„Der Herr gibt dem Gläubigen so mancherlei Rätsel auf, um ihn zu prüfen“, sagte Bruder Anastasius. „Aber auch Jesus Christus begegnete dem Widersacher in der Wüste und erlag nicht seiner Versuchung...“
Seltsam, wie der gleiche Knochen den einen das Zeichen des Glücks und den anderen das Symbol des schlimmsten Übels sein konnte. Aber für diejenigen, die sein Knochenpulver als Mittel gegen Verdauungsprobleme, Kinderlosigkeit und den Tod an sich verkaufen würden, war der Drache ganz sicher eine Weile das Zeichen unerwarteten Wohlstands.
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In der Stadt des Drachenkopfs blieben sie nicht lange. Aber Abgesehen von den Legenden, die schon jetzt durch die staubigen Gassen zwischen den wenigen festen Steinhäusern drangen und wohl von Mal zu Mal mit immer erstaunlicheren Details ausgeschmückt wurden, gab es auch sehr beunruhigende Gerüchte. Li verstand nicht alles. Nur, dass immer von einem Reich des Schwarzen Herrschers die Rede war, dem Kara Khan. Und dass dessen Krieger sich in alle Richtungen ausbreiten und die Wege unsicher machen würden.
Kurz nachdem die Karawane wieder aufbrach, hörte Li sogar Babrak den Feilscher mit einer seiner Männer über den Kara Khan reden. Auch hier verstand Li nicht alles, aber sie erfasste den Tonfall und der war von einem fast furchtsamem Respekt geprägt. Eigentlich war Furcht ein Wesenszug, den Li mit Babrak nun wirklich nicht in Verbindung bringen mochte. Aber wenn der Karawanenführer die Nachrichten über den Schwarzen Herrscher bereits so zur Kenntnis nahm, dann musste man das wohl ernst nehmen.
„Habt Ihr schon einmal von einem Herrscher gehört, der Kara Khan genannt wird?“, fragte Li irgendwann während des weiteren Weges Bruder Anastasius, nachdem sie schon eine ganze Weile griechische und lateinische Wörter geübt hatten.
Li hatte diesen Satz auf Latein gebildet. Vielleicht hatte sie nicht mit jener Perfektion und dem Stilempfinden gesprochen, wie dies den Gelehrten des Westens eigen sein mochte – aber sie sah Bruder Anastasius Gesicht an, dass dieser sie verstanden hatte.
Und so antwortete der Mönch ihr in jener Zunge, die sie selbst gewählt hatte.
Allerdings musste er seinen Satz dreimal wiederholen und am Ende doch noch einige Wörter ins Persische übersetzen, bevor Li begriff, was er ihr sagen wollte. „Als ich vor drei Jahren den Weg in die entgegengesetzte Richtung wanderte und nach Samarkand kam, da hatte der Kara Khan gerade das goldene Buchara erobert, die Hauptstadt von Chorasan. In Samarkand sammelten sich die Truppen, um die Krieger des Kara Khan zurückzuschlagen, was auch gelang. Und zwar noch bevor ich weiterzog.“ Bruder Anastasius schüttelte den Kopf. „Sie müssen starke Krieger sein, denn die Samaniden-Herrscher von Chorasan sind die Herren des unzerbrechlichen Stahls! Aber die Krieger des Schwarzen Herrschers sind offenbar so zahlreich, dass sie trotz überlegener Waffen nur schwer zu besiegen sind...“
„Ist der Kara Khan ein Muslim oder ein Anhänger Buddhas oder Manis?“
„Er ist ein Muslim – genau wie Herren von Chorasan. Aber unter den Muslimen ist es wie unter den Christen - sie sind sich gegenseitig die schlimmsten Feinde.“
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Schließlich erreichten sie eine Stadt namens Khotan, die deutlich größer war als alle Orte, in den denen sie in den letzten Wochen Rast eingelegt hatten. Im Süden ragten schneebedeckte, wuchtige Berge auf.
In Khotan wurde Babraks Talent auf seine harte Probe gestellt. Der Zoll, den er für den Durchzug durch das Gebiet des Khans von Khotan abführen sollte, schien außerordentlich hoch zu sein. Li bekam einiges von den lautstark geführten Verhandlungen mit. Die Beamten des Khans ließen nicht mit sich handeln – und wieder spielte der Schwarze Herrscher darin eine Rolle. Denn offenbar waren auch die Krieger Khotans von ihm angegriffen worden und hatten alle Mühe, ihr Gebiet gegen ihn zu verteidigen.
Angeblich hatte man sogar Gesandte nach Bian geschickt, die das uralte Bündnis zwischen Khotan und dem Reich der Mitte erneuern sollten, um die Truppen des Schwarzen Herrschers abzuwehren. Aber bislang war von diesen Gesandten wohl noch keiner zurückgekehrt.
Babrak blieb keine andere Wahl, als zu bezahlen, was von ihm gefordert wurde. Seine Laune war entsprechend schlecht.
Zwei Tage blieb die Karawane in der Stadt. Ein Kamel lahmte und Babrak kaufte ein neues.
Die ganze Stadt war von großer Nervosität erfüllt. Auf dem Markt waren die Preise für Nahrungsmittel aller Art so hoch, wie es Li noch nie zuvor erlebt hatte. Das Angebot war schlecht. Karawanen erreichten oft nur mit erheblicher Verspätung die Stadt und außerdem waren offenbar derzeit einige Gebirgspässe nach Süden, über die man in das Land zwischen Indus und Ganges gelangen konnte, nicht passierbar. Wertvolle Gewürze gelangten aus der Heimat des großen Buddha nach Khotan, von wo aus sie sowohl nach Osten wie auch nach Westen weiterverkauft wurden und dabei ihren Wert noch einmal um ein Vielfaches steigerten. Aber wenn die Pässe nicht passierbar waren, dann blieben die Gewürzhändler aus und mit ihnen das Silber, das beim Handel mit Safran oder Pfeffer verdient werden konnte.
Aber überall in den engen Gassen der Stadt und auf Basaren, auf denen unter freiem Himmel von arabischen Pferden über Teppiche aus Persien bis zu Porzellan und Seide aus den Werkstätten im Reich der Mitte alles angeboten wurde, was man sich nur vorstellen konnte.
Natürlich hatte Li keine Möglichkeit, sich dort auf eigene Faust umzusehen. Zusammen mit Gao und ihrem Vater zog sie im Gefolge von Babrak durch die Straßen, während sie auf dem Weg zu einer der Karawansereien waren und später noch einmal, als sie die Stadt wieder verließen, die Li wie ein einziger großer Basar erschien. Ein Mischung der seltsamsten Düfte drang Li in die Nase. Gerüche von Gewürzen und Essenzen, die sie kannte, die ihr aber niemals in dieser Intensität in die Nase gestiegen waren. Weihrauch aus Arabien wurde hier verkauft und Essenzen, deren Namen nie bis Xi Xia gelangt waren. Und all das wurde durchdrungen von den Sorgen, die sich die Basaris offenbar über die Ausbreitung jenes Reiches machten, dass vom Kara Khan beherrscht wurde.
„Es sind gute Muslime, warum sollten wir uns vor ihnen fürchten!“, hörte Li einen der Händler sagen, woraufhin ihm ein anderer erwiderte: „Du hast gut reden! Aber die meisten Bewohner Khotans glauben an die Lehre des Buddha!“
Ein paar Tage später saßen sie am Feuer und Li lauschte den Reden von Babrak dem Feilscher. Wahrscheinlich ahnte er nicht einmal, wie gut Li inzwischen seine Sprache verstand. „Man sagt, dass der Vorgänger des Kara Khan von Koran-Gelehrten eine Fatwa erstellen ließ, mit der nachträglich der Mord an seinem Vater gerechtfertigt wurde – denn der war noch ein Heide und glaubte nicht an Allah!“, berichtete Babrak. „Das zeigt, was für einer Brut dieser Schwarze Herrscher entstammt! Der kennt keine Verwandten und wenn er sagt, dass es ihm um den Glauben geht, dann lügt er! In Wahrheit geht es ihm nur um ihn selbst und seine Macht!“
„Da sind christliche Herrscher sicher ganz anders!“, spottete einer der anderen Männer am Feuer. Diese Bemerkung war natürlich auf Bruder Anastasius gemünzt, der sich allerdings nicht provozieren ließ.
„Ich wünschte, ich könnte so etwas guten Gewissens behaupten“, gab er zurück. Und wirkte dabei sehr ernsthaft. Und diese Ernsthaftigkeit ergriff dann auch von den anderen Besitz. „Eigentlich sagt unser Herr, dass wir unsere Feinde lieben sollen. Das höchste Gebot ist es, den Frieden zu erhalten.“
„Und wie kommt es dann, dass man die Christen überall genauso Krieg führen sieht wie Anhänger Mohammeds, Buddhas oder Manis?“, fragte Babrak. „Ich habe nicht den Eindruck, dass christliche