WALBURGA.
Du, ich habe mir lassen die Karten legen.
SPITTA.
Das ist Unsinn, Walburga. Das sollst du nicht.
WALBURGA.
Ich schwöre dir, Erich, es ist kein Unsinn. Sie hat mir gesagt, ich hätte einen heimlichen Bräutigam, und der sei Schauspieler. Natürlich hab’ ich sie ausgelacht, und gleich darauf sagt Mama, du wirst Schauspieler.
SPITTA.
Tatsächlich?
[55]WALBURGA.
Tatsächlich! Und dann hat mir die Kartenlegerin noch gesagt, wir würden durch einen Besuch viel Not haben.
SPITTA.
Mein Vater kommt nach Berlin, Walburga, und das ist allerdings wahr, daß uns der Alte Herr etwas zu schaffen machen wird. – Vater weiß das nicht, aber ich bin mit ihm innerlich längst zerfallen, auch ohne diese Briefe, die mir hier in der Tasche brennen und mit denen er meine Beichte beantwortet hat.
WALBURGA.
Über unserm verunglückten Rendezvous hat wirklich ein böser, neidischer, giftiger Stern geschwebt. Wie habe ich meinen Papa bewundert! Aber seit jenem Sonntag werde ich aller Augenblick’ rot für ihn, und sosehr ich mir Mühe gebe, ich kann ihm seitdem nicht mehr gerade und frei ins Auge sehn.
SPITTA.
Hast du mit deinem Papa auch Differenzen gehabt?
WALBURGA.
Ach, wenn es bloß das wäre! Ich war stolz auf Papa! Und jetzt muß ich zittern, wenn du es wüßtest, ob du uns überhaupt noch achten kannst.
SPITTA.
Ich und verachten! Ich wüßte nicht, was mir weniger zukäme, gutes Kind. Sieh mal: ich will mit Offenheit gleich mal vorangehn. Eine sechs Jahre ältere Schwester von mir war Erzieherin, und zwar in einem adligen Hause. Da ist etwas passiert … und als sie im Elternhaus Zuflucht suchte, stieß mein christlicher Vater sie vor die Tür. Er dachte wohl: Jesus hätte nicht anders gehandelt! Da ist meine Schwester allmählich gesunken, und nächstens werden wir beide mal nach dem kleinen sogenannten Selbstmörderfriedhof bei Schildhorn gehn, wo sie schließlich gelandet ist.
[56]WALBURGA
(umarmt Spitta). Armer Erich, davon hast du ja nie ein Wort gesagt.
SPITTA.
Das ist eben nun anders: ich spreche davon. Ich werde auch hier mit Papa davon sprechen, und wenn es darüber zum Bruche kommt. – Du wunderst dich immer, wenn ich erregt werde und wenn ich mich manchmal nicht halten kann, wo ich sehe, wie irgendein armer Schlucker mit Füßen gestoßen wird, oder wenn der Mob etwa eine arme Dirne mißhandelt. Ich habe dann manchmal Halluzinationen und glaube am hellichten Tage Gespenster, ja meine leibhaftige Schwester wiederzusehn.
(Pauline Piperkarcka, ebenso wie früher gekleidet, tritt ein. Ihr Gesichtchen erscheint bleicher und hübscher geworden.)
DIE PIPERKARCKA.
Jun Morjen.
FRAU JOHN
(hinter dem Verschlage). Wer ist denn da?
DIE PIPERKARCKA.
Pauline, Frau John.
FRAU JOHN.
Pauline? – Ick kenne keene Pauline.
DIE PIPERKARCKA.
Pauline Piperkarcka, Frau John.
FRAU JOHN.
Wer? – Denn wachten Se man ’ne Minute, Pauline.
WALBURGA.
Adieu, Frau John.
FRAU JOHN
(erscheint vor dem Verschlage, schließt sorgfältig den Vorhang hinter sich). Jawoll! Ick ha mit det Freilein wat zu verabreden. Seht ma, det ihr naus uff de Straße kommt. (Spitta und Walburga schnell ab. Frau John schließt die Tür hinter beiden.) Sie sind et, Pauline? Wat wollen Se denn?
DIE PIPERKARCKA.
Wat werde wollen? Et hat mir herjetrieben. Habe nich länger warten können. Muß sehn, wie steht.
[57]FRAU JOHN.
Wat denn? Wat soll denn stehn, Pauline?
DIE PIPERKARCKA
(mit etwas schlechtem Gewissen). Na, ob jesund is, ob jut in Stand.
FRAU JOHN.
Wat soll denn jesund, wat soll denn in Stande sind?
DIE PIPERKARCKA.
Dat sollen woll wissen von janz alleine.
FRAU JOHN.
Wat soll ick denn von alleene wissen?
DIE PIPERKARCKA.
Ob Kind auch nich zujestoßen is.
FRAU JOHN.
Wat for’n Kind? Un wat zujestoßen? Reden Se deitsch! Se blubbern ja man keen eenziget richtiget deitsches Wort aus de Fresse raus.
DIE PIPERKARCKA.
Wenn ick nur sagen, was wahr is, Frau John.
FRAU JOHN.
Na wat denn?
DIE PIPERKARCKA.
Mein Kind …
FRAU JOHN
(haut ihr eine gewaltige Backpfeife). … Det sache noch mal, un denn kriste so lange den Schuh um de Ohren, bis et dir vorkommt, det du ’ne Mutter von Drillinge bist. Nu raus! Un nu laß dir nich wieder blicken!
DIE PIPERKARCKA
(will fort. Rüttelt an der Tür, die aber verschlossen ist). Hat mir jeschlagen, zu Hilfe, zu Hilfe! Brauche mir nich jefallen zu lassen! (Weinend.) Aufmachen! Hat mir mißhandelt Frau John!
FRAU JOHN
(vollkommen umgewandelt, umarmt Pauline, sie so zurückhaltend). Pauline, um Jottes willen, Pauline! Ick weeß nich, wat in mir jefahren hat! Sein Se man jut, ick leiste ja Abbitte! Wat soll ick tun? Pauline, soll ick fußfällig uff de Knie, Pauline, Pauline, Abbitte tun?
DIE PIPERKARCKA.
Was haben mir ins Jesicht jeschlagen? [58]Ick jehe zu Wache und zeigen an, det mir hier ins Jesicht jeschlagen hat. Ick zeigen an, ick gehen zu Wache.
FRAU JOHN
(hält ihr Gesicht hin). Da! hauste mir wieder in’t Jesicht! denn is et jut! denn is et verjlichen.
DIE PIPERKARCKA.
Ick jehe zu Wache …
FRAU JOHN.
Denn is et verjlichen. Ick sache, Mächen, denn is et, Mächen, sag’ ick, akkurat mit de Waage verjlichen! Wat wiste nu, Mächen? Nu jeradezu.
DIE PIPERKARCKA.
Wat soll mich nützen, wenn Backe jeschwollen is.
FRAU JOHN
(haut sich selbst einen Backenstreich). Da! Meine Backe is ooch jeschwollen. Mächen, hau zu, und jeniere dir nich. – Un denn komm, denn raus, watte uff’n Herzen hast. Ick will mittlerweile … ick koche inzwischen for Sie und for mir, Freilein Pauline, ’n rechten juten Bohnenkaffee, Jott weeß et, und keene Zichorientunke.
DIE PIPERKARCKA
(weicher). Warum sin denn auf einmal so niederträchtig und jrob zu mich armes Mächen, Frau John?
FRAU JOHN.
Det is et! det mecht’ ick alleene wissen! Komm Se, Pauline, setzen sich. So! Scheeneken sag’