„Ich kann diesen Engelmeyer nicht leiden“, sagte Rudi neben mir auf dem Beifahrersitz meines Dienst-Porsche.
„Wieso nicht?“, fragte ich.
„Da fragst du mich? Weil er die Polizei schlecht macht natürlich. Der trampelt auf uns herum, so dass die Leute die Polizei und uns vom BKA irgendwann für die wahren Gangster halten werden. Eine Organisation von Gewalttätern, korrupten und völlig außer Kontrolle geratenen Beamten, denen Recht und Gesetz völlig gleichgültig sind, wenn es ihnen nicht in den Kram passt!”
„Aber in einem hat er doch Recht: Missstände müssen aufgeklärt werden, Rudi!”
Rudi seufzte. „Ja natürlich! Aber der Typ macht eine Show daraus.”
„Er will Bücher verkaufen.”
„Und das schafft er offenbar ja auch mit dieser Masche.”
Es regnete Bindfäden. Die Scheibenwischer meines Dienst-Porsches schafften es kaum, für freie Sicht zu sorgen, so heftig regnete es. Berlin schien an diesem Morgen von einer wahren Sintflut heimgesucht zu werden und wenn der Kerl von Radio Berlin Antenne recht hatte, dann würde uns dieses unangenehme Wetter den ganzen Tag über erhalten bleiben. Ein dauernder Wechsel zwischen heftigem und sehr heftigem Regen.
„Vielleicht ist der eigentliche Grund dafür, dass du diesen Engelmeyer nicht leiden kannst, die Tatsache, dass er leider sehr häufig recht hatte und bei vielen der Themen direkt ins Schwarze getroffen hat, Rudi. Gerade, wenn es um die Verflechtungen zwischen dem organisierten Verbrechen, der Justiz und den Polizeibehörden ging.”
„Da könnte was dran sein”, gab Rudi zu.
„Schwarze Schafe gibt es überall, Rudi. Auch beim BKA. Und wir sollten froh sein, wenn jemand so etwas aufdeckt.“
„Eins zu Null für dich, Harry.“
„Schön, dass du das einsiehst.“
„Das ändert aber nichts daran, dass ich den Typ einfach nicht leiden kann, Harry. Die Art, wie er auftritt ... Auch jetzt wieder in dem Gespräch, das wir gerade gehört haben! Ich finde das unsympathisch.”
Rudis Haar klebte ihm am Kopf. Ich hatte ihn an der üblichen Stelle am Morgen abgeholt, aber selten war das Wetter in der Zeit seit unserer Beförderung zu BKA-Kriminalinspektoren und der damit verbundenen Versetzung von Hamburg in die Zentrale nach Berlin so mies wie heute gewesen. Rudi hatte sich in der Nähe unseres Treffpunkts untergestellt und war nur kurz durch den Regen gelaufen. Aber das hatte schon ausgereicht, um ihn anschließend wie einen begossenen Pudel aussehen zu lassen.
Musik und Werbung wechselten sich im Radio ab. Aber dann kam ein Break, der selbst für diesen Sender ziemlich abrupt war.
„Ich unterbreche die Musik für eine wichtige Meldung”, sagte die uns inzwischen schon ziemlich vertraute Stimme von Daniel Moorlitz. „Gerade haben Sie ein Gespräch mit dem Journalisten und Buchautor Raimund Engelmeyer gehört und ich hatte Ihnen erklärt, dass dieses Gespräch eine Aufzeichnung gewesen ist, weil Herr Engelmeyer keine Rückschlüsse auf seinen jeweiligen Aufenthaltsort zulassen wollte. Und ich gebe es gerne zu, dass so mancher hier im Studio sich anschließend darüber lustig gemacht und das für eine übertriebene Maßnahme gehalten hat. Aber jetzt kommt von der Insel Sylt die Meldung, dass Raimund Engelmeyer offenbar das Opfer eines Verbrechens geworden ist. Es gibt bislang keine näheren Informationen dazu. Ein Sprecher des zuständigen Polizeidienststelle auf Sylt hat in einer sehr knappen Pressekonferenz erklärt, dass derzeit keine weiteren Informationen an die Öffentlichkeit gegeben werden, und dies mit fahndungstaktischen Erwägungen begründet. Sobald wir Näheres zu dieser Sache sagen können, werde ich die Neuigkeiten sofort an Sie weitergeben. Bleiben Sie bei uns! Hören Sie Radio Berlin Antenne und beginnen Sie den Tag im Hauptstadt gut informiert! Mein Name ist Daniel Moorlitz ...”
„Wenn das jetzt unser Fall wäre, bestünde zumindest die Chance auf einen baldige Reise nach Sylt für uns“, meinte Rudi. „Das Wetter wäre dort auf jeden Fall besser.“
“Du meinst, es regnet und stürmt noch mehr als hier!”
“Ha, ha!”
„Schlechter als wir es zurzeit hier in Berlin haben, kann es wohl kaum noch werden“, gab ich zurück.
3
„Guten Morgen, Harry! Guten Morgen, Rudi!“, begrüßte uns Dorothea Schneidermann, die Sekretärin unseres Chefs. Wir waren gerade im Hauptpräsidium eingetroffen und fanden uns nun zur Besprechung bei Herrn Jonathan D. Hoch ein, unserem Chef beim BKA in Berlin. Wie schon während unserer Hamburger Zeit war Kriminaldirektor Hoch unser direkter Vorgesetzter. In diesem Punkt hatte sich nichts geändert. Nur der Zuständigkeitsbereich hatte sich erheblich erweitert und umfasste nun gesamt Deutschland.
„Guten Morgen, Dorothea“, sagte ich.
„Warten Sie einen Moment!“
„Ich dachte, Herr Hoch erwartet uns.“
„Im Moment telefoniert er gerade. Und es muss ziemlich wichtig sein - so gut kenne ich ihn nun inzwischen bereits.“
„Sie haben nicht zufällig eine Ahnung, worum es geht?“, fragte ich.
Dorothea Schneidermann lächelte kurz und schüttelte dann den Kopf.
„Nein, aber Herr Hoch hat mir aufgetragen, für Sie einen Flug nach Sylt zu organisieren.“
Rudi und ich wechselten einen kurzen Blick.
„Scheint, als würde dein Wunsch nach besserem Wetter für uns schneller in Erfüllung gehen, als wir beide das für möglich gehalten hätten.“
„Ich habe das von Anfang an für möglich gehalten, Harry.“
„Ach, ja?“
„Nur du nicht“, stellte Rudi klar.
Ich wandte mich noch einmal an Dorothea Schneidermann.
„Hat unser Chef zufällig den Namen Raimund Engelmeyer erwähnt?“
„Hat er nicht“, stellte die Sekretärin fest. „Nur Engelmeyer - ohne Raimund.”
„Na, das kann aber kaum ein Zufall sein”, meinte Rudi.
Die Gespräche, die Herr Hoch zu führen hatte, zogen sich etwas hin. Lange genug, um in Dorothea Schneidermanns Vorzimmer noch einen Becher Kaffee zu trinken. Auch aus dieser Verzögerung konnte man seine Rückschlüsse ziehen. Die Gesprächspartner, mit denen Herr Hoch im Moment konferierte, mussten sehr wichtig sein. Vielleicht Leute aus ebenso hohen Hierarchieebenen wie die des BKA, sehr wahrscheinlich aber hochrangige Personen aus Justiz und