An einem besonders kalten Morgen klopfte es in aller Frühe an der Tür. Bewaffnete Männer standen vor der Tür, als Meister Mohammed ihnen öffnete.
Ihr Anführer war ein korpulenter, gut genährter Mann mit einem mondrunden Gesicht. An seinem Gürtel trug er einen Lederbeutel, wie man es häufig bei den Händlern auf den Basaren sehen konnte. Er selbst war nur mit einem etwas längeren Dolch bewaffnet, wie Li sehen konnte, als er sich seinen Umhang enger um die Schultern zog. Die Männer in seinem Gefolge aber trugen Schwerter.
„Wer seid Ihr und was ist Euer Begehr?“, fragte Meister Mohammed blinzelnd und verschlafen.
„Man nennt mich Firuz und ich bin hier, um drei Papiermacher aus dem Reich der Mitte abzuholen“, erklärte er in einem geschliffenen Persisch, dessen Betonung und Aussprache sich jedoch in mancher Hinsicht von der in Samarkand gesprochenen Sprache deutlich unterschied. Er schien von weit her zu kommen, so war zu vermuten. „Es handelt sich um einen älteren Meister, seinen Lehrling und eine junge Frau, die das Geheimnis des Wasserzeichens kennt. Sie sollen ihre Sachen packen und mit uns kommen.“
„Was hat das zu bedeuten?“, stieß Li hervor, die sich inzwischen von ihrem Lager erhoben hatte.
Firuz sah zu ihr hinüber und musterte sie von oben bis unten. Auch wenn sie jetzt auf Grund der Kälte mehrere Schichten Lumpen übereinander trug und sie darauf geachtet hatte, ihr Haar schicklich zu verbergen, so war doch schon auf Grund ihrer hellen, klaren Stimme sofort zu erkennen, dass sie eine Frau war.
In den Augen des fremden Händlers stand ein Gesichtsausdruck, der ihr nicht behagte. Die Art und Weise, wie er sie ansah, geziemte sich nicht, und dabei machte es auch keinen Unterschied, ob an sich unter Muslimen, Christen oder Manichäern befand.
Firuz nahm ein Dokument hervor, dass hinter einem Gürtel steckte und entrollte es. „Ich habe Euren Schuldbetrag ausgelöst! Man könnte auch sagen, der Statthalter hat euch an mich verkauft!“ Firuz lächelte breit und auf ein Art und Weise, die Li gleich eine tiefe Abneigung empfinden ließ. Er ging durch den Raum und sah sich um. Gao musste husten.
„Wohin werdet Ihr uns bringen?“, fragte Meister Wang an Firuz gerichtet.
Dieser machte eine wegwerfende Geste und befühlte das aufgeschichtete Papier. „Seid nur froh, dass ihr von hier fortkommt! Es scheint nicht zum besten um Samarkand und die anderen Städte von Mawarannahr bestellt zu sein... Der Statthalter braucht dringend Einnahmen, und der Emir versucht eine große Armee aufzustellen, bevor es wieder wärmer wird!Denn wenn der Frühling kommt, wird es Krieg geben, dessen kann man gewiss sein!“ Er betastete eines der unteren Blätter, zog es aus dem Stapel und rieb seinen Daumen darüber. „Gute Qualität...“, lobte er. „So etwas findet man in Bagdad selten...“ Er drehte sich um und sah noch einmal Li an. „Man hat mir gesagt, du seist am geschicktesten, was die Wasserzeichen betrifft.“
„Die Bescheidenheit verbietet es mir darauf zu antworten“, sagte Li.
„Eigentlich dachte ich immer, Frauen sind für andere Dinge geschaffen, als Lumpen zu einem Brei zu zerstampfen und daraus Blätter zum Schreiben zu machen!“ Er lachte auf abstoßende Weise. „Aber es soll mir gleichgültig sein! Deine Arbeit ist gut und man wird daraus viel Silber herausschlagen können! Und nun beeilt euch! Ich will das Tageslicht für die Reise nutzen!“
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Die wenigen Habseligkeiten waren schnell zusammengepackt. Sie verabschiedeten sich kurz von Meister Mohammed. Gao ging es nicht gut. Sein Husten hörte sich immer noch schlimm an, allerdings waren seine Augen nicht mehr so glasig wie es in den letzten Tagen der Fall gewesen war.
„Es soll euer Schaden nicht sein, mit mir zu kommen!“, meinte Firuz etwas später, als sie die Straße entlang gingen, an der die Werkstatt lag.
Eine Karawane von siebzig Kamelen gehörte Firuz, dazu noch ein Dutzend Pferde und ein paar Esel. Der ganze Zug wartete im Innenhof einer Herberge, die sich nur ein paar Straßen weiter befand. Bewaffnete Männer gehörten ebenso dazu wie Frauen und Kinder. Offenbar reiste er mit seiner gesamten Sippe durch die Lande. Die Kamele waren voll beladen mit begehrten Handelswaren, wie sie auf den Basaren von Samarkand den Besitzer wechselten. Ballen aus Seide waren darunter, aber Li bemerkte auch den Geruch von Seife.
Aber anders als es bei den Nomaden üblich war, wurden die Kamele nicht nur als Lasttiere benutzt, sondern auch zum reiten. Es gab in dieser Karawane niemanden, der zu Fuß gehen musste. Offenbar war es Firuz wichtig, eine höhere Geschwindigkeit erreichen zu können. Auch Li wurde auf eines der ihrem Empfinden nach riesigen Tiere gesetzt, das sich dazu niederbeugte. Ein einziger Befehl reichte dazu aus, aber die Zügel überließ man ihr ohnehin nicht. Die wurden am voranlaufenden Tier festgemacht. Bei dem schaukelnden Gang glaubte Li im ersten Moment, dass ihr übel werden müsste. Aber sie konnte sich beherrschen.
Dann ging es mitten durch die Stadt zum Haupttor. Die Wächter ließen sie passieren und es dauerte nicht lange, da waren die Türme und Kuppeln von Samarkand bereits sehr fern. Der Wind wehte den Ruf des Muezzins zu ihnen herüber. Firuz war allerdings offenbar kein so frommer Muslim, dass er deswegen die Karawane angehalten und den Weg um des Gebetes unterbrochen hätte.
Er ritt auf einem gescheckten Pferd an der Spitze der Karawane. Manchmal ließ er sich zurückfallen, um bei den Kamelen nach dem Rechten zu sehen, die in einer langen Reihe geführt wurden. Hin und wieder gab es auch Schwierigkeiten mit einem der törichten Esel.
Am Abend wurden mit wenigen Handgriffen Zelte aufgestellt und Feuer entzündet. Es gab warme Decken aus Kamelhaar, mit denen man sich einrollen konnte. Ein Zelt war für Frauen bestimmt und Li wurde angewiesen, dort zu nächtigen, während Gao und Meister Wang in einem der Männer-Zelte schliefen.
„Wir sollten froh sein, dass man uns nicht einfach auf der Erde schlafen lässt, wie es bei den Uiguren der Fall war!“, raunte Meister Wang seiner Tochter zu. Er hielt sich den Rücken. Der lange Ritt auf dem Kamel schien ihm ziemlich zugesetzt zu haben. „Wir wollen nicht klagen, sondern hoffen, dass uns auch dieser Weg an ein gutes Ende führt!“
Noch fiel es Li schwer daran zu glauben. Aber sie nahm sich vor, ihren Vater für sich als ein Vorbild an Gelassenheit zu nehmen. Ihn schien wirklich nichts aus der Ruhe bringen zu können – was für ein wechselvolles Schicksal ihnen auch zugemutet werden mochte.
Gao hustete und rang nach Luft. Er lief dabei rot an.
„Gao!“, stieß Li hervor, aber er war nicht in der Lage, ihr zu antworten. Meister Wang kümmerte sich um seinen Lehrling, aber es gab wenig, was er für ihn tun konnte. Im Reich der Mitte – und selbst in Xi Xia – hätte es im Umkreis von ein oder zwei Tagesreisen einen Arzt gegeben, der in der Lage gewesen wäre, durch Betrachten von Hand und Augen eine sehr sichere Diagnose zu stellen und eine wirksame Medizin zu mischen. Die Ärzte der Muslime hatten andere Methoden, von denen Li nicht wusste, ob sie wirklich auf dem Wissen um den menschlichen Körper oder mehr auf Aberglauben gründeten. Und so berühmt einzelne Ärzte wie Ibn Sina auch über die Grenzen ihrer Heimat hinaus sein mochten, war es wohl nur in höchster Not ratsam, sich in ihre Obhut zu begeben.
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Die Frauen im Zelt sahen Li misstrauisch an. Sie waren unterschiedlichen Alters und Li war noch nicht ganz klar, in welchem Verhältnis sie jeweils zu den Männern der