Jeder des anderen Feind. Eike Bornemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eike Bornemann
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783941935808
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ist Ihr Kuh-Dorf eine Oase des Friedens. Deshalb brauchen wir dringend die Druckerei! Wir müssen … Hallo? – Ja, ich bin noch dran! – Also hören Sie zu: besorgen Sie sich ein Netzersatzgerät oder gehen Sie meinetwegen ins Heimatmuseum und beschlagnahmen Sie da eine Druckerpresse und … Hallo? Hallo?!«

      Entweder hatte der Gesprächspartner aufgelegt oder die Verbindung war zusammengebrochen. Die GPS-Satelliten waren nicht die Einzigen, die in den letzten Tagen was abgekriegt hatten.

      »Scheißkerl!«, fluchte mein Chefredakteur. »Scheißzeit! Scheißwelt!«

      Für einen Moment sah es aus, als wollte er das Telefon auf den Tisch knallen. Doch dann schien er sich zu besinnen und legte den Apparat so vorsichtig ab, als wäre er aus Glas.

      »Was gibt’s Neues?«, fragte er betont friedlich, indem er sich mir zuwandte. »Wieso bist du nicht im PIA?«

      »Da war ich schon.«

      »Ah. Und was sagen sie?«

      »Dass die Serie von Sonneneruptionen zu zeitlich überlappenden Beeinflussungen des Erdmagnetfeldes geführt hat, die sich immer höher geschaukelt haben. Zitat Ende.«

      »Das ist allgemein bekannt.« Herold wedelte ungeduldig mit der Hand. »Was sagen sie noch?«

      »Dass der geomagnetische Sturm auf die Stärke G5 auf der NOAA-Skala raufgestuft worden ist. G5 bedeutet …«

      »… extrem. Die höchste Stufe«, vollendete Herold den Satz.

      Während der letzten Tage hatten wir ausreichend Gelegenheit gehabt, uns mit Astrophysik und Weltraumwetter zu befassen. Das Internet war hopsgegangen, die hauseigene Bibliothek gab auch nicht viel her, aber in den Fluren der Machtetagen trieben sich eine Menge Physiker auf dem Weg zu den Krisenstäben herum, die wir ausquetschen konnten. Die meisten von denen waren drollige Nerds, die sich halbwegs Mühe gaben, verständlich zu reden. Sie quatschten von Sonnenzyklen, Fleckengruppen, KMAs, rotierenden Feldern, Schockwellen, Messwerten und dergleichen. Ich verstand nicht mal die Hälfte.

      »Erzähl mir irgendwas, was ich noch nicht weiß!«, forderte Herold unwirsch. »Na setz dich erst mal.« Er fuhr sich durch die talgigen Haare, bis sie wie elektrisiert vom Kopf abstanden. »Bist du mit dem Artikel fertig?«

      Wortlos drückte ich ihm den Entwurf in die Hand und sah mich nach einer Sitzgelegenheit um. Das Büro gab die derzeitige allgemeine Lage im Land treffend wieder. Auf den Tischen und Stühlen lagen Papiere, Bücher und Broschüren verstreut. Unter den Tischen türmte sich Elektroschrott: Computer, Drucker, Telefone, Faxgerät, Flachbildschirme und eine verkalkte Kaffeemaschine, die wir längst ausmustern wollten. Auf dem Feldbett stand eine nagelneue Brennstoffzelle in Koffergröße, hinter deren Geheimnis wir allerdings noch nicht gekommen waren. Die Bedienungsanleitung lag aufgeschlagen darauf. Auf der Seite prangte ein Kaffeefleck.

      Ich fegte ein benutztes Kochgeschirr, eine Blechtasse und eine Packung Entkeimer-Tabletten beiseite und schob meinen Hintern auf das schmale Fensterbrett.

      Der Redaktionsraum lag in der Rheinhardstraße und damit so nahe am Olymp, wie es nur ging. Wenn ich den Hals reckte, konnte ich in der Schneise zwischen zwei Bürogebäuden ein Stück von der Kuppel der Bundestags-Kita sehen. »Die kleine Märchenkuppel« hatte ein launiger Stadtführer sie mal vor ein paar Jahren genannt. Das Gewölbe des Reichstages war für ihn »Die große Märchenkuppel«.

      Unter dem Fenster verlief ein Viadukt der Eisenbahn. Tagsüber waren die blauen Sankt-Elms-Feuer auf den Oberleitungen nicht zu sehen. Nur der stechende Ozon-Geruch, der ab und zu aufkam, wenn der Wind richtig stand, erinnerte daran, dass über unseren Köpfen seit drei Tagen pausenlos unsichtbare geladene Teilchen auf die Atmosphäre einprasselten.

      Herold räusperte sich. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder meinem Redakteur zu.

      Zwischen seinen Brauen stand eine steile Falte. Die Lippen waren schmal wie ein Strich.

      »Was soll der Mist hier?«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Du meintest, ich soll was Motivierendes schreiben. Die Leute aufrütteln und so.«

      »Aufrütteln, hmm …« Er sah mich über die Ränder seiner Brille hinweg an, rückte dann das Gestell zurecht und überflog das Blatt Papier vor sich.

      »Hier steht was von Tarzan, der von Affen aufgezogen wurde, Robinson Crusoe, der es ganz alleine ohne Strom auf einer einsamen Insel geschafft hat und von Huckleberry Finn, der ein glücklicher kleiner Penner gewesen sei. Hmm … Dieser motivierende und aufrüttelnde Satz hier gefällt mir ganz besonders. Du schreibst, dass wir uns nicht so anstellen sollen, bloß weil wir plötzlich kein fließendes Wasser mehr haben und zum – ich zitiere wörtlich – Kacken in den Park müssten.«

      Er sah auf. »Sag mal, willst du mich verarschen?«

      »Wenn du willst, kann ich es in Defäkieren abändern, wenn es damit besser klingt.«

      »Nichts klingt besser!«, knurrte er. »Legst du es auf deinen Rausschmiss an oder warum lieferst du mir diesen Dreck ab?«

      »Lachen ist die beste Medizin«, versuchte ich eine lasche Verteidigung. »Und Medizin muss bitter schmecken. Hab ich mal gelesen.«

      »Wer schreibt so was?«

      »Die TITANIC.«

      »Ah. Wir sind aber kein Satireblatt, Outis, wir sind die ›Bundeswehr aktuell‹. Und das hier ist zynischer Mist! Als nächstes kommst du noch mit unseren Jungs, die es vor Stalingrad ausgehalten haben.«

      »Jetzt wirst du geschmacklos.«

      Herold zerknüllte meinen Artikel-Entwurf zu einer perfekten Kugel und brachte es fertig, den Papierkorb am anderen Ende des Raumes zu treffen.

      »Was ist bloß los mit dir?« Kopfschüttelnd musterte er mich. »Warst mal ein guter Autor. Konntest schreiben. Hab zu Hause sogar eins von deinen Büchern im Regal.«

      »Dein Urteil war wenig schmeichelhaft«, erinnerte ich ihn. »Meine Metaphern wären überzogen. Zu literarisch – oder so ähnlich.«

      »Zu gut gemeint«, verbesserte er mich. »Nicht zeitgemäß. Wir leben in der Ära der Kurznachrichten. Der Stil muss knapp sein. Und lebensbejahend.« Er zog das Wort in die Länge, indem er jede Silbe einzeln betonte. »Zynismus ist was für Verlierer. Das Magazin schreibt für Macher, nicht für Leute, die sich aufgegeben haben.«

      Ich winkte verdrossen ab. »Im Moment schreibt es für Niemanden, wenn die Druckerei nicht bald ein Netzersatzgerät aus dem Hut zaubert. Das einzige Massenmedium, was noch funktioniert, ist der Rundfunk. Besser gesagt die Stationen, die über Notstrom verfügen. Und die senden auch bloß ins Blaue rein, in der Hoffnung, irgendwo sitzen ein paar Leute mit batteriebetriebenen Radios. Hast du dir mal den Mist reingezogen?«

      »Ich hör kein Radio«, behauptete er. »Dafür hab ich zum Glück dich. Was sagen sie denn?«

      »Denselben Blödsinn, den alle Offiziellen daherquatschen: Die Lage sei kritisch oder ernst, eine Herausforderung – aber nie hoffnungslos. Jeder ist zuversichtlich, allen geht’s den Umständen entsprechend gut. – Ungefähr so muss sich ’ne Therapiegruppe von Krebspatienten anhören.«

      »Stimmt wenigstens die Musik?«

      »Heute morgen lief REM. ›It’s the end of the world … and I feel fine‹.«

      Herold zog die Brauen hoch. »Ernsthaft?«

      »War ’n Scherz.«

      »Ah.«

      »Sie senden Nachrichten, Kochrezepte und Hygienetipps. Das war schon früher schlimm, dieser weichgespülte Mist!« Ich verdrehte die Augen und verstellte meine Stimme zur Parodie einer oberlehrerhaften Belehrung: »Die unsachgemäße Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid ist zu unterlassen.«

      »Du redest vom Pressekodex.«

      »Ich rede davon, die Dinge nicht beim Namen zu nennen,