünschten uns alle ein neues Jahr. Prinz stand natürlich im Mittelpunkt. Er genoss es. Allen musste er Hallo sagen – außer Jansen. Ich sah in seinen Augen Missgunst. Er wollte nicht eine gute, freundschaftliche Atmosphäre – nein, er wollte der Boss sein, ignorant gegenüber dem Normalen, Zwischenmenschlichen. Der Tag konnte nicht gut werden. Scheiße, nicht schon am ersten Tag!
Ich vermisste meinen alten Freund Ralf, hörte, er sei mit Fieber zu Hause geblieben.
Im Büro entledigte ich mich erst einmal meiner Winterklamotten. Am Schreibtisch ordnete ich meine Unterlagen. Prinz legte sich unter meinen Tisch und döste.
Es klopft. Ich rief: „Herein!“ Ich wollte meinen Augen nicht trauen: Jansen stand im Raum an meiner Bürotür! Ich spürte Unheil aufziehen. Seine Augen flackerten nervös und seine Mundwinkel hingen herab wie bei einem Boxer, der sich nach einem Niederschlag aufrappelt.
Ich hörte ihn schwer atmen. „Herr Blume, welche Frechheiten erlauben sie sich eigentlich noch? Erst kommen sie nicht zur Weihnachtsfeier, dann melden sie sich einfach krank und jetzt schleppen sie mir auch noch diesen Köter ins Büro! Es reicht mir mit Ihnen, Blume!“ Seine Gesichtshaut verfärbte sich bläulich.
Ich dachte, er fällt um – sicher sein Herz. Ich merkte: Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu. Prinz lag immer noch unter dem Bürotisch. Ich sah, wie er Jansen fixierte. Markus, hörte ich meine innere Stimme, Mach was, sag was, du musst jetzt die Initiative übernehmen!
Ich sprang auf. „Was ist bloß mit Ihnen los, Herr Jansen? Sie kommen einfach in mein Büro und machen mich am ersten Tag hier fertig? Eine verdammte Sauerei ist das!“
Jansens Gesichtshaut verfärbte sich erneut; aus dem Blauton wurde ein schönes tiefes Rot. Er schnappte nach Luft, gleichzeitig fing er an, zu stottern: „Herr Blu-hume, Herr Blu-hume, nicht in diesem Ton mit mir, ha-haben sie mich verstanden!!“
Ich nickte, drehte mich um und ließ mich auf den Bürostuhl fallen. Ruhig, Markus, ruhig, lass den Arsch, ist doch nicht deine Art, dich wegen diesem Blödmann aufzuregen! Ach ja, stimmt, du hast auch recht, was soll’s …
Ich lächelte Jansen an. „Was nun, Herr Jansen?“, fragte ich.
„Was nun, was nun“, quatschte er mir nach, „morgen ist der Köter nicht mehr hier, ist das klar? Oder sie können gleich mit zu Hause bleiben!“
Ich lächelte immer noch. „Aber Herr Jansen, soll ich vielleicht Ihre Worte so zu verstehen wissen: Komme ich morgen noch mal mit meinen Begleiter (wohlweislich nahm ich den Begriff Hund nicht in den Mund), dann schmeißen sie mich raus?“
Jansen schaute mich grimmig an. „Worauf sie Gift nehmen können, Blume! Und einmal raus ist immer raus! Haben wir uns verstanden, mein Freund?“ Türenknallend verließ er mein Büro.
Markus, durchatmen, Fenster auf, lass die negativ geladene Luft entweichen! Mein Kleiner stand neben mir, als würde er mich auffordern, an positive Dinge zu denken.
Na, Lust auf Arbeit? fragte ich mich. Ich hörte mich antworten: Die kannst du für heute ja wohl vergessen! Dabei musste ich so laut lachen, dass einige Kollegen ins Zimmer stürmten und mich verwundert anschauten.
„Markus, alles in Ordnung?“
„Ja“, lachte ich, „alles im grünen Bereich!“ Auf die Attacken Jansens hatten sie überhaupt nicht reagiert. Ja, wie traurig hat sich hier alles zur „Normalität“ entwickelt!
*
Ich fühlte mich gut. Mein Kleiner schlummerte unter dem Tisch, meine Tasche lag noch immer verschlossen vor mir. Mutig zog ich sie an mich, spürte das alte Leder in meinen Händen. Ich wollte sie nicht mehr loslassen. Ach, die vielen Jahre, die sie mit mir meine Wege gegangen ist und mit meiner Trüffelnase die Welt erforscht hat! Ich fühlte die Vergangenheit; in ihr war ich meiner Seele nah. Die Zeit meiner inneren Reise wollte sich in mir austoben. Ich musste mich wieder einmal höllisch zwingen, diesen Weg nicht zuzulassen. He, Markus, du bist auf deiner Arbeit! Schweren Herzens löste ich mich, ja, ich machte mich an die Arbeit – an meinen Auftrag, die Akte Petach.
3
Der Winter war gegangen. Mein erster Blick an diesem Morgen führte mich in mein Selbst. Ordne dich, Markus! Was machen wir mit der Zeit nach dem Aufstehen? He, das fragst du mich jeden Morgen! Hör auf, mich zu bevormunden!