Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: August Schrader
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические любовные романы
Год издания: 0
isbn: 9783946469278
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als dem Hospital.«

      »O Himmel«, rief Richard erbleichend, als er den Brief gelesen hatte, »also ich bin der Stein des Anstoßes, der meine arme Mutter hindert, die Schwelle des Hospitals zu überschreiten! Wohlan, Herr Hospitaldirektor, Sie haben dem Sohn den Weg bezeichnet, den er zu wandeln hat; er wird Ihnen die Mutter so nahe bringen, dass Sie die Arme nicht mehr zurückstoßen können! Es ist lächerlich«, fuhr er bitter fort, »meine Mutter gilt hier als reich, für die Aufnahme in das Asyl der Armut als nicht geeignet, weil sie einen Sohn hat, der selbst dem Hunger preisgegeben ist. – Mutter, mein Dasein soll dir das Leben nicht verbittern, denn es ist auch mir schon längst zur Last geworden!«

      Der junge Mann trat zu seinem Schreibtisch und begann seine Papiere zu ordnen. Nachdem er mehrere zerrissen hatte, fiel ihm plötzlich ein Blatt in die Hände, das er lange und, wie es schien, bewegt betrachtete.

      »An Anna«, rief er endlich aus. »Ein toller, aber ein schöner Traum, ein süßer Wahnsinn, der mich oft die Welt vergessen ließ, der mich oft an das erinnerte, was ich jetzt meiner Mutter schuldig bin. Ich gebe dem Schöpfer das Leben zurück, das ich so lange als eine Wohltat betrachtete, wie es mir und andern nicht zur Last wurde; ich gebe es zurück, denn ich erliege der schweren Prüfung! Lebe wohl, Anna, und wenn der Zufall dir die Kunde von meinem Tod bringt, beklage mich nicht, denn ich habe aufgehört zu leiden; ich bin dann in jener Welt, wo kein Unterschied der Stände die Regung des Herzens erstickt, wo das große, erhabene Ziel erreicht ist, nach dem die Menschen hier umsonst streben! Und du, meine Mutter«, fuhr er wehmütig fort, »wirst zwar keinen Sohn mehr haben, aber die gerechtesten Ansprüche auf die Wohltätigkeit der Menschen. Arme, schwer geprüfte Frau, lebe wohl!«

      Richards Augen füllten sich mit Tränen; er wollte sie zurückhalten, aber unaufhaltsam rollten sie über seine bleichen Wangen. Schluchzend bedeckte er das Gesicht mit beiden Händen und ließ den Kopf auf den Tisch herabsinken. In dieser Stellung hatte er wohl eine halbe Stunde verbracht, als er sich plötzlich erhob, die Feder ergriff und zu schreiben begann. Nachdem er fertig war, legte er das Papier zusammen und steckte es zu sich. Dann ergriff er seinen Hut und verließ das Zimmer. Leise trat er in das Krankenstübchen, das von dem letzten Strahl der scheidenden Sonne nur noch matt erhellt war. Der Greis lag schlummernd in seinem Bett und Richards Mutter, ebenfalls eingeschlafen, saß auf dem kleinen Holzstuhl, der an der Seite des Krankenlagers stand.

      Wie festgebannt blieb der junge Bertram bei diesem Anblick an der Türschwelle stehen; ein namenloses Gefühl zerriss ihm die Brust; er konnte kaum verhindern, dass er in lautes Weinen ausbrach. Noch einmal streckte er die Hände aus, als ob er beide umarmen wollte, dann zog er sich leise zurück, verschloss die Tür und eilte aus dem Haus.

      Die Vesperglocken tönten durch den klaren Abend, als er die Straße betrat.

      Die Arbeiter in der Fabrik des Herrn Hubertus hatten schon seit einer Stunde ihr Tagewerk vollendet und die Ruhe des Abends, die durch den drückenden Belagerungszustand der Stadt vermehrt wurde, beherrschte die Räume des ganzen Hauses, als Kaleb hastig in das Kontor trat, wo Franz noch arbeitete. Es war der erste Tag, an dem die regelmäßige Postverbindung mit der Hauptstadt wiederhergestellt war; der junge Mann hatte eine nicht unbedeutende Anzahl eingegangener Briefe zu beantworten, die am nächsten Morgen zur Post befördert werden sollten.

      »Ach, Herr Franz«, rief der alte Mann zitternd und bleich, »wir sind verloren, wenn sich das Gerücht bestätigt, das mir soeben ein Freund mitteilte, der unsere Verbindung mit dem Bankhaus W. kennt. Er ist eigens hierhergeeilt, damit wir noch Schritte tun können, um unser Eigentum zu retten!«

      »Worum geht es?«, rief Franz, indem er erschrocken die Feder sinken ließ; »reden Sie, lieber Kaleb!«

      Der Greis war auf einen Stuhl gesunken, um sich von dem Schrecken und von dem raschen Gang zu erholen.

      »Was für ein Gerücht ist Ihnen zu Ohren gekommen?«, fragte Franz dringend, als Kaleb immer noch dasaß und beide Hände auf die Brust legte, als ob ihm völlig der Atem ausgegangen wäre.

      »Dass das Bankhaus W.«, stammelte der Alte, »vielleicht morgen schon fallieren wird.«

      Der Associé des Herrn Hubertus stand einen Augenblick wie vom Blitz getroffen da; seine Hände hingen schlaff am Körper herab und Totenblässe bedeckte das Gesicht, denn die Wahrheit dieses Gerüchtes war eine Lebensfrage für das Geschäft desselben, da er, wie wir wissen, das letzte Kapital in jenem Bankhaus deponiert hatte.

      »Kaleb«, stammelte er nach einer Pause, »was Sie gehört haben, ist doch nur ein Gerücht, nicht wahr? Hat Ihr Freund die Quelle angegeben, aus der er geschöpft hat?«

      »Wie er mir sagte, sei in der ganzen Stadt die Rede davon; viele sollen das Fallissement schon als ganz gewiss betrachten.«

      »Nein«, rief Franz, »das kann ich nicht glauben; Herr W. ist nicht nur ein reicher, sondern auch ein redlicher Mann, der sich des allgemeinen Vertrauens und der Achtung aller zu erfreuen hat. Es ist Verleumdung, niedrige, infame Verleumdung!«

      »Herr Franz«, sprach Kaleb, indem er aufstand, »die neue Zeit hat mich so mit Misstrauen gegen alle Welt erfüllt, dass ich auch der Redlichkeit des Herrn W. nicht mehr traue. Wenn meine Bitten etwas über Sie vermögen, so eilen Sie diesen Abend noch zu dem Bankier und kündigen oder erheben die Summe, die er von uns in Händen hat. Das Gerücht mag sich bestätigen oder falsch sein; ich halte dafür, dass das Geld in unserer eigenen Kasse besser aufgehoben ist als dort. Eilen Sie, mein junger Freund, eilen Sie und lassen Sie den Rat eines alten Geschäftsmannes nicht unbeachtet an Ihren Ohren vorbeigehen!«

      »Mein Gott«, sprach Franz verwirrt; »ich weiß nicht mal, was ich dem Mann sagen soll.«

      »Sagen Sie ihm rundheraus, was Sie gehört haben, und fordern Sie Ihr Geld zurück. Und selbst, wenn Sie nichts erreichen, so erhalten Sie doch wenigstens Gewissheit und können dadurch Herrn Hubertus und Fräulein Anna einen großen Schrecken ersparen. Bedenken Sie nur, es ist unser letztes Kapital! Wer weiß, ob die Wendung der Dinge so bald einen merklichen Vorteil für uns herbeiführt. Ich beschwöre Sie, Herr Franz, legen Sie alle Delikatesse beiseite und gehen Sie zu dem Bankier, ehe es zu spät ist.«

      »Ich werde gehen«, sprach der junge Mann nach einigem Zaudern, »damit ich mir später keine Vorwürfe zu machen habe. Wie spät ist es?«

      Kaleb sah zu der Kontoruhr.

      »Sieben Uhr vorüber«, antwortete er; »bis acht Uhr hat unser Mann sein Kontor geöffnet; darum eilen Sie, es ist die höchste Zeit.«

      Der junge Mann eilte auf sein Zimmer, um sich anzukleiden. Nach zehn Minuten verließ er das Haus.

      »Ich erwarte Ihre Ankunft im Kontor«, rief Kaleb ihm nach; »ziehen Sie nur die Glocke, falls das Haus geschlossen ist, und ich öffne.«

      Der alte Kassierer lauschte noch einige Augenblicke auf die sich in der Ferne verlierenden Schritte seines Freundes, dann kehrte er mit dem Seufzer: »Gott gebe, dass er gute Nachrichten bringt!« in das Kontor zurück und beschäftigte sich mit dem Ordnen der Bücher und Register, die auf den Pulten umherlagen.

      Da Franz auf dem Platz keinen Wagen vorfand, setzte er seinen Weg zu Fuß fort. Je mehr er über den Zweck seines Ganges nachdachte, desto begründeter fand er Kalebs Besorgnis, und je mehr bei dieser Erkenntnis seine Angst wuchs, desto mehr forcierte er seine Schritte. Nur mit seiner Angst beschäftigt, flog er durch die menschenleeren Straßen; er bemerkte kaum die starken Militärpatrouillen, die schallenden Schrittes an ihm vorbeigingen. Plötzlich weckte ihn das Rauschen eines Flusses aus seinem Nachsinnen; er stand an der Brücke, die er nur noch zu überschreiten hatte, um zum Haus des Bankiers zu gelangen.

      Die Glocke der nahen Kirche schlug halb acht Uhr.

      »Noch eine halbe Stunde!«, flüsterte Franz vor sich hin und setzte hastig seinen Weg fort. Nach fünf Minuten hatte er die Brücke überschritten und das Haus des Herrn W. lag vor ihm. Doch Erstaunen hemmte plötzlich seinen Fuß, als er die Mitte des Platzes vor der Brücke erreicht hatte, denn das Heim desjenigen, den das Gerücht als insolvent bezeichnete, war festlich beleuchtet und eine lustige