Meine Unternehmen wuchsen rasant, und ich führte sie nach wie vor auf der Von-einem-Scheck-zum-nächsten-Basis. Und ich hatte keine Ahnung, dass dies ein Problem sein könnte. Es ging doch um Unternehmenswachstum, oder? Umsatz steigern, der Gewinn kommt dann schon, richtig?
Falsch. Geldprobleme tauchen auf, wenn eines von zwei Dingen passiert:
Der Umsatz bricht ein. Das Problem damit ist offensichtlich: Wenn wir von der Hand in den Mund leben und der Umsatz zurückgeht; ein großer Kunde geht pleite oder das große Geschäft, das Du schon einkalkuliert hast, kommt nicht zustande – schon haben wir nicht genug Geld, um unsere Kosten zu decken.
Der Umsatz steigt. Dieses Problem ist nicht so offensichtlich, aber es ist hinterhältig. Wenn unsere Umsätze wachsen, gehen die Ausgaben zumeist rasch mit. Hohe Geldeingänge sind fantastisch, aber unregelmäßig. Dauerhaft hohe Erlöse sind aber schwer aufrechtzuerhalten. Ein tolles Quartal kann Dich in dem Glauben wiegen, dass Dein Unternehmen auf einem anhaltend aufsteigenden Ast ist und Du beginnst, Geld auszugeben, als sei dies der neue Normalzustand. Rasch und unerwartet kommt die nächste Durststrecke, die ein großes Loch in die Liquiditätsdecke reißt. Ein schnelles Senken der Kosten ist jedoch nahezu unmöglich, denn das Kostenniveau unseres Unternehmens (und unser persönlicher Lebensstil) sind auf dem höheren Level festgeschrieben. Das neue Leasingauto durch eine Schrottkarre zu ersetzen, Leute zu entlassen, weil zu viel Personal da ist, unseren Partnern Dinge abzuschlagen – all dies ist wegen der geltenden Vereinbarungen und Versprechen extrem schwierig. Einsparungen vorzunehmen, wird dadurch unmöglich, denn wir wollen nicht zugeben, dass wir beim Unternehmenswachstum etwas falsch gemacht haben. Anstatt also die Ausgaben sinnvoll zu reduzieren, kratzen wir zusammen, was geht, um unsere lächerlich hohen Ausgaben zu decken. Wir bestehlen einen Gläubiger, um den nächsten zu bezahlen, und hoffen auf den nächsten großen Geldsegen.
[32] Kommt Dir das bekannt vor? Dachte ich mir. Im Laufe der vergangenen fünf Jahre habe ich Unternehmer aus Unternehmen jeder Größe kennengelernt, und diese Art des „Top Line“-Fokus (Konzentration auf den Umsatz – also auf die oberste Zeile der Betriebswirtschaftlichen Auswertung (BWA)), kombiniert mit der Von-der-Hand-in-den-Mund-Methode, ist weiter verbreitet, als man annehmen mag. Wir gehen davon aus, dass Unternehmen mit Umsätzen im Bereich von mehreren Millionen ordentliche Gewinne einfahren. In Wirklichkeit ist es aber gar nicht so einfach, ein richtig rentables Unternehmen zu finden. Die Mehrzahl der Unternehmer schafft es gerade so, seine monatlichen Fixkosten zu decken (oder nicht einmal das), und erwirtschaftet große Schulden.
Ohne ein Verständnis für Rentabilität ist jedes Unternehmen, unabhängig von seiner Größe und seinem „Erfolg“, nur ein Kartenhaus. Ich habe mit meinen ersten beiden Firmen viel Geld verdient. Aber nicht weil ich mein Haus finanziell sauber gehalten habe. Ich hatte lediglich das Glück, dass ich die Teller lange genug in der Luft gehalten habe und das Unternehmen schnell genug gewachsen ist, um einen Käufer zu finden, der bereit war, die finanziellen Probleme zu lösen.
Größer ist nicht besser
Warum zum Teufel wird Erfolg laufend dadurch definiert, das „Super Size Me“-Prinzip auf unsere Unternehmen anzuwenden? Bedeutet mehr Umsatz, dass Du erfolgreicher bist? Nein. Ich kenne viel zu viele große Unternehmen mit Inhabern, die in reinster Panik sind und Gartenmöbel nutzen, um ihre Häuser zu möblieren, weil sie jeden Extrapenny in ihre Unternehmen pumpen müssen, um sie vor dem Untergang zu bewahren. Ist das Erfolg? Kaum.
Wachstum ist der Schlachtruf nahezu jeden Unternehmers und Unternehmenslenkers. Wachse! Wachse! Wachse! Mehr Umsatz. Größere Kunden. Größere Investoren. Doch mit welchem Ziel? Größere Unternehmen bringen größere Probleme mit sich, so viel ist sicher. Und doch gibt es keine Garantie für größere Gewinne, insbesondere dann, wenn Gewinn ein hoffnungsvolles Überbleibsel darstellt.
Wachstum ist nur die eine Hälfte der Gleichung. Schon eine wichtige Hälfte, aber eben nur die Hälfte. Hast Du jemals im Fitnessstudio diese Typen mit den Armen wie LKW-Achsen und der muskulösen [33] Brust gesehen? Die Typen, die so kräftig sind wie Stiere – aber mit Streichholzbeinchen? Sie arbeiten nur an einer Hälfte der Gleichung und sind zu wenig gesunden Freaks geworden. Klar, der Typ hat einen Monsterschlag, aber Gott bewahre, dass er seine Beine einsetzen sollte oder sich ein bisschen bewegen müsste. Seine dürren Beinchen würden sofort zusammenklappen. Er würde sich auf dem Boden zusammenrollen und weinen wie ein Baby. Ein kleines Mutanten-Baby.
Die meisten Unternehmer versuchen, aus ihren Problemen herauszuwachsen. Sie verknüpfen ihre Rettung mit dem nächsten dicken Geschäft, dem nächsten großen Kunden oder Investor. Doch im Endeffekt bekommen sie dadurch bloß ein größeres Monster. (Und je größer Dein Unternehmen wird, desto mehr wachsen Deine Ängste. Ein geldfressendes Monster in einer Größenordnung von 300.000 Euro ist leichter zu managen als eines in der Größenordnung von 3.000.000 Euro. Ich weiß das: Ich habe beide überlebt). Letztlich ist das beständiges Wachstum ohne Rücksicht auf die Unternehmensgesundheit. Und dieser Tag mit dem großen Geschäft oder Kunden oder Investor, der kommt einfach nicht. Schließlich rollst Du Dich auf dem Boden zusammen und weinst wie ein Baby.
Jason Fried, Mitbegründer von Basecamp, schrieb einen Beitrag für die Zeitschrift Inc., 3 in dem er den Niedergang seines liebsten Pizzaladens in Chicago schilderte. Die Besitzer machten alles richtig – außer der Tatsache, dass sie zu schnell wuchsen. Nachdem sie ihr Unternehmen langsam aufgebaut hatten, explodierten sie plötzlich von 20 auf 40 Standorte. Doch die Umsätze konnten der Schulden nicht Herr werden und Frieds geliebte Pizzakette musste schließen. Welche Größe ist für Dein Business perfekt? Die ergibt sich ganz folgerichtig, wenn Du den Gewinn zuerst entnimmst – Profit First. Du wirst alle Elemente Deines Unternehmens vom Ende her designen und, wie Fried sagt, „die richtige Größe wird Dich finden.“
Warum also sind Unternehmer darauf programmiert zu wachsen und wachsen und wachsen? Dies beruht auf der Annahme, dass ab einem bestimmten Punkt jeder Umsatz Gewinn bringen wird. Du glaubst, dass Du nur noch ein einziges großes Projekt oder einen neuen Kunden oder einfach ein bisschen mehr Zeit brauchst und dann sprudelt der Gewinn. Aber das passiert niemals. Gewinn ist immer in Sichtweite − aber unerreichbar. Es ist wie bei dem Esel mit [34] der Möhre vor der Nase. Der Esel arbeitet härter und härter, doch er kommt niemals zur Möhre. Sie ist immer nur einen einzigen weiteren Schritt entfernt. Das Problem ist, dieser Esel … das bist Du. (Entschuldige diese brutale Offenheit. Ich tu Dir nur weh, weil ich Dich liebe.)
Es läuft so, mein Freund: Gewinn ist kein Zeitpunkt. Gewinn ist nicht etwas, das am Jahresende auftaucht oder am Ende Deines Fünfjahresplans oder eines Tages. Gewinn ist nicht einmal etwas, das bis morgen wartet. Gewinn muss jeden Tag entstehen, jetzt und immer. Gewinn muss in Dein Unternehmen fest eingebaut sein. Jeden Tag, bei jedem Geschäftsvorfall, jeden Augenblick. Gewinn ist kein einzelner Zeitpunkt. Gewinn ist eine Gewohnheit.
Kennst Du den englischen Spruch „Revenue is vanity, profit is sanity, and cash is king“, zu Deutsch „Umsatz ist Eitelkeit, Gewinn ist Vernunft und Bares ist König“? Das ist eine deutliche Erinnerung daran, dass es Deine Aufgabe ist, den Gewinn zu maximieren, egal welche Größe Dein Unternehmen aktuell hat. Wenn Du Dich auf den Gewinn konzentrierst, wirst Du neue Wege finden, Dein Unternehmen sowohl effizienter als auch größer zu machen. Andersherum funktioniert es nicht. Die Lemming-Mentalität, erst zu wachsen, in der Hoffnung darauf, eines Tages Gewinn zu entdecken, ist so unglaublich herkehrt verum, dass es mich in den Wahnsinn treibt.
Kürzlich hielt ich im winzigen Georgetown, Colorado, einen Vortrag bei einer Veranstaltung, die meine gute Freundin Michelle Villalobos organisiert hatte. Wie so oft bei meinen Profit-First-Auftritten wurde ich von einer Unternehmerin gefragt: „Das klingt super und so, aber ich muss wachsen. Ich muss mein ganzen Geld in mein Unternehmen stecken, um das zu schaffen.“