IM AUGE DES FEUERS. Robert Blake Whitehill. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Blake Whitehill
Издательство: Bookwire
Серия: Blackshaw
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958356207
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hatte, als ob er einen Ausschlag kratzte, zog er schließlich etwas hervor, behielt es aber in seiner Hand verborgen.

      »Ich zeig’ dir was, großer, böser Ben. Ich zeig’ dir, was ich denke, was den Einsatz eines guten Mannes wert ist.«

      Nach einem verstohlenen Blick nach links und rechts, der so deutlich und auffällig war wie der eines Stummfilm-Bösewichts, öffnete er langsam seine Hand.

      Blackshaw war sich einen Augenblick lang nicht sicher, was er da ansah. Colquettes Augen brannten, gespannt auf seine Reaktion. Der Gegenstand, ein Knäuel schwarzer, gekräuselter Fäden war mit Fusseln und anderen Staubpartikeln bedeckt. Blackshaw versuchte zu verstehen, was er Colquettes Meinung nach sofort erkennen müsste. Es schien so, als hatte Colquette einen Friseurladen mit mindestens einem schwarzen Kunden besucht und aus Gründen, die einzig und allein ihm bekannt waren, eine Handvoll Haarbüschel vom Boden aufgelesen.

      Colquette knetete das Haarknäuel und schob es in seiner Hand hin und her, dann drehte sich Ben der Magen um. Doch er blieb ruhig. Als Colquette das Haar wie einen Massageball drückte, sah Blackshaw, dass dies gar keine losen Haare waren. Ein großes Stück Kopfhaut hielt sie alle zusammen.

      »Ich bin auch ein Soldat, Big Ben.« Rufus Colquette betrachtete seine Trophäe mit Stolz.

      Angewidert reagierte Ben auf seine Entscheidung, bevor ihm klar wurde, dass er eine getroffen hatte. Er lehnte sich nach vorn und blockierte auf diese Weise die Sicht der anderen Passagiere. »Sei vorsichtig damit, Rufus. Wenn das jemand sieht …« Er überließ den Rest des Satzes Colquettes Vorstellungsvermögen.

      »Ich hab’ aber keine Angst.« Doch Colquette knüllte den grauenvollen Gegenstand trotzdem zusammen, bis er wieder in seiner Hand verschwand.

      »Schätze nicht. Wo hast du das denn gekauft?«, fragte Ben in der Hoffnung, dass es zu mehr Informationen führte.

      »Gekauft?« Colquette nahm offenbar Anstoß an dieser Anschuldigung. »So etwas kann man doch nicht kaufen. Das verdient man sich. Man nimmt es sich!«

      »Oh. Okay, Rufus.«

      »Und das hab’ ich getan! Hier, sieh mal!« Colquette schob den langen, schmutzigen Daumennagel seiner linken Hand unter das Klebeband des Verbands an seiner rechten Schulter. Blackshaw lehnte sich nach hinten, um besser sehen zu können. Colquette schälte nun den Verband ab und da war es. Ein Eisernes Kreuz, wund und frisch ausgefüllt mit roter Tinte und mit dunkelblauen oder vielleicht auch schwarzen Streifen, die die roten Felder nach dem Muster der Konföderiertenflagge kreuzten. Darunter stand die Nummer 88.

      »Hab‘ ja gesagt, ich bin ein Ritter. Weißte, was ich meine?«

      »Glaube schon.« Rufus Colquette gehörte also dem Klan oder etwas in der Richtung an. Oder vielleicht war er auch einfach nur ein Möchtegern-Skinhead, der Hass-Symbole sammelte. Angesichts der Trophäe vermutete Blackshaw, dass dieses Tattoo das Zeichen einer bestimmten Gang war. Die 88 bezeichnete zweimal den achten Buchstaben des Alphabets, also HH oder Heil Hitler.

      »Mensch, Rufus. Ich mein’, das is’ ‘n nettes Tat’ und so und die Haare sind auch cool, aber ich mein’, echt jetzt?«

      Colquettes Bedürfnis, Blackshaw zu beeindrucken und ihn zu überzeugen, wurde nun immer stärker und verzweifelter. Er deckte das Tattoo wieder ab und griff in seine linke hintere Hosentasche. Nach ein paar Momenten des Wühlens oder des Kratzens, Blackshaw war sich da nicht ganz sicher, zog er ein Handy hervor. Das Smartphone war ramponiert, zerkratzt und ungepflegt. Es war auf jeden Fall ein privates Telefon und kein Wegwerfgerät.

      »Guck dir das mal an, Mann.« Colquette öffnete jetzt die Bildergalerie. Er blätterte rückwärts, vorbei an den drei neuesten Fotos. Sie huschten extrem schnell über den Schirm, aber Blackshaw konnte trotzdem erkennen, dass es Aufnahmen von Colquette zusammen mit zwei weißen Männern, die Gewehre hielten, waren. Umgebaute AR-15er. Der Junge hörte nun auf zu blättern.

      Wieder einmal sah sich Rufus Colquette auffällig um, um sicherzugehen, dass nur Blackshaw zuschaute. Dann hielt er ihm das Telefon entgegen.

      Als Veteran und manchmal nicht ganz ungefährlicher Zivilist hatte Blackshaw schon furchtbare Gemetzel mit eigenen Augen sehen müssen. Leichen, häufig frische, und manchmal auch in einem gewissen Alter. Einmal hatte er auf Patrouille mal einen Arm gefunden. Nur einen Arm, abgefetzt vom Körper bei irgendeiner Explosion. Aber rund um den Arm herum hatte es keine Leiche gegeben. Ein simples Gruppenfoto hätte ihn deshalb nicht so schocken sollen, wie das Bild, das Colquette ihm jetzt preisgab.

      Auf dem Foto stand Rufus Colquette neben den beiden Männern von den anderen Fotos. Einer war ein kleinerer, muskulöser Mann, vielleicht Mitte fünfzig, mit kurzgeschorenen grauen Haaren. Er strahlte durch seine gerade Haltung Autorität aus, aber der Ausdruck seiner Augen war der eines Untergebenen und Lakaien. Der andere war nicht viel größer, etwa Mitte vierzig, mit längerem, angegrautem Haar und Muskeln, die langsam Fett wichen. In den Augen des größeren Mannes herrschte eine düstere Leere. Beide Männer trugen khakifarbene Kampfhosen und olivfarbene Hemden, mit akkurat bis zum Bizeps hochgerollten Ärmeln. Sie hatten ihre AR-15er in einer Hand und hielten mit der anderen große Kampfmesser gegen ihre Herzen als eine Art Ehrenbezeugung.

      Rechts hielt Colquette ein Messer, vermutlich das, was in seiner Tasche steckte. Die Klinge auf dem Foto war ausgeklappt und voller Blut. Außerdem gab es noch eine vierte Person auf dem Bild. Es war ein Junge, der zehn oder zwölf Jahre alt gewesen sein mochte, aber in Anbetracht seines Zustands war sein richtiges Alter nur noch schwer schätzbar. Der Junge war schwarz, nackt und an einem Baumstamm in einem dichten Wald festgebunden. Es musste ein sehr abgeschiedener Fleck sein, denn angesichts der Wunden des Jungen musste er sehr laut geschrien haben, und trotzdem war er nicht geknebelt.

      Blackshaw konnte seine Augen einfach nicht von dem Kopf des Jungen abwenden. An den Seiten waren nur noch ein paar Haare übrig; kleine Büschel über den Ohren. Der Rest des Schädels war eine rohe Glatze aus Knochen und Blut, das in seine Augen troff. Entsetzte Augen starrten Blackshaw an. Unfassbar angewidert begriff Blackshaw, dass der Junge noch gelebt hatte, als das Foto gemacht worden war, doch das Kind hatte die darauffolgende Stunde wahrscheinlich nicht mehr erlebt.

      Im krassen Kontrast zu den äußersten Qualen auf dem Gesicht des Opfers stand hingegen das überhebliche, breite Grinsen, das in den Visagen seiner Peiniger zu sehen war. Als sein Blick ein letztes Mal über das Bild wanderte, bemerkte Blackshaw Colquettes andere Hand auf dem Foto – mit der er den Skalp umklammerte.

      KAPITEL 6

      Timon Pardue brach am nächsten Morgen, trotz des Katers, der in seinem Schädel wütete, sein Camp ab. Gemächlich belud er Popper mit seinen Sachen und führte das Tier dann den steinigen Abhang hinunter in das Gebüsch, das rund um den kleinen Bachlauf am Boden der Schlucht wuchs. Ihm war bewusst, dass Wimble und sein komischer Kader vielleicht nach ihm suchten, aber wenn er hier verharrte und zu leicht zu finden war, konnte es seiner Meinung nach den Eindruck erwecken, er wäre berechenbar, oder schlimmer noch, willens, auf ihre Seite zu wechseln.

      Nach einem zweistündigen Spaziergang blieb Popper stehen, fing an zu wiehern, zerrte kräftig an seinen Zügeln und riss sie Pardue dann fast aus den Händen. Pardue war kurz davor, wütend auf sein Pferd zu werden, als er die eng gewundene Klapperschlange zwei Meter vor sich erblickte und ihre unverkennbare Rassel hörte. Es war schwer zu sagen, wie lang sie tatsächlich war, so eng zusammengerollt, wie sie war, aber sie war zweifellos riesig. Bevor er sich rührte, betrachtete er die Umgebung um sich und Popper herum, um sicherzugehen, dass er sich am Rande des Schlangenterritoriums befand und nicht genau in dessen Nest gestolpert war. Der Weg zurück den Pfad entlang war zum Glück frei. Pardue führte Popper gute drei Meter rückwärts, bevor er das Pferd wendete, noch fünfzig weitere Meter wegbrachte und an einer einsamen Kalifornischen Washington-Palme festband. Die Pflanze war womöglich ein vertriebener Flüchtling des Kofa Naturschutzgebiets hundert Meilen nordwestlich von hier. Oder vielleicht war es auch ein Überbleibsel aus der Zeit der Postkutschen, in der man schattenspendende Zwischenstationen angelegt hatte. Ein Indianer oder ein Vogel hatte womöglich