2. bestmöglicher Gesundheitsstatus für alle Bevölkerungsgruppen,
3. höhere Wirtschaftlichkeit und
4. bessere Arbeitsbedingungen und Wohlbefinden der Leistungserbringer.
Die Verbesserung der Patientenzentrierung nimmt im ersten Ziel dieses viel beachteten Konzeptes eine zentrale Rolle ein.
Auch in Deutschland hangelte sich das Konzept der Patientenzentrierung hoch auf die Agenda. Seit dem Jahr 2000 werden die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen für mehr Bürger- und Patientenzentrierung weiterentwickelt. So wurden in den letzten zwanzig Jahren verschiedene Förderschwerpunkte zur Patientenorientierung ins Leben gerufen.
Auf legislativer Ebene wurden 2013 die Rechte der Patienten sowie der Behandelnden in Hinblick auf Patientensicherheit, Patienteninformation und -beteiligung im „Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ (Patientenrechtegesetz) verankert (BMG 2013).
4.2 Definitionen
In der Gesundheitsversorgung und Forschung gibt es eine Vielzahl von Definitionen die Patientenzentrierung beschreiben. Sie stimmen vor allem darin überein, dass es sich um die Veränderung von einem traditionellen, paternalistischen und krankheitsorientierten Versorgungsansatz hin zu einem Ansatz in welchem die individuellen Präferenzen, Bedürfnissen und Werten des einzelnen Patienten jede Phase der medizinischen Konsultation, Behandlung und Nachsorge lenken (Committee on Quality of Health Care in America – Institute of Medicine 2001). Eine etwas umfassendere Definitionen liefern zum Beispiel Gerteis et al. (1993), oder Mead und Bower (2000).
Bei genauerer Betrachtung zeigt eine fehlende Übereinstimmung in den Definitionen von Patientenzentrierung, was die Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der Ergebnisse von wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Konstrukt erschweren.
Die semantische Komplexität erhöht sich durch die parallele Nutzung Begriffs der „Personenzentrierung“, beispielsweise von der Weltgesundheitsorganisation.
Die beschriebene Komplexität des Begriffs wurde Rahmen einer systematischen Übersichtarbeit von Scholl et al. (2014) adressiert. Es wurden die in der wissenschaftlichen Literatur beschriebenen Konstrukte und Definitionen der Patientenzentrierung identifiziert und in dem Integrativen Modell der Patientenzentrierung zusammengefasst (Scholl et al. 2014). Das Modell umfasst drei Bereiche mit jeweils mehreren Dimensionen: 1) Grundprinzipien (grundlegende Eigenschaften der Behandelnden, Behandler/in-Patient/in-Beziehung, Patient/in als Individuum, biopsychosoziale Perspektive), 2) Handlungen und Maßnahmen (Patienteninformation, Patientenbeteiligung an Versorgungsprozessen, Beteiligung von Familienangehörigen und Freunden, Empowerment von Patientinnen und Patienten, physische Unterstützung, psychische Unterstützung) und 3) förderliche Faktoren (Integration medizinischer und nicht-medizinischer Versorgung, Zusammenarbeit und Teamentwicklung, Zugang zur Versorgung, Koordination und Kontinuität der Versorgung, Behandler/in-Patient/in-Kommunikation). In einer weiteren Studie wurde das Modell um den Aspekt der Patientensicherheit erweitert (Zeh et al. 2019).
Abb. 1 Integratives Modell der Patientenzentrierung mit 16 Dimensionen (Scholl et al. 2014; Zeh et al. 2019)
In einer Validierungsstudie beurteilten unterschiedliche Experten und Expertinnen aus dem Gesundheitswesen sowie Patientenvertreter und -vertreterinnen alle Dimensionen als sehr relevant für die Versorgung. Dabei wurden die Dimensionen Patienteninformation, Patient als Individuum, Patientenbeteiligung an Versorgungsprozessen, Behandler-Patient-Kommunikation, sowie Empowerment des Patienten unter fünf wichtigsten Bereiche der Patientenzentrierung gewählt (Zill et al. 2015). Das Modell erfüllt somit auf theoretischer Ebene den Anspruch, vorherige Definitionen und Konstrukte der Patientenzentrierung zusammenzufassen und zu integrieren.
4.3 Relevanz des Konzeptes
Die Relevanz von Patientenzentrierung bedarf eigentlich keiner separaten Erklärung. Die Belange des Patienten oder der Patientin in den Mittelpunkt zu stellen, ist zentraler Bestandteil des Genfer Gelöbnisses, welches in der Neufassung von 2017 die Patientenautonomie stärkt (Parsa-Parsi 2017). Neben dem ethischen Imperativ und den Forderungen von Seiten der politischen Entscheidungsträger, wissen wir, dass auch viele Patientinnen und Patienten darauf drängen besser informiert und in Behandlungsentscheidungen einbezogen zu werden.
Auch wissenschaftlich deuten Studienergebnisse auf die hohe Relevanz von Patientenzentrierung für gesundheitsbezogene Outcomes hin. Es wurden positive Assoziationen von Patientenzentrierung mit dem Gesundheitszustand- und verhalten (Dwamena et al. 2012), dem Wissen über die Erkrankung (McMillan et al. 2013), dem Wohlbefinden, der Adhärenz und der Patientenzufriedenheit (Rathert et al. 2013) gefunden, welche allesamt mit der Rekonvaleszenzzeit in Verbindung stehen und damit die gesamte Behandlung beeinflussen (Rathert et al. 2013). Neben Vorteilen für den einzelnen Patienten oder die einzelne Patientin, werden in der Literatur positive Effekte von Patientenzentrierung auf anderen Ebenen beschrieben, was im Einklang mit dem oben beschriebenen Quadruple-Aim-Framework (Bodenheimer u. Sinsky 2014) steht. So zeigte eine Studie (Bertakis u. Azari 2011), dass eine patientenzentrierte Versorgung mit geringen Kosten assoziiert war. Einzelne Studien zeigen auch positive Effekte von Patientenzentrierung auf das Stresserleben der Behandelnden sowie eine erhöhte Zufriedenheit mit dem Job (Barbosa et al. 2015).
Nichtsdestotrotz fehlt es aufgrund der unklaren Begriffsverwendung und der damit im Zusammenhang stehenden Heterogenität an Outcomes an ausreichenden und vergleichbaren Studien zu den Effekten von Patientenzentrierung.
4.4 Umsetzung
4.4.1 Aktuelle Umsetzung
Über die Bedeutsamkeit von Patientenzentrierung für eine zuverlässige und sichere Gesundheitsversorgung herrscht Einigkeit. Auch ist die Relevanz aus Patientenperspektive unumstritten (Zeh et al. 2019). Jedoch fehlt es noch immer an Konzepten für eine systematische Umsetzung in der Praxis.
Ein Hauptgrund hierfür ist der bisherige Mangel an ausführlichen Leitlinien zur Umsetzung (z.B. Frampton et al. 2017), wodurch bisher wenig von der patientenzentrierten Versorgung in der Praxis angekommen ist. Diese Wahrnehmung lässt sich auch in den Ergebnissen von Zeh und Kollegen (2019) wiederfinden, in denen die befragten Patientinnen und Patienten angaben, dass sie keine der Dimensionen des integrativen Modells der Patientenzentrierung (Scholl et al. 2014) bisher ausreichend gut in der deutschen Gesundheitsversorgung umgesetzt sehen.
4.4.2 Barrieren und förderliche Faktoren
Es stellt sich die Frage, welche Faktoren die Umsetzung von Patientenzentrierung positiv beeinflussen oder sie behindern. Einflussfaktoren auf die Umsetzung lassen sich sowohl auf individueller Ebene (des einzelnen Leistungserbringers oder des einzelnen Patienten oder der Patientin), als auch auf der Ebene von Gesundheitseinrichtungen (z.B. Krankenhäuser, Praxen, ambulante Versorgungszentren) und auf übergeordneter Ebene des Gesundheitssystems (z.B. Selbstverwaltung, Patientenrechte, Gesundheitspolitik) identifizieren (Scholl et al. 2018).
Auf individueller Ebene lässt sich beispielsweise ein falsches Verständnis von Patientenzentrierung als Erklärung für eine unzureichende Umsetzung heranziehen. So zeigten Fix et al. (2018), dass Personen in Führungspositionen von Gesundheitseinrichtungen den Begriff Patientenzentrierung so breit verstanden, dass darunter quasi alle Aspekte der Einrichtung fielen. Diese fehlende Konzentration auf die Kerndimensionen von Patientenzentrierung erschwert die konkrete Umsetzung und Messbarkeit des Ansatzes. Umgekehrt fassten andere den Begriff so eng, dass er sich lediglich auf spezifische Disziplinen bezog oder aber sie befanden Patientenzentrierung als etwas, was sie bereits immer getan hätten. Dies verhindert ebenfalls eine umfassende Umsetzung durch die Ablehnung von neuen Initiativen und Verantwortung. Es besteht die Gefahr, dass der Begriff Patientenzentrierung