Die große Sache. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726885705
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ihrer, die zu entsetzt war, um zuzugreifen.

      Ihr blasser Schrecken war ihm unverständlich, er wandte sein Gesicht, das dumm wurde, Birk zu. Dort begegnete er kalter Erwartung; der »alte Freund« hatte etwas Fremdes, Unheilvolles bekommen, wie er einem auf die Hände sah. Schaudernd erkannte der frühere Reichskanzler, daß in den Menschen, die man am wenigsten fürchtet, immer noch Gefahren liegen. Daher achtete er nicht mehr auf das Päckchen. Margo konnte es ihm fortnehmen und verschwinden lassen.

      »Du hast es gut, alter Freund«, versetzte Schattich, unbekannt, warum.

      Er mußte es erklären.

      »So viele Feinde wie ich kannst du unmöglich haben. Wer alles auf meinen Sturz wartet!« sagte er vertraulich. »Bis zu dem Pfarrer von Sankt Stefan, dem ich es gelegt habe, mich schon um sechs Uhr mit seinem Glockengeläut aufzuwecken! Dauernd muß man Erfolge haben, um nur zu bleiben, wo man ist. Dem Konzern Geschäfte bringen, sonst wirst du abgebaut wie eine vertraglos angestellte Hilfskraft. Von jeder Erfindung, die Geld verspricht, soll man gleich Wind bekommen. Das wird verlangt.« Pause. »Aber deine Sorgen sind es nicht« – mit schnellem Seitenblick.

      Er nahm seinen Hut.

      »Du mußt einzig bloß zusehen, daß du schnell gesund wirst. So möcht ich auch mal daliegen.«

      »Das ist noch leichter, wenn man Geld hat«, versetzte Birk.

      Schattich schüttelte ungläubig den Kopf.

      »Du willst doch nicht behaupten, daß du grade auf deinem Krankenlager an das Geld denkst? Du Glücklicher hast dein Leben lang nicht daran gedacht.«

      »Mir fällt das Geld ein, das ich an dich verloren habe«, Birk ließ sich nicht beirren. Sicher war es das Fieber. Schattich zog denn auch die Brauen hoch.

      »An mich? Du solltest dich schonen, alter Freund. Freue dich lieber, daß du bei dieser unsicheren Zeit kein Geld hast. Wir haben es alle nur auf Widerruf und leben in ewiger Angst. Die Begehrlichkeit der Massen! Moskau! Die Wirtschaftskrise!«

      Gram und Verbitterung zeichneten den Mann. Sichtbar wurde, daß der Generaldirektor, genau wie seine fristlos kündbaren Untergebenen, Angst hatte zu verhungern. Auch er unterlag dem Zeitgeist.

      Glücklicherweise ging es vorbei. Bei seinen Angestellten hielt es auch nicht an. Alle hatten die Flüchtigkeit gemeinsam. Dies dachte sich Birk in seinen Kissen, indes Schattich schon abging.

      »Du mußt ausruhen«, sagte Margo. »Papa, jetzt lasse ich dich allein.«

      »Nimm deinem Mann das Päckchen mit!«

      »Hat es nicht Zeit, bis du gesund bist? Er wird Dummheiten machen mit deiner Erfindung.«

      »Das kann er nicht. Niemand wird herausfinden, was es ist. Mein Geheimnis liegt schriftlich bei einem Notar, und er gibt es euch nur, wenn ich selbst es nicht mehr holen kann.«

      »Emanuel wird alles – aber auch alles tun, um darauf Geld zu bekommen«, sagte sie ohne Besinnen. »Papa! Er liebt Inge.«

      Sie hatte ein weißes, verzweifeltes Gesicht. Ihr armes Gesicht war ganz klein geworden. Der Vater nickte.

      »Gib es ihm! Mein Kind, es wird dir helfen.«

      Dies begriff sie nicht; aber aus Gewohnheit glaubte sie ihrem Vater. Sie steckte das Päckchen in ihren Mantel, dann küßte sie Birk, der schon die Augen geschlossen hatte. Er öffnete sie wieder und sagte: »Verliere den Mut nicht, wenn es erst einmal schlimmer kommt!«

      Sie ging durch das Haus, dabei fiel ihr zum Glück ihre aufgeworfene Nase ein. Immer, wenn ihre Schwester Inge im Vorteil war, hielt Margo sich ihr eigenes dreistes Profil vor. Mit einem Gesicht, das nach Belieben frech sein konnte, war untätige Schwermut ein Widersinn. Margo, die sonst vielleicht dahin geneigt hätte, fand auch diesmal neue Kraft in sich dank ihrer Nase.

      Sie dachte: ›Hallo. Wenn er mit der Erfindung Geld macht, werden wir schon sehen, für wen. Bringt sie ihm aber Unglück, dann bin ich auch da.‹

      Als sie aus der Haustür trat, wer stand noch immer davor und wartete?

      »Gnädige Frau«, begann Schattich sogleich, »das einzige, was mich stört, ist, daß Sie ein Kind haben. Sonst würde ich vorschlagen: Sie verlegen Ihre Tätigkeit aus den Büros der Direktion in meine Wohnung.«

      »Als Ihre Sekretärin?«

      »Ja. Aber Sie werden immer fortwollen, weil das Kind zu Hause schreit.«

      »Ich habe gar keins«, erklärte sie mit der größten Natürlichkeit. »Ich schwindelte Sie an, weil Sie mir etwas wegnehmen wollten.«

      »Großartig!« rief er.

      »Was ist daran großartig? Sie halten mich doch selbst für gerissen genug, um Ihre Sekretärin zu sein.«

      Schattich lachte – anders, als er im Zimmer ihres Vaters gelacht hatte.

      »Jetzt denken Sie, ich stelle Sie an, damit ich Sie leichter verführen kann. So denkt ihr Mädels euch immer den Chef.«

      Er sagte es in einer Art, die alles nur bestätigte.

      Margo erwiderte: »Jedenfalls würde ich mir verbitten, daß Sie mich übersehen.«

      »Aha! Oho! Und na also!«

      »Meine Sache ist es, daß Sie kein Glück haben.«

      »Jetzt kenn ich Sie«, sagte er und streckte nach ihr den Zeigefinger aus.

      Sie hatte einfach beschlossen, nicht dauernd nur eifersüchtig und hingebend zu sein. Neben aller Angst um ihren Emanuel dachte sie sich einen Spaß zu gönnen, und wer weiß, wofür er gut war.

      »Sie sind ä Luder«, schloß Schattich. »Meine Wenigkeit is sowieso ä Luder. Es freut mich nur, daß sie ooch eins sind.«

      Dann stieg er in seinen herrlichen Lanciawagen.

      Viertes Kapitel

      Sie waren natürlich im Kino gewesen, wie jeden Sonnabend. Inge wie Margo waren der Meinung, daß ihr Vater nichts davon hatte, wenn sie seinetwegen auf ihr Vergnügen verzichteten. Übrigens machten sie sich aber auf das Schlimmste gefaßt. Denn nach ihren Begriffen saßen alle älteren Leute nur noch sehr locker im Leben, ja, gehörten ihm höchstens halb an.

      Sie waren mit Tränen der Furcht entschlafen. Als sie dann am Sonntag erwachten, herrschte sogleich Ferienstimmung dank der Abwesenheit Birks. Die ganze Wohnung gehörte nun fünf jungen Leuten, den beiden mittleren Töchtern samt dem Schwiegersohn und den Jüngsten, Susanne und Ernst. Zuerst war die Sechzehnjährige auf und öffnete die Tür des jungen Ehepaars.

      »Margo, aufstehn! Dein Pilot nimmt dich heute mit!«

      Emanuel schalt das Kind.

      »Was hast du hier zu suchen, neugierige Elster!«

      Es streckte ihm die Zunge aus. Aber die ältere Schwester verließ wirklich das Bett. Ihr lag viel daran, mitzufliegen. Die Luftfahrtgesellschaft beschäftigte die kleine Susanne. Margo war mit Fliegern bekannt geworden und benutzte es, um zu lernen, wie man ein Flugzeug führt. Emanuel hinderte sie nicht.

      »Du kannst natürlich abstürzen«, bemerkte er wohl.

      »Aber die Gefahr ist auch nicht größer –«, sagte sie.

      »Als was uns sonst alles droht«, schloß er.

      Sie dachten gleich in fast allem – sie, ihre Geschwister und ihre Freunde. Sie waren gegen Birk darin einig, daß der siebzehnjährige Ernst nur ruhig Mechaniker bleiben sollte. Nicht Ingenieur werden und noch mehr lernen, wie der Vater wollte; denn wohin führte es. Ernst mußte imstande sein, Autos und Flugzeuge zu reparieren, jetzt noch bei der Luftfahrtgesellschaft. Über die eigene Reparaturwerkstätte kam einer, der Glück hatte, dann zu einer Fabrik. Wer viel gelernt hatte, endete bestimmt in abhängiger Stellung, wie Papa … Ernst konnte trotz eifrigem Bemühen seine Finger nicht mehr weiß bekommen. Er bastelte, sobald er nicht aß oder sich auf dem Sportplatz betätigte.