Seewölfe - Piraten der Weltmeere 462. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954398706
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brach ihm der Schweiß aus. Er war froh, als Jean Ribault erschien und zum Alle-Mann-Manöver aufrief.

      „Versammelt euch am Strand!“ rief er. „Wir brauchen jede Hand!“

      „Beim Donner!“ stieß Old O’Flynn hervor. „Das hätte ich fast vergessen! Hölle, die ‚Golden Hen‘ soll kielgeholt werden!“

      Mary schwieg wieder und bemühte sich, der Pantry so viel Glanz zu verleihen, daß man von ihren Planken essen konnte. Old O’Flynn warf ihr noch einen Schmachtblick zu, dann wandte er sich ab und stiefelte über das Deck der „Empress“ zum Schanzkleid.

      Er verharrte dort, stützte die Hände auf und rief: „Ich komme! Es kann gleich losgehen!“

      Mary konnte sich ein Lächeln jetzt doch nicht verkneifen. Sie lächelte auch noch, als Gotlinde die Pantry betrat und sie ansah.

      „Was ist denn mit dir los?“ fragte Gotlinde.

      „Ach, ich denke nur über dieses und jenes nach. Ob’s wohl ein Junge oder ein Mädchen wird beispielsweise.“

      „Ich wollte eben nicht stören, weil du wohl eine Aussprache mit deinem Knurrhahn hattest.“

      Mary schüttelte den Kopf. „Wir hatten keine Aussprache. Ich lasse den alten Dickschädel noch ein wenig in der Luft hängen, das hat er verdient.“

      Gotlinde lachte. „Ihr seid wirklich ein herziges Pärchen, ihr beiden.“

      „Ja, aber auf unsere Weise haben wir uns gern“, sagte Mary. „Und was sich liebt, das neckt sich. Ist es nicht so?“

      „Sicher.“ Gotlinde trat zu ihr und half ihr beim Aufräumen und Saubermachen. Dabei dachte sie an den Wikinger. Mit dem hatte sie auch nicht immer leichtes Spiel. Wenn sie an die Eifersuchtsszenen dachte, die er manchmal wegen des Störs anzettelte – nicht zu fassen! Man hatte es eben nicht leicht mit den Männern. Doch die Hauptsache war, daß in ihrer rauhen Schale ein guter Kern steckte – und ein Herz.

      Old O’Flynn war unterdessen in sein Beiboot geklettert. Martin Correa und Ray Hoback gingen mit ihm von Bord der „Empress“. Sie pullten mit der Jolle an Land. Mulligan, der vormals mit zur Crew der „Empress“ gehört hatte, befand sich seit der Ramming an Bord der „Golden Hen“. Dort hatte er genug Holz und Material gefunden, um ein neues Ruder für die Karavelle herzustellen. Inzwischen war das Ruder fertig. Jetzt mußte die „Golden Hen“ am Nordstrand der Bucht kielgeholt werden, damit das neue Ruder eingepaßt werden konnte.

      Die Männer versammelten sich am Strand. Hesekiel Ramsgate leitete die Arbeiten und verteilte sie an die verschiedenen Taljen, die bereits am Vortag von der „Golden Hen“ zum Land geschoren worden waren.

      Auch Old O’Flynn, Hoback und Correa reihten sich ein. Die „Golden Hen“, mußte auf den flachen Strand gezogen werden – das kostete Ausdauer und Muskelkraft.

      „Es kann losgehen!“ rief Ramsgate. „Alles hört auf mein Kommando!“

      „Aye, Sir!“ schrien die Männer.

      „Klar bei Taljen?“

      „Klar bei Taljen!“ brüllten die Männer.

      „Paßt auf mit den Pallhölzern!“ mahnte Ramsgate.

      „Klar bei Pallhölzern!“ rief Jean Ribault, der die Gruppe leitete, die für das seitliche Abstützen des Rumpfes eingeteilt war.

      Es waren Ramsgates Männer, die mit den Pallhölzern zu beiden Seiten bereitstanden. Sie würden die Hölzer im richtigen Moment gegen die Bordwände der „Hen“ stemmen, damit sie auf ebenem Kiel blieb, sobald sie nicht mehr aufschwamm.

      „Los!“ schrie Ramsgate.

      Die Männer packten die Läufer der Taljen, holten die Lose durch, bis die Leinen straff standen, und dann setzte das eigentliche Manöver ein: Mit Hauruck wurde die Karavelle Zug um Zug an Land gezogen. Kräftig packten die Männer zu, und ihren Gesichtern war die Anstrengung nach den ersten energischen Zügen deutlich anzusehen.

      „Hauruck!“ rief Ramsgate, der nun selbst mit anfaßte. „Willig!“

      „Vorwärts!“ schrie Jean Ribault, und Ramsgates Männer, die ins Wasser gewatet waren, begannen mit den Pallhölzern zu hantieren. Die ersten Hölzer wurden gegen die Bordwand gestemmt und auf dem Grund abgestützt.

      Die Männer mußten auf der Hut sein, denn durch die Bewegung des Schiffes wurden die im steilen Winkel zur Bordwand stehenden Hölzer in Zugrichtung gekantet. So wechselten sich die Männer umschichtig ab: Die „ausgebrauchten“ Stämme wurden vorn weggenommen und achtern wieder angesetzt. Es herrschte ständig Bewegung.

      Jean Ribault achtete darauf, daß nirgends eine „Schwachstelle“ auftrat. Wo ein Holz fehlte, gab er sofort den Befehl, es anzusetzen.

      Die „Golden Hen“ glitt mit ihrem Vorschiff auf das Ufer. Jean Ribault löste Ramsgate ab, und der Schiffsbaumeister überwachte die Arbeiten mit den Pallhölzern.

      „Hauruck!“ riefen die Männer wieder, und die Karavelle rutschte noch ein Stück näher auf den Sand.

      Insgesamt war es Kraftarbeit, aber mittels der mehrfach geschorenen Taljen verminderte sich der Kraftaufwand doch so, daß sie mit genügend Ausdauer in einem einzigen Arbeitsgang das Schiff aufs Ufer ziehen konnten. Unter Ramsgates Anweisungen gelang das Manöver perfekt – die „Golden Hen“ befand sich mit ihrem Vorsteven bereits auf dem Trockenen.

      Die Karavelle brauchte auch nur etwa bis zur Hälfte ihrer Rumpflänge auf den Strand gezogen zu werden. Das genügte, um das neue Ruder achtern am Steven einhängen zu können. Mulligan begab sich ans Werk. Das neue Ruder war fertig. Er brauchte die Trümmerreste des alten nur abzunehmen. Dann brachte er neue Ruderösen am Achtersteven an und erneuerte auch die Fingerlinge, die nicht mehr brauchbar waren.

      Beim Einhängen des Ruders standen ihm Tom Coogan und Jonny hilfreich zur Seite. So klappte auch diese Arbeit reibungslos – die „Hen“ hatte ihr nagelneues, solides Ruder.

      „So“, sagte Old O’Flynn. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Jetzt könnt ihr zur nächsten Hai-Ramming auslaufen, Leute.“ Er sah Jean Ribault an und grinste.

      Jean Ribault grinste nicht mit. „Findest du das witzig?“

      „Ach, es ist mir nur so eingefallen.“

      „Du mußt wohl immer schwarzmalen, wie?“ fragte Jean Ribault. „Aber kümmre dich lieber um deine Angelegenheiten. Paß auf, daß du nicht aus Versehen wieder in dein Geisterloch fällst, wenn du über die Insel tigerst.“

      Old O’Flynn schwieg mit verkniffenem Gesicht. Es brachte nichts ein, den Franzosen herauszufordern. Der war viel zu schlagfertig. Außerdem: Welchen Sinn hatte es? Viel wichtiger war, daß er so schnell wie möglich wieder mit Mary ins reine kam. Mißstimmungen konnten Schwangerschaften negativ beeinflussen, hatte ihm mal jemand erzählt. Wer? Der Kutscher – oder? Verdammt und zugenäht, warum war der Kutscher jetzt nicht hier?

      Die Männer nahmen die Gelegenheit wahr: Die eine Arbeit konnte mit einer anderen sinnvoll verbunden werden. Nachdem das Ruder eingehängt war, fingen sie an, auch gleich den Muschelbewuchs am Unterwasserrumpf zu beseitigen. Im übrigen untersuchte Ramsgate den Rumpf eingehend und entdeckte ein paar Stellen, die frisch kalfatert und geteert werden mußten.

      Da auch die Männer der „Wappen von Kolberg“ und der „Pommern“ mithalfen, ging die Arbeit zügig voran. Die einen kratzten die Muscheln und Algen von der Karavelle ab, die anderen stopften mit Kalfateisen geteertes Werg in die Ritzen des Rumpfes.

      Als das erledigt war, strich Mulligan mit einem dicken Pinsel Teer auf die Flächen. Damit war die „Golden Hen“ wieder einwandfrei in Schuß. Der Teer brauchte nur noch zu trocknen, dann konnte sie wieder ins Wasser der Bucht befördert werden.

      Noch am Nachmittag dieses Tages wurden die Taljen umgeschoren und dieses Mal vom Heck hinüber zum steileren Südstrand der Bucht verfahren. Am Abend, im Einsetzen der Dunkelheit, war es