Stein mit Hörnern. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические приключения
Год издания: 0
isbn: 9783938305645
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noch immer vor seiner Werkstatt stand, als ob sich hoch oben am Berg zwischen Busch und Waldrand etwas bewegt habe. Vielleicht war es aufgestörtes Wild.

      Krause lud durch und behielt die Büchse in der Hand. Er glaubte, im Waldtal zur Seite des buschbestandenen Hanges, der hinter dem Haus aufstieg, Schüsse zu vernehmen. Doch war die Entfernung groß, und ein Pistolenknall klang dünn. Krause konnte sich getäuscht haben.

      Der Indianerjunge neben ihm hatte schärfere Ohren.

      »Dad, es schießt mehr als einer. Antwortet Stonehorn? Weißt du es?«

      »Ich weiß es nicht. Er hat einen Schalldämpfer.«

      Durch Frage und Antwort war der Handwerker auf das Kind aufmerksam geworden. Er schickte es wieder zu Bett.

      Als der Junge Gute Nacht sagte, schmiegte er sich zärtlicher an, als es sonst seine Art war.

      »Hilfst du Stonehorn, Dad?«

      »Wenn ich nur wüsste, wie.«

      Der Junge lief ins Wohnhaus, machte aber kein Licht und verschloss auch die Tür nicht.

      Es fiel ein Schuss aus einem Gewehr. Das hätte auch ein Jäger sein können.

      Krause horchte wieder. Solange geschossen wurde, war Stonehorn noch am Leben. Vor dem letzten Schuss – jedenfalls – musste er noch am Leben gewesen sein.

      Der Lauschende meinte, noch einmal Pistolen zu hören. Maschinenpistolen waren es nicht. Die Mordburschen wollten nicht zu auffällig arbeiten.

      Es wurde wieder still. So still, wie es gewesen war, ehe die Schüsse fielen.

      Stiller, weil die Schüsse verklungen waren.

      Der Busch lag schwarz da, unbeweglich.

      Die Sterne glänzten.

      Plötzlich sprang Wind auf; es rauschte in den Wipfeln der fernen Kiefern, die Büsche neigten sich.

      Krause hörte einen Schrei, der furchterregender klang als das Schreien eines Tieres. Stimme eines Mannes – Stimme einer Frau? Das Menschliche war geschwunden, nur das Entsetzen wirkte.

      Es knackte im Holz wieder und wieder. Alle diese leisen, fernher klingenden Geräusche kamen von derselben Stelle. Schatten spielten dort. Im Busch waren sie handgreiflich.

      »Mal sehen, wer der Bessere ist … ich denke, der Leo.«

      Leonard Lee war ein Totschläger und ging nie ohne Kumpane auf Mord aus. Krause wusste es.

      Der Mann schloss die Werkstatt ab und versteckte sich in seinem Wohnhaus. Im Bett saß der Junge, aufrecht, starr. Er hatte die Augen aufgerissen; wie zum Hohn spiegelte sich darin das letzte auslaufende Blinken eines Sterns.

      Der Junge musste heimlich an der Tür gewesen sein. Sein ganzer Körper war noch ein Horchen.

      »Dad! Sie morden Stonehorn. Du musst ihm helfen!«

      Der Mann blieb die Antwort schuldig. Er hätte sagen können: »Gegen die da draußen bin ich zu alt und schon zu steif.« Er hätte sagen können: »Wir wohnen abgelegen, und ich habe viele Kunden; ich muss mich heraushalten.« Er hätte sagen können: »Stonehorn brauchte nicht im Dunkeln aus dem Haus zu gehen.«

      Aber er sagte das alles nicht, weil Worte, die nichts bewirkten, überflüssig waren, und so blieb er dem Kind die Antwort schuldig.

      Der Junge betete inbrünstig zu dem Gott der Indianer. Er betete leise, und schließlich hielt er die Hand vor die Lippen, um jeden Laut abzufangen.

      Die geschlossene Tür ließ die Geräusche aus dem Busch nicht herein. Krause hockte sich auf die Bettkante. Die Schusswaffe behielt er durchgeladen in der Hand.

      Weder der Mann noch das Kind hätten sagen können, wie lange sie so warteten. Sie vergaßen das Ticken der Kuckucksuhr.

      Es klopfte dann, ohne dass sie jemanden hatten kommen hören. Je zweimal kurz hintereinander hatte jemand geklopft. Das war das Zeichen von Freunden. Wer gab sich als Freund aus?

      Krause stand auf; mit steifen Knien ging er zur Tür. Er öffnete und erkannte den Schattenriss von Stonehorn; er erkannte die lange Gestalt des jungen Indianers, das schmale Gesicht, die Jacke, den Hut, das Jagdgewehr. Rasch ließ er ihn ein und verschloss die Tür hinter ihm.

      Der Zurückgekehrte keuchte. Gleich neben der Tür ließ er sich auf einen Hocker fallen; die Wand gab ihm eine Rückenstütze.

      Er schluckte, würgte an irgendetwas, brachte es nicht heraus, schluckte wieder.

      Er fing an, seine Schusswaffen im Dunkeln zu reinigen und wieder zu laden. Es ging schnell, obgleich er die linke Hand nur zum Halten gebrauchte. Er hatte außer dem Jagdgewehr zwei Pistolen dabei. Die dritte, neue, fehlte.

      Krause machte kein Licht an, nicht einmal eine Kerze.

      Als die Kuckucksuhr vier Uhr gerufen und der Kuckuck sich wieder in sein Gehäuse zurückgezogen hatte, sagte Stonehorn, und das war das einzige, was er überhaupt sagte: »Also, bis jetzt war ich hier bei euch. Gute Nacht.«

      »Sind keine mehr draußen? Bleib noch da, bis es hell wird.«

      Der Indianer antwortete nicht. Er schaltete aber ohne Bedenken die Taschenlampe an.

      Krause begleitete ihn zum Wagen. Stonehorn hinkte; überhaupt hatte sich seine Haltung verändert; die linke Schulter hing, als ob sie lose sei. Die Niethose hatte einen langen Riss. Die Jacke stand offen. Krause sah die nackte Brust; das Hemd war zerrissen. Die Augen des Indianers glänzten unnatürlich. Seine Wangen und Schläfen waren eingefallen. Er atmete noch immer durch den Mund. Alle seine Poren trieben Schweiß. Er setzte sich ans Steuer, ließ den Motor an und brachte den Wagen in Bewegung.

      Krause sah ihm noch nach.

      Der kleine Junge war herausgelaufen und klammerte sich an seinen Pflegevater. »Dad – wer ist das, Leonard Lee?«

      »Ssst – vergiss den Namen des Teufels, Kind.«

      Während Krause mit dem Jungen wieder ins Haus ging und ihn schlafen hieß, fuhr Stonehorn die Straße nach New City hinunter. Er hatte die Beleuchtung vorschriftsmäßig angeschaltet. Am Lenkrad hatte er seiner Gewohnheit entgegen nur eine Hand.

      Als er schon auf weite Entfernung am Stadtrand einen Jeep der Polizei erkannte, wählte er einen Umweg und fuhr, ohne New City zu berühren, in die zur Indianerreservation führende Straße ein. Er blieb unbehelligt.

      Noch ehe es tagte, hatte W. Krause die durchschossene Scheibe des Werkstattfensters herausgenommen und alle Scherben sorgfältig beseitigt. Als Elisha Field mittags sein Gewehr abholte, spiegelte bereits neues Glas im Rahmen.

      Seine Vorfahren waren Mormonen, Gelehrte, Spekulanten und Farmer. Nach der Familiensaga befand sich auch ein Bandit darunter, der in einem Texas-Duell gegen seinen Rivalen umgekommen war.

      Den Namen Roger Sligh trug er mit Stolz. Seinem Naturell entsprechend, hatte er schon viel von der Welt gesehen. Er hatte den Grad eines Medical Doctor und entsprechendes soziales Ansehen erreicht, die Arbeit in der Nähe von Schlachtfeldern nicht gescheut, trotz allen Chinins die Malaria durchgemacht. Sein Spezialfach war Chirurgie. Man rühmte ihn einer frischen, die Patienten aufmunternden Energie und hielt ihn für immun gegen Leidenschaften.

      Welche Affäre ihn dazu veranlasst hatte, sich den Behörden des Gesundheitsdienstes zur Verfügung zu stellen und um eine Anstellung in einem Indianerhospital auf irgendeiner abgelegenen Reservation nachzusuchen, das wusste ohne Zweifel er selbst; wer aber außer ihm, blieb unbekannt. Sein verblüffender Entschluss erregte viel Kopfschütteln sowohl bei Patienten als auch bei Hospital-Unternehmern, kam für die Gesundheitsbehörden jedoch im geeigneten Augenblick.

      Ein gewisser Piter Eivie hatte versetzt werden sollen, ohne dass sich zunächst eine Möglichkeit gezeigt hatte, ihn zu ersetzen. Der überraschende Wunsch von Roger Sligh bot den gewünschten