Auf der Systemebene gibt es verschiedene Aspekte, die jeweils förderliche als auch hinderliche Faktoren für die Implementierung von Patientenzentrierung darstellen können. Hierzu zählen u.a. Vergütungssysteme, Akkreditierungs- und Zertifizierungsrichtlinien, Qualitätsindikatoren, Versorgungsleitlinien, Gesetzgebung, Aus- und Weiterbildungscurricula (Scholl et al. 2018).
4.4.3 Förderung der Umsetzung
Die Umsetzung von Patientenzentrierung lässt sich auf den im Kapitel I.4.4.2 beschriebenen drei Ebenen fördern.
Park et al. (2018) fassten Studien zu patientenzentrierten Interventionen zusammen, die sich auf der individuellen Ebene als wirksam zeigten. Die häufigsten Interventionen auf Patientenebene bezogen sich auf die Verbesserung der physischen Unterstützung der Patienten und Patientinnen z.B. durch die Berücksichtigung ihrer individuellen Bedürfnisse, ihrer Krankheitsgeschichte, sowie ihrer Fähigkeiten und Werte. Weitere Interventionen zielten auf verbesserte Informationen, z.B. durch speziell auf die Bedürfnisse zugeschnittene Schulungen und Informationsmaterialien; auf das Empowerment und die Stärkung der Selbstverantwortung; sowie die emotionale Unterstützung z.B. durch das Adressieren von Ängsten und Sorgen in der Behandlung, ab. Auf der Ebene der Familienangehörigen gab es Interventionen zur Verbesserung der Informationsvermittlung über die Erkrankung des Familienmitglieds und der Beteiligung an Behandlungsentscheidungen. Behandlerseitige Interventionen umfassten Schulungsprogramme, sowie Unterstützung bei der Koordination und Kontinuität der Behandlung, sowie zur Zusammenarbeit im Team.
Auf der Ebene der Umsetzung in Gesundheitseinrichtungen sollten vier Aspekte beachtet werden
1. Prozesse (wie Rechtzeitigkeit oder Flexibilität in der Versorgung),
2. Strukturen (technische-technologische Infrastruktur oder Arbeitsbelastung),
3. Strategien (Belohnungen durch die Organisation und Unterstützung durch die Vorgesetzten) sowie
4. Kultur und Klima (Kultur der Zusammenarbeit und Arbeitsatmosphäre).
So ist eine patientenzentrierte Versorgungsstruktur zum Beispiel gekennzeichnet durch ausreichend Personal, sodass die Arbeitsbelastung pro Kopf nicht überfordernd wird und Behandelnde sich mit einem größeren Wohlbefinden und ausreichend Zeit den Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten widmen können (Hower et al. 2019).
Umsetzung fand dies zum Beispiel im US-amerikanischen Patient-Centered-Medical-Home-Model (Nelson et al. 2017a). In diesem Ansatz wird die medizinische Versorgung von einem persönlichen Behandler (Arzt oder Ärztin) koordiniert und ist auf Langzeitbegleitung und Kontinuität ausgerichtet. Der persönliche Behandelnde arbeitet im Austausch mit einem Behandlerteam welches für die Gesamtheit der Behandlung verantwortlich ist. Die Rolle des Behandelnden ist die Verantwortlichkeit für die Berücksichtigung des Patienten oder der Patientin als „ganze Person“.
In Deutschland zeigt das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf im Rahmen der Initiative „Forum Patientenorientierung“ ein weiteres Beispiel für die Umsetzung. Hierzu werden wissenschaftliche Erkenntnisse, die Auswertungen der kontinuierlichen Patientenbefragung, die Rückmeldungen aus dem Lob- und Beschwerdemanagement und direkte Mitarbeiterimpulse genutzt um die Festschreibung der konsequenten Patientenorientierung im Konzernleitbild mit Leben zu füllen. Außerdem hat das Modell Eingang in die Lehre der Medizinstudierenden gefunden.
Auf der Systemebene ist es wichtig zu berücksichtigen, dass eine patientenzentrierte Arbeitsform auch auf der Vergütungsebene abgebildet werden muss. Ein rezentes Modellprojekt aus den Niederlanden konnte aufzeigen, dass Veränderungen im Vergütungsmodell zusammen mit strukturellen und kulturellen Veränderungen zu einer besseren und patientenzentrierten Versorgung bei gleichzeitig niedrigeren Kosten führen können (van Leersum et al. 2019).
Die Relevanzforderungen nach einer patientenzentrierten Gesundheitsversorgung auch konsequent auf politischer Seite zu fördern ist auch in Deutschland angekommen. So zeigt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit weiteren Akteuren ein großes Anliegen in der Förderung von Aktivitäten zur Patientenzentrierung im Gesundheitswesen (Horch et al. 2012). Dazu gehören u.a. die organisierte Selbsthilfe, die Ernennung eines oder einer Patientenbeauftragten der Bundesregierung, das Mitberatungs- und Antragsrechts der Patientenvertreterinnen und -vertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss und anderen Gremien, der Einbezug von Patientenvertreterinnen und -vertretern in der Erstellung von Leitlinien und Patientenleitlinien, sowie die Etablierung einer kostenfreien und unabhängigen Patientenberatung durch die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD).
Weitere Beispiele sind das „Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V.“, die „Allianz für Gesundheitskompetenz“, aber auch der Nationale Krebsplan, sowie die Verankerung des Themas im nationalen Zieleprozess „gesundheitsziele. de“. Die Inhalte dieser Initiativen zur Förderung der Patientenzentrierung sollen ständig aktualisiert und verbessert werden. Teil dieser Strategie war auch das Projekt „Kommunikation und Information im Gesundheitswesen aus Sicht der Bevölkerung. Patientensicherheit und informierte Entscheidung“ (KomPaS) (BMG 2019). Die Studie zeigte, dass sich die sich der Großteil an Menschen bzgl. ihrer Gesundheit gut informiert fühlten, die selbsteingeschätzte Gesundheitskompetenz erreichte jedoch für die Hälfte der 5.053 Befragten nur eher niedrige Werte. In Bezug auf die Patientensicherheit sollen in Zukunft die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten im Sinne von Kommunikation, Beschwerdemanagement und Zufriedenheit stärker berücksichtigt werden. Die Verbesserung von informierten Entscheidungen soll durch die Einführung von organisierten Krebsfrüherkennungsprogrammen z.B. zur Früherkennung von Darmkrebs mit regelmäßigen Einladungen und detaillierten Versicherteninformationen erreicht werden, um die informierte Inanspruchnahme zu steigern.
In der ärztlichen Beratung sollen entsprechend der im Präventionsgesetz genannte Präventionsempfehlung das Gesundheitsverhalten (z.B. Ernährung, körperliche Aktivität, Gewicht, Stressmanagement, Impfen, Rauchen, Alkoholkonsum) von Patientinnen und Patienten stärker thematisiert und gefördert werden.
4.5 Patientenzentrierung in der Integrativen Medizin
Patientenzentrierung wird als fundamentaler Bestandteil für die Arbeit in der Integrativen Medizin angesehen (Maizes et al. 2009; George 2015). In ihrem Mittelpunkt steht die therapeutische Beziehung zwischen Behandler und Patient, der Fokus liegt auf der gesamten Person und ihren Lebensbedingungen und es werden sowohl konventionelle evidenzbasierte wie auch alternative und komplementäre Behandlungsansätze (Complementary and Alternative Medicine = CAM) angewandt. Gleichzeitig haben neuere Ansätze von Patientenzentrierung, die Integration medizinischer und nicht-medizinischer Versorgung (siehe Dimension nach Scholl et al. 2014) im Sinne der Integrativen Medizin ebenfalls als explizite Komponente für eine umfassende Praxis von Patientenzentrierung mit aufgenommen. Die Relevanz von Integrativer Medizin als Teil von Patientenzentrierung mit dem Ziel die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern zeigt sich auch in der Umsetzung von Integrativer Medizin zum Beispiel in den Patient-Centered Medical Home Models (Nelson et al. 2017a). Dies kann auch als Reaktion auf die steigende Nutzung von CAM gesehen werden. Laut des National Health Interview Survey (NHIS) nutzen mehr als ein Drittel der US-Amerikaner CAM und dabei wird der größte Teil der Kosten für die Behandlungen von den Menschen selbst getragen. In Europa nutzt laut einer Studie von 2012 jeder zweite Bürger CAM (DAEB 2012). Ein Einbezug von CAM im Sinne der Integrativen Medizin kann somit auch als Berücksichtigung der individuellen Wünsche und Präferenzen der Patientinnen und Patienten zu einer ganzheitlichen Behandlung gesehen werden und erfüllt somit die Prämisse