Die arachnoiden Wsssarrr, auf die Reilly und seine Crew vor zwei Jahren stießen, waren selbst Flüchtlinge vor den unbarmherzigen Eroberern.
Die letzten zwei Jahre hatten die Humanen Welten dazu genutzt, um sich zu wappnen. Nur wenige Vorstöße waren ins Niemandsland unternommen worden – und dann auch nie über die magische Marke von 15 Lichtjahren hinaus. Schließlich wollte man nicht über Gebühr auf sich aufmerksam machen. Vielleicht hoffte man auch darauf, dass der Expansionsdrang der Vogelartigen irgendwann von ganz allein zum erliegen kam.
Eine Hoffnung, die trügerisch und durch nichts zu begründen war.
Aber dieser permanente, außenpolitische Druck sorgte zweifellos dafür, dass einerseits die drei Systeme alles unterließen, um es zu einem Bruch kommen zu lasse, während andererseits der Hohe Rat der Humanen Welten nur halbherzig die Einhaltung der Bundesgesetze einforderte und stillschweigend so manches tolerierte, was eigentlich nicht hätte toleriert werden.
„Ich habe Eric II niemals verteidigt“, widersprach Dan, nachdem er einige Augenblicke lang auf das Meer hinaus geblickt hatte. „Schließlich widersprechen seine Ansichten meinen Wertvorstellungen und meinem Glauben beinahe diametral. Für mich ist der Mensch ein Geschöpf Gottes – und nicht eine verbesserungswürdige, biologische Maschine, die man mit ein paar Ersatzteilen so optimieren kann, wie es gerade den Gewinninteressen irgendwelcher Konzernoberen entspricht!“
„Harte Worte“, erwiderte Willard Reilly. „Und was ist mit dem medizinischen Fortschritt, der dadurch erreicht wird? Dem Leiden, dass die Ärzte von Genet, die heute zu den besten innerhalb der Humanen Welten gehören, zu lindern vermögen?“
„Wir wiederholen unsere Diskussionen von frühe!“, gab Dan zurück. „Aber ich glaube nicht, dass du deshalb hier her gekommen bist!“
Dan bedachte Willard mit einem Blick, der zu sagen schien: Ich weiß alles über dich. Jeder Gedanke, der dir nur flüchtig durch das Gehirn zu schnellen scheint, jede Regung, jedes Gefühl…
Manchmal war es Willard regelrecht unheimlich vorgekommen, dass Dan stets genau zu wissen schien, was in seinem Gehirn vor sich ging, wie er sich fühlte und was er als nächstes sagen würde. Die Erklärung dafür sah Willard in seiner sehr wachen Beobachtungsgabe, die seinen Bruder auszeichnete. Allerdings hatte sich diese Begabung, Menschen einzuschätzen und mitunter sogar ihre Verhaltensweisen vorherzusagen, noch deutlich verstärkt, seit Dan Reilly sich ein Herz gefasst und dem Orden der Olvanorer beigetreten war.
Nein, dachte Willard. Beigetreten ist nicht das Wort, das hier passend wäre. Aber wie sollte man es sonst ausdrücken? Zu sagen, er hätte seinem Beitritt schließlich zugestimmt wäre wohl passender – aber das klingt ziemlich seltsam!
Dan hatte Willard einmal anvertraut, dass es umgekehrt gewesen war. Der Orden war auf ihn aufmerksam geworden. Nachdem eine gewisse Zeit vergangen war und er sich diversen spirituellen Prüfungen unterworfen hatte, war aus Dan Reilly schließlich Bruder Daniel geworden.
Willard erinnerte sich noch an die Einsegnungsfeier auf Sirius III, an der auch Verwandte und Freunde hatten teilnehmen können. Eric Reilly senior und seine Frau Jarmila hatten sich entschuldigt. Angeblich waren sie beide unabkömmlich, da die Eric Reilly Ltd. in Verhandlung mit einem wichtigen Kunden stand, der eine firmeninterne Frachtlinie nach Alpha Centauri einrichten wollte.
Willard vermutete jedoch, dass der Grund für die Abwesenheit der beiden ein anderer gewesen war. Nachdem ihre beiden ältesten Söhne Willard und Eric II. relativ früh klargemacht hatten, dass sie sich ein Leben als Betreiber einer Raumfrachtfirma einfach nicht vorstellen konnten, waren mit Dans Einsegnung ihre Hoffnung, dass doch noch einer der Reilly-Söhne die Firma eines Tages übernehmen würde, vollends gestorben.
Für Dad muss das ein schwerer Schlag gewesen sein!, dachte Willard. Vielleicht schwerer, als wir alle ahnten.
Er hatte sich in der Folgezeit wenig anmerken lassen.
Immerhin, so hatte er bei der nächsten Familienzusammenkunft anlässlich von Jarmilas Geburtstag gewitzelt, seien die Olvanorer ja wenigstens kein Orden, der das Zölibat praktiziere, sodass noch Hoffnung auf Enkelkinder bestehe, die das Erbe eines gut gehenden Raumfrachtgeschäfts vielleicht besser zu würdigen wüssten.
„Wie lange wirst du bleiben?“, fragte Dan.
„Bis übermorgen“, antwortete Willard.
„Nicht länger?“
„Ich muss wieder an Bord meines Schiffes. Der Geburtstag meiner Mutter ist nicht unbedingt etwas, wofür man eine wichtige Mission aufschieben könnte. Ich habe mit Lieutenant Commander Soldo eine sehr guten Ersten Offizier – und nur deswegen konnte ich meinen Urlaub noch um einen Tag verlängern.“
„Natürlich.“
Er weiß, dass das nicht stimmt, dachte Willard Reilly. Ihm ist bewusst, dass der wahre Grund für meinen frühen Aufbruch darin zu suchen ist, dass ich mir nicht dauernd sagen lassen möchte, wie schön es wäre, wenn ich in die Geschäftsführung von Reilly Ltd. einstiege… Es ist wohl unvermeidlich, dass Dad auf diesen Punkt zu sprechen kommen wird…
Aber Willard J. Reilly hatte nun einmal einen anderen Weg gewählt. In dem Moment, als er die anthrazitfarbene Uniform des Space Army Corps zum ersten Mal angelegt hatte, war ihm klar gewesen, dass es kein Zurück gab. Es genügte ihm einfach nicht, immer wieder die Linie Sirius-Sol-System zu fliegen. Ihn drängte es nach mehr. Und er wollte außerdem etwas tun, das für die Menschheit wichtig war – und nicht nur für ihn selbst.
Finanziell war diese Entscheidung zugunsteten des Space Army Corps mit Sicherheit ein Fehler gewesen. Aber materieller Wohlstand war nicht alles, so fand er. Und immerhin in dieser Hinsicht schien sich die Einstellung aller drei Reilly-Söhne auf frappierende Weise zu ähneln.
„Wir werde es durchstehen“, sagte Dan. Sein Tonfall war zwar sanft und er sprach leise. Dennoch drückten seine Worte in diesem Augenblick eine Stärke aus, die Willard seinem jüngeren Bruder früher niemals zugetraut hätte. Dan lächelte. „Eine Kutte, eine Uniform… Ich glaube der Unterschied ist für Dad gar nicht so groß, fürchte ich.“
„Da dürftest du wohl Recht haben!“
Er hat ausgesprochen, was ich dachte!, ging es Willard durch den Kopf. Es ist frappierend. Manchmal fragte ich Willard, ob diese Fähigkeit tatsächlich durch eine genaue Beobachtungsgabe zu erklären war.
Willards Gedanken wirbelten flashbackartig zurück in die Vergangenheit.
Diese Fähigkeit, die emotionale Verfassung anderer Menschen unmittelbar zu erfassen, hatte sich bei Dan schon früh entwickelt. Als Kind hatte er immer genau gewusst, wann es keinen Sinn hatte, Mum oder Dad um irgendetwas zu fragen. Er hatte das dem älteren Willard auch gesagt, aber dieser hatte natürlich in der Regel nicht auf den Jüngeren gehört.
Die Ausbildung, die Dan später auf seinem Weg zur Einsegnung als Olvanorer-Bruder durchlaufen hatte, musste dafür verantwortlich sein, dass sich diese Fähigkeit noch verstärkte.
Für einen Moment erschienen Szenen von der Einsegnungsfeier in den erhabenen Mauern des Klosters Saint Arran auf Sirius III vor Willards innerem Auge. Er dachte immer mit gemischten Gefühlen an diese Feier. Ein Grund dafür war, dass er in den Reihen der Kuttenträger das Gesicht eines Mannes wieder erkannte, den er bereits viele Jahre zuvor einmal gesehen hatte. Der Mann hatte graue Haare. Sein Alter war schwer zu schätzen gewesen. Die Haut hatte Willard an gegerbtes Leder erinnert. Hoch stehende Wangenknochen und ein spitz zulaufendes Kinn waren außerdem heraus stechende Kennzeichen dieses wie in braunes Holz geschnitzt wirkende Gesicht gewesen.
Der Blick dieses Mannes hatte zuerst auf dem Novizen Dan Reilly geruht, der sich gerade anschickte, Bruder Daniel zu werden,