Während sich die Höflinge neugierig über die Waffe beugen wollten, riss die Prinzessin dem Dolmetsch die Pistole aus den Händen und schrie wütend in die Menge: »Stronzi, che siete!20« Als er ihre Muttersprache vernahm, zog der Dolmetsch seine Augenbrauen hoch.
»Was zum Teufel treibt ihr eigentlich in euren Waffenschmieden, dass ihr nicht in der Lage seid, die Herkunft eines Gewehrs zu bestimmen?« Safiye wandte sich an den Dolmetsch. »Ich danke dir, Berkel, du sollst reichlich belohnt werden und außerdem … darfst du dir etwas wünschen.« Sie machte eine einladende Geste: »Wenn du also hierbleiben möchtest?«
Berkel verbeugte sich zufrieden.
Der schwarze Palasteunuch, der den Unterton seiner Herrin sehr wohl zu deuten wusste, sorgte dafür, dass die Versammlung aufgelöst wurde und sich das »Tor der Glückseligkeit« innerhalb kürzester Zeit hinter dem letzten Höfling schloss.
Haseki Safiye blieb mit dem Dolmetsch allein zurück, was draußen vor dem Tor nicht unkommentiert blieb.
18 Ranghöchster Haremswärter.
19 Türkisch: Waffenschmied
20 Was seid ihr für Dummköpfe!
22
Augsburg, Sankt Barbara21 1580
Oktavian war in eine Wohnung am Weinmarkt gezogen. Seine Aufgaben als Amtsarzt nahmen ihn fast Tag und Nacht in Anspruch. Die Hospitäler, Siechhäuser und Gefängnisse waren über das ganze Stadtgebiet verteilt. Um von einem Institut zum anderen zu gelangen, benötigte er sehr viel Zeit. Er hatte sich vorgenommen, bei seinen Gefängnisbesuchen die zum Tode Verurteilten genau anzusehen. Aber bisher war keiner dazu geeignet gewesen, den Auftrag zu übernehmen, den er und Otto ersonnen hatten. Entweder sie waren zu alt oder seelisch gebrochen und wollten nicht mehr weiterleben. Auch am heutigen Tag war wieder ein Rundgang durch das Gefängnis in den Gewölben unterhalb des Rathauses vorgesehen. Dort warteten mehrere Kandidaten auf ihre Hinrichtung. Ein Büttel leuchtete Oktavian mit einer langen Fackel hinunter in die Verliese. Er rümpfte die Nase; es stank nach Urin und Kot.
»Kindsmörderin, vierundzwanzig, Tod durch Ertränken«, erklärte der Büttel am ersten Verlies.
Die Frau stand völlig in sich versunken an der Wand, hatte die Hände gefaltet und betete. Sie gingen weiter.
»Raubmörder, achtunddreißig, Hinrichtung durch das Rad.« Oktavian kannte den Mann bereits, der zusammengekauert in der Ecke saß. Ihn würde das Gericht sicherlich nicht auslösen, zu sehr wartete das schaulustige Volk auf die Vollstreckung des Urteils.
»Gestern erst verurteilt: ein elender Gauner, mehrfacher Dieb und Betrüger, siebenundvierzig, Tod durch das Schwert.«
»Du wirst ihm vor der Hinrichtung die langen Haare abschneiden müssen. Der Henker braucht freie Sicht auf den Nacken!«, erklärte Oktavian dem Büttel.
»Beim Hades, der Medicus! Ich kenne Euch! Ihr habt damals in den Bergen die Wunde von meinem Kind versorgt.« Der Mann kam ans Gitter heran. Oktavian deutete dem Büttel an zu leuchten.
»Ja, tatsächlich! Don Alfonso! Du bist der Gaukler mit der Kinderschar, der auf dem Weg nach Norden war. Das ist bestimmt zwanzig Jahre her. Warum hat man dich verurteilt?«
»Den Don könnt Ihr getrost lassen! Aus und vorbei! Ihr wisst doch, wie das Geschäft läuft. Es war schwer genug für mich, die Kinder über die harten Winter zu bringen. Nun stehen sie auf eigenen Füßen. Von einem alten Wanderheiler habe ich den Laden übernommen, Zahnziehen, Wässerchen, Tinkturen und die Geschichten dazu. Meine Frau Marfisa hat als Wahrsagerin den Leuten das Blaue vom Himmel erzählt. Wir hatten beschlossen, ein ehrliches Leben zu führen, auf Jahrmärkten und Reichstagen haben wir uns durchgeschlagen, so gut es eben ging. Eines Morgens lag sie tot im Wagen. Hunderten hatte sie das Schicksal aus der Hand gelesen und wurde doch vom eigenen überrascht. Ich wollte ihr doch ein anständiges Begräbnis ermöglichen, es war in bester Absicht. Nun, es war nur ein kleiner Diebstahl auf der Herbstmesse in Augsburg, aber halt schon der dritte, und diese Augsburger vergessen nichts.«
»Du hast damals auch meinem Freund Otto den Beutel gestohlen!« Oktavian erinnerte sich lebhaft, wie Otto auf dem Weg über die Alpen über den Gaukler geschimpft hatte. Er hatte ihnen das Flugblatt verkauft, das bewies, dass Erminio vom Berg Ricos Geliebte Mona hatte hinrichten lassen.
»Ja, ich gestehe es, ich hab ja auch nichts mehr zu verlieren. Wenn ich könnte, würde ich es wiedergutmachen.«
Oktavian überlegte kurz. Er war überzeugt, dass dieser Gaukler ihren Zwecken dienen könnte. »Hör mal, Don Alfonso! Es gibt eine Möglichkeit, wie du deinen Kopf retten kannst. Du stehst in Ottos Schuld. Ich versuche, dich freizukaufen, und du wirst für uns auf eine lange Reise gehen.«
»Ja, ja, ja! Ich mache alles, was Ihr wollt, wenn ich nur hier herauskomme! Ich bin an Eurer Seite, Herr Medicus! Sagt mir, was zu tun ist und um welche Reise es sich handelt, ich bin auf allen Straßen zu Hause, beim Hades!«
»Ich gehe heute zum Rat und handle einen Preis für dich aus, alles Weitere besprechen wir später. Du kannst noch warten mit dem Haareschneiden, Büttel! Mit dem haben wir noch etwas vor.«
21 4. Dezember
23
Leeder, Weihnachten 1580
Es war der ausdrückliche Wunsch seiner Mutter gewesen, dass er über die Feiertage nach Leeder kommen sollte. Still war es geworden im Schloss, seit Vater nicht mehr lebte. Mutter war mit seinen beiden Schwestern allein und Hans Jakob, sein jüngerer Bruder war zum Studium in Italien. Raymund hatte am Nachmittag Karl besucht und ihm eine Kiste Tabak geschenkt.
»Warsch du dunda beim Georg?«, hatte der Kutscher ihn gefragt. Dann waren sie zusammen ins Dorf hinuntergegangen.
»Komm, lass uns zuerst zu seinem Haus gehen«, schlug Raymund vor, als sie beim Wirt angekommen waren. Die Ruine war nur wenige Schritte entfernt. Die verkohlten Balken lagen immer noch auf einem Haufen, die Außenmauern waren zum Schutz vor Feuchtigkeit mit Brettern abgedeckt.
»Ein Bild des Jammers. Warum nur, Karl?«, seufzte Raymund.
»Im Frühling gibt’s an neie Dachstuhl, dr Zimmerer hot scho s’Aufmaß g’nomme«, verkündete Karl stolz, aber Raymunds Frage blieb unbeantwortet.
»Hat man den Brandstifter nicht belangen können? Hat der Richter Dreer keine Untersuchung eingeleitet?«
»Weisch, Raymund, dia haltet zam, und wenn’s koin Zeugen gibt, isch des schwierig. Dann war’s halt dr Blitz.«
Raymund musste sich immer wieder daran erinnern, seine Rachegedanken zurückzudrängen. »Das ist bitter zu wissen, dass die Schuldigen immer noch frei herumlaufen und der nächste Anschlag nur eine Frage der Zeit ist.«
Karl steckte sich seine Pfeife in den Mund und zog ihn am Arm. »Komm, Raymund, do richted mir heit nix mea aus!«
Am Abend saßen Georg und ein gutes Dutzend Freunde in Caspars Namen zusammen, Mutter las aus dem Lukasevangelium, es wurde gesungen und gebetet. Als die Gäste sich verabschiedet hatten, saß nur noch die Familie mit heißen Getränken und Gebäck am Tisch vor dem knisternden Kaminfeuer. Raymund hatte sich in Helenas Nähe gesetzt.
»Es