Picou überlegte sich, daß er durch sein tapferes und loyales Verhalten bestimmt in Grand Ducs Gunst gestiegen war. Der Riese würde dies Masot gegenüber gewiß nicht verschweigen, und das wiederum bedeutete, daß Picou sich einige Chancen ausrechnen durfte, bei der anteilmäßigen Vergabe der Schatzbeute besser als die anderen abzuschneiden. Picou malte sich dies in den schönsten Farben aus und sagte sich im stillen auch, daß es gut war, wenn die Besatzung der „Saint Vincent“ ein wenig schrumpfte. Fünf Mann hatten heute nacht schon das Zeitliche gesegnet – und vielleicht würden die drei übrigen Ankerwachen von Masot höchstpersönlich wegen ihres Versagens hingerichtet werden. Das waren dann acht Kerle weniger. Acht unnütze Parasiten, mit denen man nicht mehr zu teilen brauchte.
Am Strand entstand plötzlich Bewegung.
Picou fuhr herum.
„Ein Angriff!“ riefen seine beiden Kumpane noch. Und dann ging es auch schon los: Zwei Explosionsfeuer stachen zwischen den Palmen himmelan, Donnerschläge rasten über den Strand. Masot, Grand Duc und all die anderen Kerle bei der Jolle schrien auf, zückten ihre Waffen und setzten sich gegen den unbekannten Gegner zur Wehr, der da aus dem Dickicht heraus zu agieren schien.
Die Piraten saßen in der Falle.
Ihr Gebrüll hallte zur Galeone herüber, und Picou und seine beiden Kumpane stürzten entsetzt an das Steuerbordschanzkleid der Kuhl. Alle drei versuchten sie, Genaueres zu erkennen, aber weder mit dem bloßen Auge noch durch den Kieker war etwas von dem unheimlichen Feind im Dunkel zu erspähen. Er hatte sich im Gebüsch eingenistet und schien ein Zielschießen auf die französischen Freibeuter zu veranstalten.
Und was hatte diese rätselhaften Explosionen hervorgerufen?
„Wir müssen ihnen helfen!“ schrie Picou. „Los, feuern wir die Kanonen ab!“
„Und wenn wir unsere eigenen Leute treffen?“ rief sein Kumpan zur Rechten. „Was ist dann? Wir können doch gar nicht richtig zielen!“
Picou kümmerte sich nicht um diesen Einwand. Er stürzte an das Geschütz der Steuerbordseite, das ihm am nächsten stand, wollte die Lunte mit Feuerstein und Feuerstahl entfachen, aber unvermittelt hielt er inne und wandte sich zur anderen Schiffsseite um, weil er dort eine schattenhafte Bewegung wahrgenommen hatte.
Er fuhr zusammen, verschluckte sich und begann heftig zu husten.
Ein Gigant schien sich aus den Schleiern der Nacht hervorzuschieben. Von Backbord achtern schlich er auf die „Saint Vincent“ zu, geräuschlos, unheimlich, unaufhaltsam.
Die „Isabella“ hatte sich mit einem weiteren Kreuzschlag in der Lagune auf Ostkurs gebracht, war dann abgefallen und hatte sich in einer engen Schleife genau auf das Heck der Piraten-Galeone zugeschoben. Dank der ziemlich präzisen Angaben der Männer von Hawaii hatte Ben Brighton dieses Manöver trotz der tiefen Finsternis einwandfrei durchführen können.
Jetzt war die „Isabella“ heran und schickte sich an, bei der „Saint Vincent“ längsseits zu gehen. Auf der Back standen schon die Männer zum Entern bereit, allen voran Ben Brighton, Shane und der alte O’Flynn.
„An die Serpentinen!“ brüllte Picou.
Er stürmte noch zum Achterdeck hinauf und wollte die beiden achteren Hinterlader der Galeone auf den Feind abfeuern, aber dazu kam er nicht mehr. Drohend schob sich die „Isabella“ neben den Franzosen, die Seewölfe jumpten von Bord zu Bord, gefolgt von den Insulanern – ein Menschenschwall schien sich auf das Piratenschiff zu ergießen.
Picou hatte seine Pistole Grand Duc überlassen und sich dummerweise keinen Nachschub aus der Waffenkammer des Schiffes geholt. Er merkte, daß er einen großen Fehler begangen hatte, wollte seinen Säbel zücken, sah sich auf dem Achterdeck aber plötzlich einer überragenden Zahl von Feinden gegenüber. Entschlossen rückten sie auf ihn zu.
Knirschend und schabend drückte sich die „Isabella“ noch ein Stück weiter vor, ihre Kork- und Taufender verhinderten, daß die Bordwände eingedrückt wurden.
„Streicht die Flagge!“ rief Ben Brighton Picou zu. Sein Französisch war nicht das beste, aber es reichte aus, um sich zu verständigen.
Picou ließ den Säbel fallen. Seine Kumpane auf der Kuhl sahen ebenfalls ein, daß Widerstand zwecklos war. Was konnten drei Kerle schon gegen diese Übermacht ausrichten?
Sie ließen also auch von ihren Waffen ab und hoben die Hände.
„Na also“, sagte Ben zu seinen Begleitern. „Damit hätten wir den Zweck der Übung erreicht. Hasard wollte eine heile, seetüchtige ‚Saint Vincent‘ haben – kein Wrack.“
Die beiden Höllenflaschen, die Ferris Tucker und der Profos unter den Palmen hatten hochgehen lassen, hatten nur der Ablenkung gedient. Masot, Grand Duc und die übrigen Piraten waren verwirrt, hasteten quer über den Strand auf den Ort der Detonationen zu – und genau das hatte der Seewolf gewollt. Er brach mit seinem Trupp aus dem Dickicht hervor und fiel der Piratenbande in die Flanke, ehe diese richtig reagieren konnte.
Hasard wollte ein Blutvergießen vermeiden. Im Handgemenge fielen nur wenige Schüsse, und den Radschloß-Drehling brachte er überhaupt nicht zum Einsatz. Mit einigen gezielten Fausthieben trieb er eine Bresche in die Masse von Leibern, arbeitete sich zu Masot durch und forderte diesen vor die Klinge.
Siri-Tong schlug zwei Kerle mit dem Kolben des Schnapphahnstutzens nieder, dann zückte sie ihren Degen und parierte einen wilden Entermesserhieb von Grand Duc.
Smoky, Dan, Batuti, Sam, Matt und Jeff warfen sich derweil in den Kampf gegen die übrige Meute. Thomas Federmann griff ebenfalls mit ein, so gut er konnte.
Die gefesselten und geknebelten Piraten Gugnot und Saint Cyr hatten sie im Dickicht hinter sich zurückgelassen.
Carberry und Ferris wollten unter den Palmen hervortreten und die anstürmenden Piraten zurückwerfen, da gab es einen unerwarteten Zwischenfall. Von Süden her rückten Vignoc und die beiden anderen Freibeuter an, die nach dem Verbleib von Federmann und dessen Bewachern Gugnot und Saint Cyr geforscht hatten. Sie schossen auf den Profos und den rothaarigen Schiffszimmermann, und Ferris Tucker spürte es plötzlich siedendheiß über seine Schulter brennen.
Er warf sich hin, überrollte sich und brachte die dritte Höllenflasche zum Vorschein.
„Ferris!“ schrie der Profos, der sich hinter dem Stamm einer Palme in Dekkung geworfen hatte. „Hölle, du alter Klamphauer, hat es dich etwa erwischt?“
„Nur ein Streifer“, stieß Tucker undeutlich aus. Dann hatte er die Flaschenbombe gezündet und ließ sie mit einem wilden Schlenker des linken Armes zu den anstürmenden drei Franzosen hinübersegeln.
Die Ladung ging im richtigen Moment hoch, und die Todesschreie der Angreifer gellten über den Strand bis auf die Lagune hinaus. Dies gab den Ausschlag – die meisten Piraten ergaben sich plötzlich.
Carberry sah aber, daß Grand Duc die Rote Korsarin immer noch mit dem Entermesser bedrängte. Mit einem Fluch sprang der Profos auf, war mit zwei Sätzen bei Grand Duc und hieb diesem die Faust in die Körperseite. Der Riese mit dem gelben Kopftuch ächzte und ließ seine Hiebwaffe unwillkürlich sinken. Carberry schlug noch zweimal zu, ehe Grand Duc sich richtig gegen ihn zur Wehr setzen konnte. Der Pirat sank in den Knien ein und brach auf dem weißen Sand zusammen.
„Edwin“, sagte die Rote Korsarin lächelnd. „Ich danke dir für die Unterstützung. Es stimmt eben doch – wo der Profos hinhaut, da wächst kein Gras mehr.“
„Och“, meinte Carberry. „War doch nicht der Rede wert, das …“
Plötzlich wirbelte etwas durch die Luft – es war Masots Schiffshauer. Der Seewolf stand mit leicht gespreizten Beinen auf dem Strand und hielt dem Schwarzbart die Spitze seines Cutlass gegen die Gurgel.
„Töte mich!“ schrie Masot. „Warum zögerst du noch?“
„Fesselt