Niemand lehnte den Jack Daniels ab, was die Unterhaltung hoffentlich voranbringen würde. Anders als der Rest der Gesellschaft nippte Malthys allerdings nur an seinem ersten Drink, während die anderen schon ihre Dritten herunterstürzten. Er war offensichtlich gelangweilt von den endlosen Gesprächen über Fleischpreise, Benzinpreise, Futterpreise und sämtlichen Klatsch, der Dressler, Cutlip und Congreve einfiel, bevor sie den Grund des Besuches ansprachen. Pardue hatte nichts gegen Gesellschaft, aber das ständige Räuspern von Malthys ging ihm so langsam gehörig auf die Nerven.
Als Pardue nach einer eingehenden Analyse der toten Kuh, die mal einen Slot-Canyon blockiert hatte, und der vielen Wanderer, die sich wegen des Gestanks beschwert hatten, wieder zur Besinnung kam, bemerkte er, dass Malthys auf den M-388VT-Kanister und die militärische Ausrüstung neben seinen sonstigen Sachen starrte. Womöglich hatte der hagere Fremde erkannt, was Pardue da genau gefunden hatte.
Schließlich sagte Pardue: »Ihr habt aber einen ganz schön weiten Weg auf euch genommen.«
Adele Congreve schnatterte einfach weiter: »Und du bist so ein guter Gastgeber, Timon. Ich brauche unbedingt das Rezept für die Chili-Schlange. Aber ja, hier sind wir nun.«
Farrell Cutlip räusperte sich. »Timon, wir sind empört darüber, was dir passiert ist, und auch, dass du jetzt hier draußen in der Wildnis schläfst. Dir geht’s wahrscheinlich ähnlich.«
»Ich brauchte einfach mal ‘ne Auszeit nach der ganzen Geschichte«, erklärte Pardue.
Dressler warf ein: »Wir sind nicht allein. Mein Sohn hat dich bei Twitter gefunden.«
»Mit dem Kram geb‘ ich mich nicht ab«, meinte Pardue.
»Wer tut das schon?«, sagte Cutlip.
»Genug Leute«, erklärte Adele Congreve.
»Timon«, fuhr Dressler fort, »mein Sohn sagt, du trendest.«
»Was, bitte? Ich bin doch die ganze Zeit hier draußen gewesen.« Pardue war sich nicht sicher, was Trenden war, aber ihm gefiel der schicke, neumodische und weibische Klang überhaupt nicht.
Nun meldete sich Malthys zu Wort. »Mr. Pardue, Sie sind genau jetzt, genau hier, beliebter als nach Ihrer allerersten Wahl, Sir. Es gibt mindestens acht falsche Twitter-Accounts in Ihrem Namen, die alle behaupten, Sie zu zitieren oder zu repräsentieren, und die spekulieren, wo sie gerade sind und was ihre Meinung ist, vor allem zu den Bohnenfressern. Ein paar der Accounts sind sogar aus dem Ausland. Sie werden hier, in Frankreich und in Deutschland von gewissen Gruppen gefeiert, weil die alle Bescheid wissen, über die Ausländer, die einfach hier reinmarschieren und sich breit machen, wo sie nicht hingehören.«
»Gott im Himmel«, murmelte Pardue.
Cutlip sagte: »Die Frage ist nur, ob du bereit bist, diese Popularität einzusetzen, um etwas damit zu bewirken.«
»Ihr habt doch gesehen, was passiert ist, als ich versucht habe, etwas wegen des Problems zu unternehmen«, murrte Pardue.
»Vielleicht, wenn man den offiziellen Amtsweg geht, dann ja«, sagte Congreve, kokett und verführerisch.
»Wir reden hier aber nicht vom offiziellen Weg.« Malthys Augen begannen zu funkeln, als er weitersprach. »Sie sind jetzt ein freier Staatsbürger, Mr. Pardue. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, dass die Regierung, der sie zu dienen versucht haben, Ihnen, uns oder Ihren Anhängern wirklich irgendetwas vorzuschreiben hat. Washington ist doch auch nur noch voll gottloser Korruption. Die Grenzschutzbehörde verschleudert Unmengen von Geld, wussten Sie das? Sie geben es mit vollen Händen aus für Helikopter oder schicken einen Haufen Knarren über die Grenze und verlieren diese dann kurzerhand. Und die nennen sich Gesetzeshüter? Wenn das CBP mal ein Jahr nicht ihr gesamtes Budget verbrät, selbst, wenn es gar nichts erreicht, dann gibt’s in Zukunft eben weniger. Da geht’s doch nur ums Geldausgeben und nicht darum, das Problem zu lösen. Reine Selbsterhaltung. In einem Monat sind’s schon Schwärme von Ankerbabys …«
Cutlip unterbrach ihn: »Mein Hund hat letzten Monat sogar menschliche Plazenta angeschleppt.«
»Um Himmels willen«, sagte Congreve angewidert.
Malthys ignorierte Cutlip. »Nächstes Mal sind’s dann schon Zehntausende von Kindern ohne Begleitung. Das nennt man dann humanitäre Krise, anstatt zu sagen, was es wirklich ist. Eine sorgfältig geplante Invasion unseres Grund und Bodens.«
»Ich hab’ getan, was ich konnte«, erwiderte Pardue mit einem künstlichen Lächeln.
»Du hast getan, was ein einzelner Mann tun konnte«, sagte Dressler. »Du bist aber nicht länger mehr ein Mann.«
»Sie sind ein Anführer, Sir, zu Höherem bestimmt und kurz davor, wahre Größe zu erlangen. Sie sind ein General, dem Legionen unterstehen sollten.« Daraufhin stand Malthys auf, zog sein Kampfmesser und hielt es an seine Brust. »Und ich werde Ihnen den ganzen Weg folgen.«
»Den ganzen Weg wohin?«, fragte Pardue, berauscht vom Whiskey und den hochgestochenen Volksreden.
Malthys kniete sich neben den früheren Sheriff, senkte seinen Kopf und hielt Pardue sein Messer mit beiden Händen entgegen … eine abgeschmackte Bezeugung von Unterwürfigkeit, Loyalität und Ehrerbietung.
Dann sagte Malthys mit emotionaler Stimme: »Zur Grenze, Mr. Pardue, zur Grenze.«
Merton Dressler, Farrell Cutlip und Adele Congreve taten es ihm gleich, indem sie sich auf ihre alten Knie quälten, die nach dem langen Sitzen und Trinken derart knackten und knirschten, dass sie es mit dem knisternden Feuer aufnehmen konnten. Dann reckten sie ihre Klingen Pardue entgegen.
Pardue wurde rot, war überwältigt von Unbeholfenheit, und wusste nicht, was er in so einem wichtigen Moment tun oder sagen sollte. Die Messer nehmen? Diesen Waffennarren mit seiner eigenen Klinge auf die Schultern tippen und sie auffordern, sich wieder zu erheben? Seine angeborene praktische Seite gewann am Ende die Oberhand.
»Würdet ihr euch bitte alle mal wieder entspannen? Malthys, wenn Sie Legionen sagen, von wie vielen reden wir da eigentlich genau?«
KAPITEL 9
Blackshaw stieg in Richmond aus dem Bus in eine warme Nacht hinaus und ließ einen unruhig schlafenden Rufus Colquette zurück. Bevor er den klotzigen Busbahnhof betrat, fiel ihm das Stadion auf der anderen Straßenseite auf. Drinnen brauchte er nur einen Augenblick, um die Person ausmachen zu können, die er suchte.
Der schwarze Polizeibeamte plauschte gerade mit seinem weißen Partner neben dem Eingang einer schäbigen Videospielhalle. Blackshaw wartete kurz und zog sich in der Zeit ein Snickers aus einem der vielen Automaten, die die Wand säumten.
Irgendwann stellte der weiße Polizist endlich sein Getränk ab und schlenderte auf die Herrentoilette zu. Vielleicht musste der andere Polizist auch gehen, aber um den Bahnhof im Auge behalten zu können, musste immer einer von ihnen vor Ort bleiben. Der weiße Cop ging zuerst. Blackshaw versuchte allerdings nicht zu viel in diese Reihenfolge hineinzulesen. Er begann, auf den schwarzen Beamten zuzugehen, bevor der andere in der Toilette verschwand.
Mit aufgesetzter Besorgnis sprach er nun den Officer an: »Sir, da im Bus von D.C. sitzt ein Mann, der sagt, dass er sterben will. Der ist offenbar lebensmüde. Ist ziemlich weggetreten. Sagte, sein Name wär Rufus Colquette. Ich glaube, er hat Tabletten genommen.«
Der Polizist setzte sich bereits in Bewegung in Richtung des Busparkplatzes. »Welche Parkbucht?«
»Sechzehn«, sagte Blackshaw. Der Beamte beschleunigte zu einem Laufschritt, als Blackshaw rief: »Warten Sie! Er hat mir außerdem ein Bild gezeigt, auf seinem Handy. Schauen Sie mal. Ist ziemlich übel. Ich dachte, das sollten sie sehen.«
Officer Keene nahm das Telefon, das Ben ihm entgegenhielt, widerwillig zur Hand, als ob das nicht wirklich warten könnte … dann sah er das Bild. »Jesus im Himmel! Das hat er Ihnen gezeigt?«
Blackshaw identifizierte