Einen ähnlich großen Effekt wie Steuererleichterungen können auch Bürokratieerleichterungen haben. Man kann sich vorstellen, wie die Welle an Formularen, die auf Neugründer erbarmungslos zurollt, Enthusiasmus dämpfen kann. Vom Notar zum Handelsregister, vom Ordnungsamt zum Finanzamt: Gründer müssen einen »Bürokratiemarathon« durchstehen, bevor sie durchstarten können. Junge Unternehmer gestalten die digitale Welt, verzweifeln jedoch häufig an einer analogen Verwaltung. Um Start-ups gerade in den ersten Jahren von Bürokratie entlasten zu können, müssen wir auf europäischer Ebene abgrenzen, welche Unternehmen wie lange und bis zu welcher Größe als Start-ups gelten sollen. Erst wenn wir diese Definition haben, bekommen wir den Weg frei für umfassenden »Welpenschutz« – etwa bei Nachweispflichten, Dokumentationen und vielleicht sogar im Arbeitsrecht.
Den großen Märkten in den USA oder China begegnen wir am besten mit einem gemeinsamen Start-up-Binnenmarkt. Nur so entsteht ein geeigneter Raum für die schnelle Skalierung von Geschäftsmodellen. Eine wichtige Aufgabe kann der EU auch im weiteren Wachstumsverlauf zukommen. Groß zu werden ist schon sehr schwierig, groß zu bleiben noch schwieriger. Ist ein neues Unternehmen – gerade in den digitalen Sektoren – erfolgreich, hagelt es Kaufangebote wie bei Fußball-Jungstars. Die Offerten kommen regelmäßig aus dem Ausland, sind häufig milliardenschwer und stammen oft von Wettbewerbern (man denke nur an Facebooks erfolgreiche Jagd auf WhatsApp und Instagram). In Europa gibt es nur wenig bis keine solcher Käufer.
Als Antwort bietet sich eine Forcierung europäischer Börsengänge an. Denn die Supertanker aus China und den USA sind alle börsennotiert und wegen ihrer entsprechenden Größe potenzielle Aufkäufer. Hier kann ein entsprechendes europäisches Börsensegment helfen – und ein europäischer Market Maker. Die Europäische Investitionsbank (EIB) sollte den Auftrag bekommen, sich gezielt an Erstnotierungen zu beteiligen. Das kann zuerst den Börsengang erleichtern und danach in den meist sehr volatilen ersten Börsenmonaten für mehr Liquidität bei den Aktien sorgen.
1.5 Transfer exzellenter Forschung und Entwicklung in exzellente junge Unternehmen
Um die dritte Säule eines verbesserten Ökosystems zu stärken, das Wissen, müssen wir die Universitäten zu kräftigeren Treibern der Gründungs- und Transformationsdynamik machen – wie schon im 19. Jahrhundert in Deutschland und wie heute in den USA. Natürlich spielen auch im heutigen Deutschland die Universitäten eine entscheidende Rolle für die Entwicklung marktträchtiger Ideen. Deutschland gibt anteilig mehr für Forschung aus als die USA, China oder Frankreich; von 2005 bis 2018 haben sich die Forschungsausgaben des Bundes verdoppelt. Technische Hochschulen wie die RWTH Aachen oder die TU München haben einen hervorragenden Ruf. Auch Institutionen wie die wirtschaftsnahen und praxisorientierten Fraunhofer-Institute suchen in der Welt ihresgleichen. Mit den Worten von Hans-Jörg Bullinger, dem früheren Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft: »Forschung macht aus Geld Wissen, Innovationen machen aus Wissen Geld«.
Denn so gut der Wissenstransfer zwischen Hochschulen und den bestehenden deutschen Unternehmen oft funktioniert, so sehr fehlt es an Aus- und Neugründungen. Und an Storys wie der von Larry und Sergey, zwei Studenten der kalifornischen Universität Stanford, die 1997 während ihres Studiums eine zündende Idee entwickelten. Bereits nach wenigen Wochen wandten sie sich an Professor David Cheriton, um über Möglichkeiten der Finanzierung zu sprechen. Cheriton empfing die beiden nonchalant auf seiner Veranda, gab ihnen den Rat: »If you have a baby, you need to raise it« und stellte ihnen einen Scheck über 200.000 Dollar aus – der die ersten Schritte von Google finanzierte und Larry (Page), Sergey (Brin) und ihn selbst zu Milliardären machte. 2011 waren bereits rund 1.300 Stanford-Absolventen bei Google angestellt. Auch in Deutschland gibt es viele Studenten, Absolventen, Doktoranden, Assistenten, die an der Universität eine zündende Idee entwickeln. Aber nur die wenigsten von ihnen schaffen es, daraus marktfähige Produkte und florierende Unternehmen zu machen – denn der Weg von der Forschungsphase bis zur Markteinführung führt in der Regel durch das sog. Death Valley, in dem die notwendigen Investitionen steigen und die Erlöse noch nicht da sind. Für diese Durststrecke bis zum Marktstart benötigen die meisten Start-ups eine Finanzierung. Wenn wir solche Start-ups fördern wollen, müssen die Universitäten selbst zu Investitionsökosystemen werden – ein eigener Universitätsfonds kann dazu beitragen.
Der Universitätsfonds stellt ausgewählten Universitäten Kapital für Beteiligungen an Start-ups zur Verfügung, sofern dies auch Privatinvestoren zu denselben Konditionen tun. Diese Bedingung soll dafür sorgen, dass es beim University Venture Capital nicht zu Gefälligkeitsinvestitionen kommt, sondern tatsächlich ein Markterfolg anvisiert wird. Zusätzliche Privatinvestoren sollen den Fonds aufstocken. Als Vorbild kann in diesem Fall »Oxford Sciences Innovation« dienen. Das Venture-Capital-Unternehmen unterhält eine Partnerschaft mit der University of Oxford und sammelte bereits im Gründungsjahr 2015 bei prominenten Finanziers wie Google rund 600 Millionen Pfund ein, um sich an Ausgründungen aus der britischen Universität zu beteiligen.
1.6 Die Mitarbeiter stehen im Zentrum der neuen Gründerzeit
Die vierte Säule unseres Start-up-Ökosystems gehört den Mitarbeitern. Start-ups müssen bei der Suche nach hochqualifizierten Talenten unterstützt werden. Rund zwei Drittel der deutschen Start-ups klagen über Schwierigkeiten bei der Personalsuche, weil etablierte Unternehmen mehr Sicherheit und höhere Gehälter bieten. Im globalen War for Talents bekommen sie die jungen und risikoaffinen, nicht aber die erfahrenen und stabilisierenden Mitarbeiter. Daher setzen viele Start-ups auf eine moderne Unternehmenskultur, flache Hierarchien, verantwortungsvolle Aufgaben und eben Mitarbeiterbeteiligungen, die Angestellte am Erfolg des Unternehmens teilhaben lassen.
Mitarbeiterbeteiligungen können die Wettbewerbsnachteile der Start-ups verringern, indem sie bei langfristiger Bindung eine Aussicht auf zusätzliche Entlohnung eröffnen. Zudem machen sie Mitarbeiter im besten Fall zu Business Angels und seriellen Entrepreneuren, die ihr Geld nach und nach in weitere, ob eigene oder andere Start-ups stecken und sie über die wechselseitigen Beteiligungen noch enger vernetzen. Im Falle eines Exits bedeutet das, dass Mitarbeiter wie die Gesellschafter einen Teil des Verkaufspreises erhalten. Bei sehr guten Exits kann dieser kleine Teil durchaus in die Tausende gehen, und es ist diese Aussicht, die viele dazu bewegt, Abstriche beim Festgehalt im Vergleich zum Konzerngehalt zu machen. Mitarbeiterbeteiligungen im Falle eines Exits sind also enorm wichtig, sowohl für die Angestellten als auch für die Start-ups selbst. Nicht selten ist die Form der Beteiligung eine der ersten Fragen, die in Bewerbungsgesprächen gestellt werden.
Was sich in der Theorie einfach anhört, erweist sich in der Praxis allerdings oft als schwierig. Mitarbeiterkapitalbeteiligungen verfolgen im Grunde zwei Ziele: Sie sollen erstens motivieren; das wird durch die Teilhabe am Exit-Erlös und die Aussicht auf eine überproportionale Vergütung erreicht. Zweitens sollen wichtige Angestellte an das Unternehmen gebunden werden. Darum wird die Beteiligung nicht schon zu Beginn eingeräumt, sondern über typischerweise zwei bis drei Jahre mit kontinuierlichem Zuwachs erarbeitet (Anwachsungsklausel) und darüber hinaus vereinbart, dass die Beteiligung bei früherer Kündigung ganz oder teilweise verfällt (Verfallsklausel). Beide Klauseln sind mit der GmbH als häufigster Rechtsform der Start-ups kaum wirtschaftlich umzusetzen. Denn jede Anteilsübertragung bedarf einer notariellen Beurkundung und Aktualisierung des Handelsregisters. Zudem bringen echte Anteile auch unabdingbare Informations-, Einsichts-, Anfechtungs- und Stimmrechte mit sich, die Gesellschafterversammlungen sehr kompliziert machen. Anders als die AG ist die GmbH also schon strukturell nicht auf viele und häufig wechselnde Minderheitsgesellschafter ausgelegt.
Von daher könnte man meinen, dass die AG die Gesellschaftsform der Wahl sei – was wenig verwundern würde. Schon in der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts hatte das Gesellschaftsrecht zur dynamischen Entwicklung beigetragen – nach gründlicher Vorarbeit. Den Stein-Hardenberg-Reformen ab 1807 folgte eine ganze Kaskade von juristischen Reformen. Nach dem Urheberschutzgesetz von 1837 wurde 1843 das preußische Aktienrecht eingeführt, 1861 folgte mit dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch das erste gesamtdeutsche Gesetzbuch, 1877 das Deutsche Patentgesetz. Als Gottlieb Daimler 1884 in seinem Gewächshaus mit Wilhelm Maybach am Verbrennungsmotor bastelte