Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: August Schrader
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические любовные романы
Год издания: 0
isbn: 9783946469278
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keine Arbeit finden kann? Kann man mir meine Erziehung zum Vorwurf machen? Ist es meine Schuld, wenn man mich in allen Karrieren, die ich versuchte, stets unter dem Vorwand wieder entließ, ein Dichter sei zu nichts gut? Überall zurückgestoßen, musste ich wohl in diesem schwachen Talent, das mir bis dahin nur Trost gewährt hatte, eine Nahrungsquelle suchen. Um sicherzugehen, malt man das, was man gesehen, gibt man wieder, was man empfunden hat; und dieser Grundsatz bestimmte mich, der Sänger der verachteten Klasse, der Dichter des Elends und der Not zu werden. Ein unsinniges Unternehmen!« rief er mit einem Seufzer aus, »denn die Glücklichen unseres Jahrhunderts, jene Leute, die nicht glauben, dass es möglich ist, vor Hunger zu sterben, behandelten mich wie einen Träumer, wie einen Misanthropen. Und wenn ich hier oder da einige Sympathie erweckte, so war es nur in den Herzen derer, die in Mangel und Elend lebten wie ich. Um das Maß meines Unglücks vollzumachen, bemächtigte sich meiner eine Leidenschaft, die ebenso hoffnungslos wie schrankenlos ist – doch wozu diese Erörterungen, die Ihnen nur lästig werden, mein Herr; ich bin ein armer Verrückter, von Stolz und Ohnmacht aufgebläht, ein elender Teufel, dem nichts bleibt als der Selbstmord!«

      »Mut, Mut, lieber Freund!«, tröstete Franz.

      »Freilich ist es schauderhaft, so zu reden, aber ich bin der festen Überzeugung, dass der Dämon der Zerstörung seine Versuche erneuert und dass ich zum zweiten Mal erliege. Ja, sehen Sie mich nur an, mein Herr, ich verdiene das Mitleid nicht, das Ihnen mein Zustand einflößt; es ist Torheit, selbst Schande, sich für mich zu interessieren!«

      Mit großer Teilnahme hatte der Associé des Herrn Hubertus den Leidensbericht und die Ausbrüche der Verzweiflung seines Gastes angehört; starr sah er vor sich hin, als ob er auf ein Mittel sänne, dem Elend desselben abzuhelfen. Plötzlich blickte er den armen Dichter freudig an und sprach in einem Ton, der keinen Zweifel über die Annahme seines Vorschlags und über den Ernst, mit dem er gemacht wurde, übrig ließ:

      »Wenn Ihnen nun in einer Fabrik, die freilich für den Augenblick mit dem Druck der Zeit zu kämpfen hat, aber bald wieder ihren alten Flor behaupten wird, ein bescheidener, sicherer Platz angewiesen würde, der Ihnen erlaubte, auf bessere Tage zu warten? Wenn sich Ihre Tätigkeit nur auf die Korrespondenz und die Führung einiger Register beschränkte?«

      Richard zuckte mit den Achseln, als ob er dies für ein Ding der Unmöglichkeit hielt.

      »O es ist nicht so schwer, wie Sie glauben«, fuhr Franz mit Wärme fort, der die Pantomime des Dichters falsch verstanden hatte, »es ist wahrhaftig nicht so schwer, und außerdem kenne ich jemanden, der sich glücklich schätzen würde, Ihnen Anleitung zu geben. Als Gegenleistung von Ihrer Seite würden Sie in den Mußestunden dem Herrn dieser Fabrik, einem guten jungen Mann, der sich bisher nur mit seinem Geschäft befasste, Unterricht in den Wissenschaften erteilen, denn Sie müssen wissen«, fügte er halblaut hinzu, »die Liebe hat diesen Fabrikherrn auf andere Ideen gebracht; er ärgert sich, dass er in den Augen seiner Braut als ein dummer, unwissender Mensch erscheinen muss. Nun«, rief er laut aus, »wenn man Ihnen einen solchen Platz anböte, würden Sie noch daran denken, sich das Leben zu nehmen?«

      »Der Vorschlag ist so übel nicht«, meinte Richard; »allein«, setzte er seufzend hinzu, »wo soll ich einen solchen Platz finden?«

      »Hier, in meiner Fabrik!«, rief Franz, indem er die Gläser von Neuem füllte. »Sind Sie mit dem zufrieden, was ich Ihnen biete, so stoßen Sie an, denn es kommt aus gutem, wohlmeinendem Herzen!«

      Überrascht erhob sich der Dichter von seinem Platz und griff fast zitternd nach dem Glas. Beide stießen an und tranken.

      »Sie haben mir Ihre Geschichte erzählt«, begann Franz wieder und zog den Gast auf den Stuhl zurück, »jetzt werde ich Ihnen in wenigen Worten die meinige erzählen. Von meiner frühen Jugend ist mir nur so viel bekannt, dass mich Herr Hubertus, der Besitzer dieses Hauses, aus Mitleid von der Straße aufgenommen hat. Mich hungerte, und er gab mir zu essen; mich fror, und er gab mir Kleidung. Nach zehn Jahren wurde ich sein Kommis, später erhob er mich zu seinem Associé und endlich … doch es ist unnütz, Ihnen zu sagen, durch welche unverhoffte, unerhörte Gunst er das Werk seiner Wohltätigkeit krönte – mit einem Wort: Ich lasse mich für ihn in Stücke reißen! Unglücklicherweise ist es aber nicht wahrscheinlich, dass er je meines Lebens bedürfen wird – wie soll ich ihm nun meine Dankbarkeit beweisen? Da habe ich denn gedacht, ich tue dasselbe für einen andern, was er für mich getan hat. Wollen Sie mir diese Schuld abtragen helfen?«

      »O mein Gott«, rief Richard und Tränen traten ihm in die Augen, »es gibt doch noch gute Menschen auf deiner Erde! Reichen Sie mir Ihre Hand, edler Mann!«

      »Haben Sie daran gezweifelt?«

      »Ich war stets so unglücklich, dass ich nicht anders denken konnte.«

      »Nur getrost, mein lieber Freund, Herr Hubertus wird Sie mit den Menschen wieder aussöhnen; unsere Freundschaft soll Sie mit neuen, festen Banden an das Leben knüpfen. Morgen stelle ich Sie meinem Wohltäter vor, dann eilen Sie zu Ihrer Mutter, um die arme Frau durch gute Nachrichten zu trösten, und kehren fröhlich und froh zu uns zurück.«

      Dem Dichter wollte das Herz zerspringen vor Freude und Dankbarkeit; bei dem Gedanken an seine Mutter rannen ihm die Tränen über die Wangen; er ergriff beide Hände des jungen Fabrikherrn und rief:

      »Wer sind Sie denn, mein Herr, der Sie mich so unaussprechlich glücklich machen? Ich kenne Sie kaum und schon üben Sie einen unwiderstehlichen Einfluss auf meinen Geist aus, dass ich mich nie wieder von Ihnen trennen möchte.«

      »Ich bin Ihr Freund und, wenn Sie wollen, Ihr Schüler, denn morgen schon werden wir mit dem Unterricht beginnen. Doch nun zu Bett, lieber Freund, es ist schon spät und wir beide bedürfen der Ruhe.«

      Franz ergriff ein Licht und führte seinen Gast in ein Zimmer, das auf demselben Korridor dem seinigen gegenüberlag und mit allen Bequemlichkeiten versehen war.

      »Gute Nacht, mein edler, großmütiger Freund!«

      Beide reichten sich noch einmal die Hände, dann schieden sie voneinander.

      Obgleich erschöpft von der Anstrengung des kalten Flussbades, floh unseren Richard dennoch der Schlaf; alles was ihn umgab, bewies zwar die Wahrheit der glücklichen Umgestaltung seiner Verhältnisse, durch das Elend aber, in dem er stets gelebt hatte, war er so kleinmütig geworden, dass er immer noch nicht daran glauben konnte.

      »Mir kommt alles wie ein schöner Traum vor«, sprach er zu sich selbst. »Sollte ich wirklich einen Freund gefunden haben, der mich in die Lage versetzt, meiner armen Mutter für die Zukunft eine Stütze zu sein? Ich kann an dieses Glück kaum glauben, denn das Schicksal hat für uns nur Not und Elend; die Freuden des Lebens sind für andere bestimmt. Nein, nein, es ist doch Wahrheit und kein Traum, denn noch höre ich die Worte, noch fühle ich den Händedruck meines neuen Freundes; es ist Wahrheit! Und durch ein Verbrechen, durch den Selbstmord ist diese Veränderung meines Lebens herbeigeführt worden. O mein Gott«, rief er aus und streckte die Hände empor, »ich fühle, dass es nicht recht war, an dir zu verzweifeln, denn du bist ja immer da am nächsten, wo die Not am größten ist; du lässt keines deiner Geschöpfe im Elend untergehen! Wohlan, ich will von diesem Augenblick an nie mehr an den Tod denken, sondern mich standhaft dem Leben stellen und fleißig für meine Mutter arbeiten; vielleicht ist das Schicksal müde uns länger zu verfolgen, denn wir haben genug gelitten. Gute Nacht, Mutter, morgen, wenn der Tag graut, sehe ich dich wieder, um dir unser Glück zu verkünden!«

      Dieser Vorsatz schien den aufgeregten Geist des jungen Mannes beruhigt zu haben; der Schlaf kam und schloss ihm die müden Augen. An der Schwelle des Tores, durch das Richard in das Reich der Träume trat, stand Anna; aber wie ein Nebelgebilde verschwand sie wieder, kaum dass er sie gesehen hatte.

      Der nächste Morgen brachte einen kalten, aber hellen Novembertag. Kaleb, der alte Kassierer, war der erste im Haus, der sein Bett verlassen hatte. Die Sorge um das Kapital, das er trotz der beruhigenden Nachricht, die Franz gebracht hatte, dennoch bei dem Bankier nicht sicher wähnte, lag ihm so schwer auf dem Herzen, dass es ihn nicht länger auf seinem Lager hielt. Es war sechs Uhr, als der Greis in das Kontor trat und dessen Fensterläden öffnete. Nachdenkend blieb er einige Augenblicke stehen