Karl Barth, einer der größten Theologen des zwanzigsten Jahrhunderts, soll auf die Bitte, seine vielbändige Kirchliche Dogmatik zusammenzufassen, mit einem alten englischen Kinderlied geantwortet haben: „Jesus loves me, this I know, for the Bible tells me so.“ („Jesus liebt mich ganz gewiss, denn die Bibel sagt mir dies.“)6
Heute muss die Gemeinde zu ihrer in Vergessenheit geratenen „ersten Liebe“ zurückkehren: „Jesus liebt mich ganz gewiss.“7 Die theologisch präziseste Bekräftigung des christlichen Glaubens ist das kurze Glaubensbekenntnis des Jesus-Manifests, das wir in 1. Johannes 4,16 finden: „Wir glauben an die Liebe, die Gott für uns hat.“8 Es ist eine Liebe, die nicht als ein abstraktes Prinzip erschienen ist, sondern die in der Gestalt einer wirklichen Person, nämlich in Gottes eigenem Sohn zu uns gekommen ist.
Achten Sie auf die Worte des Apostels Johannes: „Wir lieben ihn, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1 Joh 4,19).
Doch wie sollen wir unser Leben als Nachfolger Christi leben? Die Antwort findet sich zwischen den beiden zuletzt genannten Versen: „Denn wie er [Jesus] [ist], sind auch wir in der Welt“ (1 Joh 4,17). Die Bibel verheißt uns nicht einfach nur „ewiges Leben“ (vgl. Joh 3,16), sondern bietet uns auch das Geschenk eines durch Christus gelebten Lebens an: „… damit wir durch ihn leben“ (1 Joh 4,9). Hat uns die Beliebtheit eines einzigen Bibelverses (Johannes 3,16) mit seiner vermeintlichen Betonung des künftigen „ewigen Lebens“ blind gemacht für das, was die Bibel über das Leben im Heute aussagt?
Sie und ich sollen ein lebendiger Brief – das heißt ein „Jesus-Manifest“ – in unserer Welt sein: Eine Stadt auf einem Berg, Salz und Licht.9 Deshalb haben wir das vorliegende Buch geschrieben.
Thomas von Aquin, einer der größten Lehrer und Philosophen der Kirche, sagte, seine Summa Theologica10 sei nichts als Stroh, da Worte auch nicht annähernd das Strahlen des göttlichen Geheimnisses wiederzugeben vermochten. So ist auch dieses Buch nichts weiter als trockenes Stroh, wenngleich es den König der Könige und den Herrn aller Herren zum Thema hat.11 Gleichwohl hoffen wir, dass es in Ihrem Leben ein neues Staunen und neue Einsicht hervorruft – sowohl über den irdischen als auch über den erhöhten und ebenso den innewohnenden Jesus. Aber darüber hinaus ist es unser Wunsch, dass Sie nicht anders können, als sich von seiner Liebe, die er aus Gnade über Sie ausgeschüttet hat, anstecken zu lassen und in Ihrem eigenen Umfeld zu einem Jesus-Manifest zu werden.
Leonard Sweet und Frank Viola
1 Christologie bezeichnet das theologische Nachdenken über Person und Heilswirken Jesu Christi, ihre Auffassungen und Deutungen im Christentum. Die Christologie als zentraler Teilbereich der Systematischen Theologie will die Frage nach der Identität („Natur“) und Bedeutung („Relevanz“) von Jesus Christus für dessen Gemeinschaft, die Kirche, für den einzelnen Gläubigen und für die Welt beantworten (Quelle: wikipedia).
2 Nach Hebr 6,18-20 ist Jesus der Anker unserer Seelen. In Kolosser 1,15-18 schreibt Paulus, dass alles durch ihn besteht.
3 Mt 16,15 (REÜ); [Hervorh. d. Verf.].
4 Vgl. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Suhrkamp, Frankfurt 2003, Teil II.
5 Ludwig Wittgenstein, Last Writings on Philosophy and Psychology: Preliminary Studies, Basil Blackwell, Oxford 1982, 1:61-65, 68-69, 90, 97.
6 Martin Rumscheidt im Nachwort des Herausgebers zu Karl Barth, Fragments Grave and Gay, Collins, London 1971, S. 124.
7 „Jesus Loves Me, this I know“ wurde 1860 von Anna B. Warner geschrieben.
8 Frei übersetzt.
9 Vgl. 2 Kor 3,3 und Mt 5,13-16.
10 Deutsch: Summe der Theologie oder Höchste Theologie. Infolge einer tiefen Gottesbegegnung schrieb Thomas: „Ich kann nicht mehr schreiben. Verglichen mit dem, was ich gesehen habe, kommt mir alles, was ich verfasst habe, wie Stroh vor.“ (Peter Kreeft [Hg.], A Shorter Summa: The Essential Philosophical Passages of St. Thomas Aquinas’ Summa Theologica, Ignatius Press, San Francisco 1993, S. 37).
11 Vgl. 1 Tim 6,15; Offb 19,16.
Kapitel 1: Womit alle Dinge erfüllt sind
Zentrum und auch Peripherie des christlichen Lebens ist nichts und niemand anderes als die Person Jesus Christus selbst. Seine Einzigartigkeit stellt alle anderen Dinge – auch die, die mit ihm verbunden sind – in den Schatten. Mit der Sonne als Mittelpunkt unseres Sonnensystems hat Gott uns ein Sinnbild dafür gegeben, was Christus für uns ist. Ohne die Sonne gäbe es kein Leben auf unserem Planeten. Wir sind ganz und gar von ihr abhängig. Und so, wie die Sonne das Zentrum unseres Sonnensystems ist, ist Christus das Zentrum des Universums und auch unseres eigenen Lebens.
Dietrich Bonhoeffer stellt einmal fest, dass Jesus „Mitte der menschlichen Existenz, Mitte der Geschichte und … Mitte der Natur“ ist.1 Die Geschichte ist seine Geschichte.2 Diese Zusammenhänge hat der britische Autor H. G. Wells folgendermaßen kommentiert: „Ich bin Historiker und nicht gläubig. Dennoch muss ich als Historiker bekennen, dass jener mittellose Prediger aus Nazareth unwiderruflich die Mitte der Geschichte ist. Zweifellos ist Jesus Christus die beherrschende Gestalt der gesamten Geschichte.“3
Doch lässt sich Christus nicht nur in der Mitte finden, sondern auch in den Winkeln und an den Rändern, so, wie die Sonne den ganzen Erdkreis erleuchtet. Ja, Jesus ist nicht nur Herr über das Zentrum und die Außenbezirke – er ist der Gott von allem, was ist. Als der helle Morgenstern erleuchtet er alles Existierende (vgl. Offb 22,16).
Nach zweitausend Jahren leuchtet Jesus heller als je zuvor, und die Strahlen seines Lichts dringen bis in die Schattenreiche der Finsternis. Christus in der Tiefe und tatsächlich zu kennen, ist das vorrangige Ziel des Christseins. Der Herr wünscht sich mehr als alles andere, dass wir ihn erkennen.4 Wir sind „in die Gemeinschaft seines [Gottes] Sohnes berufen worden“.5
Gottes Interesse gilt weniger der Reparatur all dessen, was in unserem Leben schiefgegangen ist; weit mehr möchte uns Gott in unserer Zerbrochenheit finden und mit Christus beschenken. Wenn Christus