Die Wuhling an Bord der Karavelle war perfekt, die gebrüllten Befehle des Kapitäns fanden kaum noch Gehör. Anders ging es auf der Dreimastgaleone zu. Dort herrschten Disziplin und offenbar auch Gelassenheit. Von einem Augenblick zum anderen verwandelte sich das Schiff jedoch in eine feuerspuckende Festung, als nicht nur die Kanonenkugeln, sondern auch Brandpfeile und seltsame Flaschen zu der Karavelle hinübergeschossen wurden. Die Flaschen explodierten, und auch einige der Pfeile flogen donnernd auseinander. Im Nu stand die Karavelle in hellen, himmelan lodernden Flammen – und sie begann zu sinken.
„Weiß der Henker, wer der Kapitän ist“, sagte Pilar. „Aber er versteht sein Geschäft. Und der Don ist ein Narr, daß er sich mit ihm eingelassen hat.“
„Eine tolle Kampfesweise“, sagte auch Zubiga. „Davon können wir uns noch eine Scheibe abschneiden.“
„Die haben Wunderwaffen“, sagte Bollerup, der Holländer. „Seht euch doch die Flaschen an. Höllendinger sind das. Möchte wissen, was drin steckt.“
„Pulver natürlich“, entgegnete Pilar verächtlich. „Und Eisen, Schrot und Glas vielleicht. Das Ganze wird durch eine Lunte gezündet. Ist das so schwer zu begreifen?“
„Nein“, sagte Zubiga. „Aber die haben uns trotzdem einiges voraus.“
Pilar lachte auf.
„Wenn wir so eine Galeone hätten, würden wir ganz andere Schläge landen und uns mit solchen mistigen Karavellen gar nicht erst abgeben“, erklärte er großspurig. „Die dicksten Brocken würden wir vereinnahmen und die Pfeffersäcke um ihre Geldkatzen erleichtern.“
„Ja, wenn wir hätten“, brummte Garaudy, der Franzose. „Aber wir haben ja nicht, oder?“
„Ein Schiff wie das da unter meinem Kommando“, sagte Pilar. Er schien nicht gehört zu haben, was die anderen murmelten. „Dann könnte ich jetzt sogar die andere Galeone und die Karavelle erbeuten, gleich zwei Schiffe auf einen Schlag, meine ich. Dann hätten, wir drei Schiffe, könnten über jede Menge spanische Schatzflotten herfallen und würden die Beute nur so scheffeln. Na, wie findet ihr das?“
„Gut“, erwiderte Zubiga.
„Schlecht“, antwortete hingegen Anibal, der riesige Mulatte. „Wir haben kein Schiff, nur die miesen Schaluppen. ‚Hätten‘ ist also nicht – und ‚könnten‘ auch nicht.“
Pilar fuhr zu ihm herum und packte ihn. Sein Gesicht war verzerrt. „Mit anderen Worten, du traust mir so was nicht zu?“
Anibal steckte sofort zurück. Das körperliche Verhältnis zwischen Pilar und ihm wirkte, als könne er Pilar jederzeit mühelos die Knochen brechen. Doch eher das Gegenteil war der Fall. Anibal hatte Angst vor Pilar, weil dieser sehr viel schneller war als er.
„Doch, natürlich“, erwiderte Anibal deshalb. „Ich meinte nur – wir haben keine Chance, irgendwie an die Galeone ranzukommen.“
„Warten wir ab“, sagte Pilar bissig und ließ ihn wieder los. „Das Leben steckt voller Überraschungen.“
Sie schwiegen und verfolgten, was weiter geschah. Längst hatte die Dreimastkaravelle „Pax et Justitia“ ihren Besanmast eingebüßt, längst zeichnete sich das unabwendbare Ende ab. Sie ging auf Tiefe, und nur der Kapitän Luis de Segovia und sechs seiner Männer vermochten sich mit dem Beiboot zu retten. Sie pullten davon, zu den Inseln der Cayo-Cruz-Gruppe.
Daß der außenbords fliegende Besanmast mit seiner Rahrute einen Mann ins Wasser gefegt hatte, war von den Piraten ebenfalls beobachtet worden. Doch sie ahnten nicht, daß es sich um Don Juan de Alcazar, den Sonderbeauftragten und Agenten, Spaniens Mann in Havanna, seines Zeichens Generalkapitän mit Sondervollmachten, handelte. Auch schenkten sie ihm weiter keine Beachtung und sahen nicht, daß er sich auf einen Lukendeckel hatte retten können.
Die „Pax et Justitia“ sank. Bevor sie ganz verschwand, zerriß eine Explosion im Munitionsdepot das Wrack und verteilte die Trümmerteile über die See. Dann zeugten nur noch auseinanderlaufende und sich rasch glättende Wellenringe davon, daß hier ein voll armiertes Kriegsschiff existiert hatte.
Pilar und seine Kumpane verfolgten wie gebannt, was weiter geschah. An ihrer passiven Statistenrolle sollte sich schon bald etwas ändern.
2.
Für Don Juan de Alcazar erwachte der Tag mit rötlichen Ringen und grauschwarzen Schleiern, die unstet vor seinen Augen auf und ab wogten. Und Schmerzen hatte er – sein Kopf tat von der Verletzung weh, die die Rahrute des Besanmastes verursacht hatte.
So erlangte er sein Bewußtsein wieder und richtete sich stöhnend halb auf. Er stützte sich auf die Arme und registrierte als erstes, daß seine Unterlage bedrohlich schaukelte und keine sehr großen Ausmaße hatte.
Jetzt entsann er sich wieder: Ehe er ohnmächtig geworden war, hatte er sich auf den schwimmenden Lukendeckel der „Pax et Justitia“ gerettet. Hier war er dann zusammengesunken.
Wie lange war er besinnungslos gewesen? Er wußte es nicht. Lange Zeit konnte nicht verstrichen sein, er schloß dies aus dem Stand der Sonne. Sie stand noch recht tief über der See. Es war Vormittag – früh am Tag, aber zu spät für jede Art von Reaktion auf den forschen, rigorosen Angriff des Engländers.
Die „Pax et Justitia“ war verschwunden. Ob es Überlebende gab, konnte er auf den ersten Blick nicht feststellen. Unwillkürlich schloß er wieder die Augen, in ohnmächtiger Wut und wegen der Schmerzen und der Übelkeit, die heftiger als zuvor in ihm aufstiegen.
Er drehte sich auf den Rücken und atmete ein paarmal tief durch. Jetzt ging es besser. Er tastete seinen Kopf sorgfältig ab, konnte aber nichts finden außer einer mächtigen, schwellenden Beule, die bei der leisesten Berührung neue Schmerzen verursachte.
Blut konnte er aber nicht finden. Keine Platzwunde also, dachte er, um so besser. Auch sonst schien er unversehrt zu sein. Eigentlich überraschte ihn dieses Ergebnis. Er hatte, wie es schien, großes Glück im Unglück gehabt. Er hätte verbluten oder ertrinken können. Und die Haie? Wo blieben sie? Hatten sie noch nicht gewittert, daß es hier Beute gab?
Don Juan untersuchte seinen ganzen Körper und gelangte wieder zu dem Ergebnis, daß er keine Blessur hatte. Alles in Ordnung, dachte er, du bist dem Teufel noch mal von der Schippe gesprungen.
Auch seinen Degen hatte er noch – und das Messer, das er vorsorglich im Schaft eines seiner Stulpenstiefel untergebracht hatte. Die Bilanz fiel also nicht schlecht aus.
Er wandte den Kopf und spähte nach Westen. Jetzt entdeckte er die Galeone der Engländer – die „Isabella IX.“. Philip Hasard Killigrew, dachte er, fahr zur Hölle, ich wünsche es dir.
Es hatte den Anschein, als suche die Mannschaft der „Isabella“ die See ab. Nach Überlebenden? Um sie ebenfalls zu töten? Don Juan konnte es nicht glauben. Bei aller Wut mußte er sachlich bleiben und dem Seewolf zuerkennen, daß er durchaus fair gekämpft hatte. Schließlich war er, Don Juan, es gewesen, der ihn herausgefordert hatte.
So mochte es zutreffen, daß der Seewolf das Wasser abforschte, um etwaige Schiffbrüchige zu bergen und zu versorgen. Ritterlich war er also – so, wie man ihn Don Juan beschrieben hatte. Don Juan unterdrückte jedoch das Gefühl der Nachsicht, das in ihm aufzukeimen drohte. Killigrew war der Todfeind der spanischen Krone, das durfte er nie vergessen. Er hatte ihn festzunehmen und nach Spanien zu überführen, wo ein Schauprozeß stattfinden würde, der England bewies, daß es sich selbst nicht überschätzen durfte.
Dies waren Don Juans Gedanken, während er seinen Blick weitergleiten ließ.
Endlich hatte er durch Cariba in Havanna