»Wie willst du das denn anstellen?«, fragte Otto.
»Eine Möglichkeit wäre wohl, jemanden in verdeckter Mission in die Höhle des Löwen zu schicken, um Rico aufzuspüren.«
»Was meinst du damit?«
»Ich habe als städtischer Medicus immer wieder mit den Räten zu tun. Man müsste sich an das Malefizgericht wenden, wo hin und wieder Todesurteile gefällt werden. Unter strengen Auflagen wie Geldzahlungen, Galeerendienst, Landesverweis oder Pilgerfahrten werden diese manchmal aufgehoben.«
Otto überlegte kurz. »Was für ein Unterfangen! Du willst Rico von einem Verbrecher suchen lassen? Wenn es um außergewöhnliche Pläne geht, warst du immer schon ein unerschöpflicher Quell!«
»Du als Geistlicher solltest dich aus diesen Dingen heraushalten. Ich werde mir etwas einfallen lassen und dir beizeiten darüber Bericht erstatten. Jetzt widme dich wieder deiner Familie und deinen Gratulanten. Gott beschütze dich, Otto, und er möge dir die Kraft geben, das Böse in euren eigenen Reihen zu vertreiben.« Oktavian packte ihn an beiden Schultern und schob ihn mit einem »Pax tecum! Semper fidelis!«17 zurück in die Traube aus Verwandten und Freunden, die sich sofort wieder um ihn schloss.
15 4. Juli
16 Ich gehorche.
17 Friede mit dir! In steter Treue!
21
Konstantinopel, Sommer 1580
Durch das »Tor der Glückseligkeit« in den dritten Hof des Sultanspalasts zu gelangen, war für einen Sterblichen fast unmöglich. Mit prachtvollen Mosaiken ausgestattete Räume, Marmor, edle Hölzer, Nischen, die mit purem Gold ausgelegt waren, und riesige Seidenteppiche, die in allen Farben leuchteten, blendeten den Blick jedes auserwählten Besuchers. Der Thronsaal bildete das Zentrum des dritten Hofs. Kein Herrscher der bekannten Welt konnte sich rühmen, prunkvoller zu residieren. In ihren bunten, aufgeplusterten Paradeuniformen hatten sich Minister, Wesire und Verwalter darin ehrfurchtsvoll in einem Halbkreis aufgestellt. Erhöht auf der Treppe stand eine groß gewachsene, schlanke Frau in prächtige, goldbesetzte Kleider gehüllt vor dem Sultansthron. Es war die Favoritin des Sultans Murad III., Haseki Safiye, eine ehemalige venezianische Adlige, die sich mit welchen Mitteln auch immer in diese Stellung gebracht hatte. Es wurde erzählt, dass sie schulterlange blonde Haare, blaue Mandelaugen und schneeweiße Haut habe. Aber niemand außerhalb des Harems hatte sie je unverschleiert gesehen. Es war kein Geheimnis mehr, dass sich im Palast des Sultans viele Dinge verändert hatten. Nachdem der mächtige Reichswesir Sokollu Mehmed Pascha im Oktober des vergangenen Jahres von einem Derwisch ermordet worden war, war ein Machtkampf im Hofstaat des Sultans entbrannt. Sultan Murad III., an Staatsgeschäften wenig interessiert, war – wie so oft – inkognito im Habsburgerreich unterwegs, um ungestört seine Zeit mit Dichtern, Musikern und Possenreißern zu verbringen. Safiye hielt indessen die Zügel des Reichs in der Hand und schickte sich an, mit den mächtigsten Herrschern der Welt Umgang zu pflegen, und glaubte, selbst in Königin Elisabeth von England eine ebenbürtige Allianzpartnerin zu besitzen.
Safiye sorgte an diesem Tag für großes Entsetzen. Alle Augen waren auf sie gerichtet, wie zu Salzsäulen erstarrt harrten sie dem, was da kommen mochte.
Sie hatte mit beiden Händen ein mit Gold und Silber verziertes, glitzerndes Gewehr bedrohlich auf die Versammelten gerichtet und der gefürchtete nubische Palasteunuch Kızlar Ağası18 an ihrer Seite kullerte dabei mit seinen Augen; dem kahlrasierten Riesen entging keine Bewegung im Saal. Endlich löste sich die Spannung, indem sie die Waffe dem Ağası übergab, der sie in die gierig ausgestreckten Hände der Umstehenden weiterreichte. Alle wollten das Wunderwerk berühren, waren voll des Erstaunens über die geflügelten Körper mit blauen Mützen, die aus grünen Blüten zu wachsen schienen. Andere waren entzückt über die Affen und fantastischen Tiere mit langen Federschwänzen. Sie lobten die Schönheit und die Farbenpracht des Schaftes mit seinen seltsamen Geschöpfen, die durch feine blaue Girlanden miteinander verbunden waren. Der Hahn des Schlosses war als drachenartiges Wesen dargestellt. Jeder der Anwesenden wollte wenigstens einmal über das Wunderwerk streichen. Als Safiye die Hand hob, hielten sie augenblicklich inne.
»Waffenmeister, in Eurer großen Weisheit wisst Ihr mir gewiss zu sagen, wer dieses Meisterwerk geschaffen hat? Ich wünsche mir den Erbauer dieser Waffe um jeden Preis an den Hof.« Die Angesprochenen verbeugten sich, ihr Obrist nahm die Waffe an sich und drehte sich zur Prinzessin. Es war bekannt, dass der überfreundliche Ton der Frau kein gutes Zeichen war.
»Wir alle haben so etwas noch nie gesehen«, antwortete der Obrist sichtlich nervös. »Dies ist das Werk eines begnadeten Ziseliermeisters; die Emaillearbeiten sind von unglaublicher Schönheit. An das Geheimnis der Farbmischungen zu kommen, dürfte sehr schwer werden. An der äußeren Seite des Vorderschaftes findet sich das Monogramm des Meisters, DAF. Ich kenne viele Büchsenmacher im gesamten Abendland, allerdings keinen mit diesem Monogramm.« Der Waffenmeister blickte die Umstehenden an, die ihre Zustimmung murmelten, und gab die Pistole zurück in die Hände des Ağası.
»Was seid ihr für unfähige Parasiten!«, schrie Safiye zornig. »Ich lasse euch die Bärte rasieren und schicke euch auf die Galeere!«
Ein anderer, dem es mehr um seinen Kopf, als um seinen Bart ging, bat um die Erlaubnis zu sprechen. Safiye nickte.
»Es muss eine Waffe aus den Habsburgerlanden sein. Jedem türkischen silâhçı19 fehlt das Wissen, so eine Waffe herzustellen oder sie zu verzieren.«
»Worauf wartet ihr dann? Holt mir sofort den fähigsten Dolmetsch und jeder, dem seine Zunge lieb ist, behält das heute Gesagte für sich. Es macht mich wütend, dass Ungläubige es erschaffen haben sollen und euch Tölpeln darüber das Wissen fehlt.«
Wenig später öffnete sich das »Tor der Glückseligkeit« und zwei Janitscharen führten den großen Blonden mit einem blauen Turban in den Raum. Er überragte alle um mehr als einen Kopf und es schien, als würde er einen unsichtbaren Schild mit sich führen, vor dem alle anderen respektvoll zurückwichen. Safiye erkannte in ihm sofort einen Europäer. Niemand sah, wie sie unter ihrem Schleier diesen Mann von oben bis unten musterte.
Entschlossen trat er vor sie und verbeugte sich tief.
»Berkel Aleman, Euer untergebenster Diener! Ehrwürdige, hochwohlgeborene Prinzessin, Ihr habt mich durch das ›Tor der Glückseligkeit‹ rufen lassen. Was ist Euer Begehr?«
»Erhebe dich, Dolmetsch!« Sie nahm dem Palasteunuchen die Waffe aus der Hand.
»Berkel, ich habe bereits von dir gehört. In meiner Hand liegt eine Waffe von unglaublicher Schönheit und nie gesehenem Glanz. Es gelangte durch Piraten in meine Hände. Meine Höflinge sind nicht in der Lage, die Herkunft der Waffe zu ergründen.«
Die Köpfe der Anwesenden neigten sich verschämt nach unten.
»Beschreibt die Waffe und verfasst sofort einen Brief an alle unsere Spione und Agenten von Lissabon bis Wien, von Hamburg bis Palermo, dass sie dafür sorgen sollen, wie auch immer, den Erbauer dieser Waffe mit der nächsten kaiserlichen Delegation an die Hohe Pforte zu beordern.« Safiye gab die Waffe zum spürbaren Erstaunen aller Versammelten an den Dolmetsch weiter. Dabei legte sie ihre Hände so an den Schaft, dass der Hüne nicht umhinkam, ihre Haut zu berühren.
Berkel erschrak, denn er war sich wohl bewusst, dass es nur dem Sultan erlaubt war, diese Frau anzufassen. Jedem anderen drohte die Todesstrafe. Er nahm die Waffe ehrfurchtsvoll in beide Hände und besah sie staunend von allen Seiten.
»Ich