Das 19. Jahrhundert ist das eigentliche Jahrhundert der deutschen Massenauswanderung. Die einzelnen Wanderungsströme, die Deutschland im 18. Jahrhundert erlebt hatte, gingen seit den 1790er Jahren zurück. Ihren Tiefststand erreichten sie um 1800 sowie weitgehend im Zeitraum bis 1830. Bemerkenswert waren zwei Wanderungswellen in dieser Zeit, die Auswanderung der Schwaben und Pfälzer nach Südrussland 1802-04 und die württembergische, badische sowie rheinische Auswanderung nach Russland und Amerika 1816/17. Beiden Ereignissen gingen schlechte Erntejahre voraus; vor allem der äußerst harte Winter 1816/17 und die darauf folgende Hungersnot waren Auslöser dafür, dass Zehntausende ihre Heimat verließen.
Im Gegensatz zu den (einzelnen) Auswanderungswellen des 18. Jahrhunderts bildete die Auswanderung des 19. Jahrhunderts - trotz Höhen und Tiefen - einen nahezu kontinuierlichen Strom. 1832 wurde zum ersten Mal die Grenze von zehntausend Wegziehenden überschritten; von da an nahmen die Wellenbewegungen fortlaufend bis zu ihrem Scheitelpunkt in den 1850er Jahren zu. Sie waren Reaktion auf stetig wirkende Ursachen und besondere Ereignisse.
War die Auswanderung des 18. Jahrhunderts noch wesentlich veranlasst durch Schwierigkeiten im Agrarbereich, was sich an der beruflichen Zusammensetzung der Wegziehenden ablesen lässt, nämlich eine vorwiegend kleinbäuerliche Bevölkerung -Handwerker und andere Berufe waren eher in der Minderzahl -, sollte sich dies in der Folgezeit ändern. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bildete zudem der Südwesten das Hauptauswanderungsgebiet; im Zuge der Industrialisierung kamen dann zunehmend Auswanderer aus Nord- und Mitteldeutschland, wobei auch der bäuerliche Anteil gegenüber (Industrie-) Arbeitern und Gewerbebeschäftigten zurückging.1
Einfluss auf die Auswanderungsbereitschaft und -ziele von Personen dürfte auch ihre geografische Wohn- oder Siedlungslage gehabt haben. So scheinen die Nähe zu verkehrsgünstigen Straßen und eine nicht zu große Distanz zu Abfahrtshäfen die Auswanderung gefördert zu haben (Schwaben, Pfälzer, Moselfranken, Niedersachsen). Die Rheinschifffahrt bot z. B. den Badenern eine günstige Verbindung zu den Seehäfen im Norden, während die Württemberger noch stärker die Donauschifffahrt zur kontinentalen West-Ost-Wanderung nutzten. Die Verkehrsgeografie war insoweit wohl relevanter als die Konfessionszugehörigkeit, die die Auswanderer eher in die Gegenrichtung hätte führen müssen – die protestantischen Württemberger nach Nordamerika, die katholischen Badener nach Ost- und Südosteuropa. Überdies gehörten Besitzverteilung und Erbrecht zu den Hauptmotiven der Auswanderung jener Epoche. Im Südwesten war es vornehmlich die Anerbenregelung, die abgefundene Familienmitglieder, die nicht als Heuerlinge (eine Art Tagelöhner) auf dem Hof blieben oder sich eine Beschäftigung in Industrie und Gewerbe suchen wollten, dazu veranlassten, auszuwandern. In Übersee hatten sie bessere Chancen zu selbständigen Bauern zu werden.2
Für die deutsche Massenauswanderung des 19. Jahrhundert werden z. T. permanent wirkende Ursachen als Hauptgrund erachtet. Frühere Auswanderungswellen wurden hingegen eher mit einmaligen und vorübergehend auftretenden oder andersartigen Ursachen in Zusammenhang gebracht. Gerade die Wirtschaftsentwicklung, deutlich erkennbar bei Wirtschaftsaufschwüngen und -krisen, hatte nahezu direkte Folgen für die Auswanderung. Hinzu kamen strukturelle Verschiebungen im Agrarbereich; war dieses Gefüge von Mitte des 17. Jahrhunderts noch vorwiegend kleinbürgerlichen Charakters, veränderte es sich hin zu wachsendem Großgrundbesitz sowie stärkerer Mechanisierung und Industrialisierung. Verbunden damit waren die Folgen der Bauernbefreiung, also die Ablösung der bäuerlichen Lasten durch entsprechende Zahlung an die Grundherren. Durch diese Zahlungsverpflichtung erwies sich die „Bauernbefreiung“ jedoch quasi als „Befreiung“ der Bauern von ihrem Land und ließ sie oft verschuldet zurück. So ist es nachvollziehbar, dass die Auswanderungsbewegung in diesem Zeitraum auf diese betroffenen Räume bezogen war (u. a. Ostelbien, Hessen, Norddeutschland, Südwestdeutschland).
Hohe Preissteigerungen im Lebensmittel- und Futtermittelbereich, schlechte Erntejahre, die Verdrängung der kleingewerblichen Hausindustrie durch die industrielle Konkurrenz sowie ein rascheres Bevölkerungswachstum und steigende Gemeinde- und Staatslasten waren Faktoren, die in ihrem Zusammenwirken zur weiteren Verarmung der bäuerlichen Gesellschaft beitrugen.3
Virulent war die Auswanderung aus Südwestdeutschland. Die wachsende Bevölkerung und die zunehmenden Schwierigkeiten ihrer Versorgung führten dort teilweise dazu, dass die Auswanderung als „soziales Ventil“ für die prekäre Lage erachtet wurde. Vielerorts bildeten sich Vereine zur Förderung der Auswanderung, wobei in einzelnen Kommunen die Kosten des Transports für die bedürftigen Bevölkerungsteile aufgebracht und diesen zur Verfügung gestellt wurden. Gleiches galt für staatliche Stellen, die ebenfalls die Auswanderung als „Notbehelf“ finanziell förderten. Der „Pauperismus“, eine Bezeichnung, die bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als begriffliche Umschreibung für die Massenarmut geläufig war, entstand im Wesentlichen aus einem langanhaltenden, strukturellen Mangel an ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten für die seit dem 18. Jahrhundert stetig wachsende Bevölkerung in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung bzw. eine sehr unregelmäßige Beschäftigung bildeten die Kernprobleme der sozialen Frage in der Periode des Vormärz (Zeitraum vor der deutschen Märzrevolution 1848).
Massenarmut und Verelendung bezogen sich hierbei vor allem auf die ländliche Bevölkerung. Im Zuge der industriellen Entwicklung wurden in steigendem Maße jedoch auch die städtischen Unterschichten davon betroffen. Zurückgeführt werden konnte dies u. a. auf das Überangebot an Arbeitskräften sowie eine besonders niedrige Lohnstruktur und die in den 1830er und 1840er Jahren steigenden Preise für die Grundnahrungsmittel. Der Pauperismus war somit nicht eine Folge der beginnenden Industrialisierung, sondern hatte bereits frühere und andersgeartete Ursachen. Er war insbesondere die Begleiterscheinung des Auflösungsprozesses der feudalen Ständeordnung und des tiefgreifenden Übergangs zu einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Entscheidend für die Entstehung der vormärzlichen (also vor 1848) Massenarmut waren die allmähliche Durchsetzung marktwirtschaftlicher Strukturen, die Kommerzialisierung und Kapitalisierung der großbetrieblich organisierten Landwirtschaft, sowie die Aufhebung der traditionellen Privilegien von Handwerkerzünften, Kaufmannsgilden und Bürgergemeinden. Es zeichnete sich somit eine Gesellschaftsordnung im Umbruch ab.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Bevölkerung fast überall schneller als die vorhandenen Erwerbsmöglichkeiten wuchs, während gleichzeitig die bisherigen Möglichkeiten landwirtschaftlicher Selbstversorgung und der landläufigen Existenzsicherung durch die Nutzung der Gemeindeweiden und -wälder oder durch die Lese- und Sammelrechte in den herrschaftlichen Forsten zunehmend stärker beschnitten wurden. Die Diskrepanz zwischen Wachstum der Bevölkerung und Erwerbsmöglichkeiten als charakteristisches Hauptproblem jener Epoche erzeugte ein Umdenken auch im gesellschaftlichen Selbstverständnis hierdurch betroffener Personenkreise. Daher erschien die Notwendigkeit der Auswanderung als zunächst einzige, schnell wirksame Maßnahme, um der wachsenden Verarmung der Bevölkerung entgegenzuwirken.
Hinsichtlich einer planmäßigen Auswanderung bestand allerdings keine einheitliche Position unter den deutschen Staaten. Während z. B. Baden die Auswanderung bis 1855 durch staatliche finanzielle Mittel unterstützte und geschlossene Ortschaften zur Ausreise ermutigte, nahmen Hessen und Württemberg einem solchem Vorgehen gegenüber eine eher ablehnende Position ein. In diesen beiden Staaten befürchtete man nicht nur einen großen Bevölkerungsverlust, sondern auch die fehlende Kapazität, die erheblichen Kosten der organisierten Auswanderung aus dem Staatshaushalt bestreiten zu können. Hinzuweisen ist hierbei allerdings darauf, dass im 19. Jahrhundert in der Regel nicht die ganz armen Bevölkerungsteile nach Nordamerika auswanderten, sondern vielmehr diejenigen, die noch über ausreichend Geld verfügten (oder durch Verkauf ihres Eigentums erlösen konnten), um die Reise über den Atlantik und eine neue Existenzgründung finanzieren zu können. Vermehrt zogen also jene fort, die noch über finanzielle Mittel verfügten, aber befürchteten, auf Dauer zu verarmen.4
Die Entwertung oder der Verlust des heimatlichen Bodens schwächte bei vielen Deutschen daher die traditionelle Verbundenheit zur Heimat. Der Bruch mit der Heimatregion war umso leichter zu ertragen, als die sich stark durchsetzende gesellschaftspolitische Idee des Liberalismus sich mehr auf den Einzelnen und weniger auf die Gemeinschaft