Deutsche Massenauswanderung in den vergangenen drei Jahrhunderten und Rückwirkungen auf die Außenbeziehungen Deutschlands. Manfred P. Emmes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred P. Emmes
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783962298418
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Arbeits- und Steuerkraft sowie Wehrfähigkeit man nicht entbehren zu können glaubte. Ein hartes Auswanderungsverbot erließ z. B. Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz 1752, wo eine geringe Bevölkerung von nur etwa 300.000 Personen die im 17. Jahrhundert erfolgten gewaltsamen Ereignisse und schweren Schäden des Landes überlebt hatte. Zum Auswandern bedurfte es also einer besonderen Erlaubnis, und in den kleinsten Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation versuchte man, die Bewohner möglichst - auch seitens der Kirchengemeinschaften -vom Auswandern abzuhalten. Letztendlich stellten die Bewohner ein für die Fortentwicklung des Landes wichtiges wirtschaftliches Gut und die Männer überdies ein soldatisches Potenzial dar, auf das man als Landesherr nicht leichtfertig verzichten wollte. Insofern gab es Bestimmungen, die jedem Auswanderer ein hohes Abzugsgeld (Nachsteuer, Freigeld), ein Zehntel seines Gesamtvermögens und mehr auferlegten. Dieser Abgabenzwang stellte eine Entschädigung für den Verlust an Arbeitskräften und das aus dem Lande zu verbringende Vermögen dar und wurde in den 1830er und 1840er Jahren auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen sowie später durch eine deutsche Bundesakte aufgehoben. So konnte z. T. der Hofoder Gutsverkauf von Auswanderungswilligen von der jeweiligen Regierung (Bayern 1764) als nichtig erklärt werden. Die Entlassungen aus dem Untertanenverband und der sogenannten Manumission, d. h. der Freilassung aus der Leibeigenschaft, wurden nicht einfach erteilt. Auf die heimliche Auswanderung standen hohe Strafandrohungen, meist Vermögenskonfiskation, in Frankreich, dem klassischen Land des Merkantilismus, außerdem sogar Galeerenstrafen. Dass all dies notwendig war, zeigten die vielen landesherrlichen Edikte über diese Thematik. Auch versuchten die staatlichen Stellen, die Auswanderung dadurch zu erschweren, dass den Auswanderern aus anderen Reichsgebieten der Durchzug versperrt wurde oder die Untertanen strikte Anweisung erhielten, solchen Auswanderern Fahrdienste, Unterkunft und Verpflegung zu verweigern.

      Letztlich führte dies allerdings nur dazu, dass die Auswanderer hierdurch zu weiten Umwegen gezwungen wurden. Auch gingen die deutschen Staaten oft dazu über, jegliche Einflüsse von außen, die zur Auswanderung verleiten konnten, zu unterdrücken. So wurden häufig Auswandererbriefe an die Empfänger nicht weitergeleitet oder auch die Bekanntmachung offener Werbeschriften von großen Landeigentümern aus den begehrten Zielländern verhindert. Den vielen Auswanderungswilligen, die es in Deutschland trotz all dieser Behinderungspraktiken gleichwohl gab, blieb unter den dargelegten Umständen oftmals nichts anderes übrig, als ihr Vorhaben heimlich auszuführen. Eine große Anzahl jedenfalls ließ sich von ihrem Plan nicht abbringen, obwohl ihnen und denjenigen, die sie zur Auswanderung bewegten oder Vorschub leisteten, schwere „Leibes- und Lebensstrafen“ drohten. Das Recht auf Auswanderung im 19. Jahrhundert hatte mit Blick auf diese Ausgangslage erst allmählich an Akzeptanz gewonnen. Der Impuls für diese Änderung der Haltung kam im Wesentlichen von der 1789 in Kraft getretenen französischen Verfassung, doch sollten Beschränkungen noch lange Zeit gängige Praxis bleiben. Förmliche Auswanderungsverbote bestanden in Deutschland noch weitgehend bis ins Jahr 1825.

      In den südwestdeutschen Staaten wurden Auswanderungsanträge hingegen liberaler gehandhabt als in den übrigen deutschen Staaten. In Württemberg hatten Untertanen sogar seit dem frühen 16. Jahrhundert das verbriefte Recht auf „freien Abzug“. In den durch Kriegszüge verwüsteten Staaten nahm die Verarmung immer breiterer Bevölkerungsschichten seit dem 17. und im 18. Jahrhundert bedrohliche Ausmaße an, so dass den Regierenden schließlich ein kontrollierter Bevölkerungsabfluss von Zeit zu Zeit mehr Nutzen als Schaden für das Staatswesen zu bedeuten schien. Bereits 1803 wurde in Baden das Recht auf Auswanderungsfreiheit gesetzlich festgelegt, 1815 folgten Württemberg und 1818 Preußen. Ähnliche Gesetze ergingen in der Folge auch in den übrigen deutschen Staaten. Etwa ab Beginn des 19. Jahrhunderts wurde im Zuge einer liberal verstandenen Freizügigkeit auch die grundsätzliche Auswanderungsfreiheit in den ostdeutschen Ländern gewährt. Die staatlichen Stellen behielten sich auch dort das Recht vor, die Erlaubnis zur Auswanderung und zur Entlassung aus dem Untertanenverband nur unter bestimmten Bedingungen zu erteilen; hierzu gehörte vor allem die Erfüllung der Militärpflicht und die Bezahlung von Schulden.

      Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Grundgedanke all dieser Regelungen zur Beschränkung der Auswanderung und auch der späteren, hierzu ergangenen Gesetze dazu dienen sollte, dass kein Deutscher zum (dauerhaften) Verlassen des Staates berechtigt war, der nicht den klaren Nachweis erbringen konnte, dass er alle Verpflichtungen in seiner Heimat (vor allem die Erfüllung der Militärpflicht und die Bezahlung von Schulden) umfassend erfüllt hatte.

      Aber nicht nur die Auswanderung, sondern auch eine Rückwanderung war oft nicht ohne behördliche Beschränkungen möglich;in Bayern z. B. sah das kurfürstliche Dekret von 1801 vor, dass die Rückkehr in die kurfürstlichen Lande dem Ausgewanderten verboten war. Überdies gab es noch bis in die 1870er Jahre die Bestimmung, dass ein mit oder ohne Bewilligung der Heimatbehörde Ausgewanderter zur Schließung einer Ehe im Ausland der Zustimmung seiner Heimatbehörde bedurfte. Andernfalls drohte ihm in seiner alten Heimat eine hohe Geldstrafe.1

       2.Erste kontinentale Auswanderungswellen nach Südosteuropa und in den peripheren Großstaat Russland im 18. und 19. Jahrhundert

      In der Literatur wird weitgehend Bezug genommen auf die (Massen-) Auswanderung nach Nordamerika, die jedoch nur einen Teil der deutschen Auswanderungsgeschichte vom 18. bis 20. Jahrhundert bildete. Im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts war eine erhebliche deutsche Auswanderung nach Südost- und Osteuropa zu verzeichnen.

      Die kontinentale und überseeische Auswanderung im 18. und 19. Jahrhundert hatte eine nicht unerhebliche Ursache in der markanten Bevölkerungsentwicklung Deutschlands. In den zwei Jahrhunderten nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wuchs die Bevölkerung in Deutschland stark an. Die großen Bevölkerungsverluste des Dreißigjährigen Krieges waren nach rund zwei Generationen, um das Jahr 1700, in etwa wieder ausgeglichen. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts kam es zu einem erheblichen Bevölkerungsanstieg um die Hälfte des Ausgangswertes. Schätzungen legen für das Territorium des späteren Deutschen Reiches die Zunahme von 15 auf 23 Millionen Personen zwischen 1700 und 1800 fest. Ein vergleichbarer Zuwachs, allerdings jeweils in nur einem halben Jahrhundert, erfolgte im Zeitraum 1800 bis 1850 (35 Mio.) sowie im Zeitraum von 1850 bis 1900 (56 Mio.). Die Bevölkerung des Deutschen Bundes nahm zwischen 1816 und 1864, bei unverändertem Besitzstand, um 54 Prozent zu (von 29,8 auf 45,9 Mio. Personen). Allerdings war das Wachstum in den einzelnen Staaten und Regionen unterschiedlich stark. Der Bevölkerungszuwachs Preußens betrug in diesem Zeitraum 86 Prozent (Anstieg von 10,4 auf 19,3 Mio. Personen). Auf der anderen Seite standen die drei süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden, die insgesamt nur einen relativ geringen Anstieg von 33 Prozent zu verzeichnen hatten. Sachsen wies mit 92 Prozent das stärkste Bevölkerungswachstum unter allen Staaten des Deutschen Bundes auf, aber auch die außerhalb des Bundes stehenden preußischen Provinzen Ost- und Westpreußen sowie Posen zeichneten sich durch ein Bevölkerungswachstum von 95 Prozent aus. Insgesamt stieg die Bevölkerung auf dem späteren Reichsgebiet zwischen 1816 und 1864 um 61 Prozent.

      Nach dem somit primär durch signifikante Bevölkerungsvermehrung geprägten Jahrhundert vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, war das Migrationsgeschehen in der Folge immer stärker durch kontinentale und überseeische Auswanderung gekennzeichnet.

      Eine Auswanderungsrichtung ging in die östlichen Provinzen Preußens, die Donauländer der österreichischen Monarchie sowie nach Polen und Russland. Dies hing mit der staatlichen Bevölkerungspolitik zusammen, die im Zeitalter des Absolutismus in fast allen europäischen Staaten praktiziert wurde. Um den nationalen Wohlstand im jeweiligen Land zu heben, versuchte man, viele und strebsame Einwanderer anzuziehen. Diese wurden zur Kolonisation brachliegender Gebiete und zur Förderung des Gewerbesektors angesiedelt. Preußen unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich den Großen sowie Österreich unter Karl VI. und Maria Theresia hatten auf diese Weise viele Tausende Einwanderer aus Süd- und Westdeutschland dazu bewegen können, in ihre Randgebiete im Osten und Südosten des alten Deutschen Reiches zu ziehen. Die preußische Kolonisation im 18. Jahrhundert wurde auf etwa 200.000 städtische und 100.000 ländliche Siedler, die österreichische auf etwa zwei Drittel dieser Anzahl geschätzt.

      Der Beginn der Südostkolonisation fiel