„He“, sagte Osvaldo. „Was macht ihr denn da?“
„Huuu?“ stieß El Sordo fragend hervor.
„Kommt rein“, sagte Juanita. „Wollt ihr die ganze Bande aufwecken?“
Osvaldo und El Sordo traten ein. Ziemlich verdattert blieben sie vor der Frau und dem Mädchen stehen. Osvaldo räusperte sich.
„Wir dachten, Cuchillo sei hier“, sagte er leise.
„Quatsch“, erwiderte Juanita. Plötzlich zog sie einen spitzen Dolch unter der Bettdecke hervor. „Er soll nur erscheinen. Dann rechne ich mit ihm ab. Er ist ein brutales, gemeines Schwein.“
„Um Gottes willen, nein“, sagte Osvaldo.
„Beruhige dich“, sagte Maria. „Juanita hat das nicht wirklich vor. Wir haben uns nur zusammengesetzt und ein wenig geplaudert. Wir finden, daß diese Nacht günstig für unser Vorhaben ist.“
„Hokuspokus“, sagte Juanita. Sie schlug die Bettdecke zurück. Ein kleiner Berg Münzen erschien darunter – Dukaten, Reales, Piaster, Silberlinge. „Ich habe jetzt genug zusammengespart und verdient“, erklärte sie. „Das reicht mir. Hauen wir ab und schlagen wir uns zur Südküste von Kuba durch. Wir werden dort einen eigenen Laden eröffnen, vielleicht eine Kneipe.“ Ihre Augen verengten sich. „Es bleibt doch dabei, oder?“
„Klar“, antwortete Osvaldo. „Wir haben von Anfang an vorgehabt, Havanna den Rücken zu kehren, das weißt du. Dabei bleibt es.“
„Aber aufgepaßt!“ Juanita war gedankenschnell auf den Beinen und richtete die Spitze ihres Dolches auf El Sordos Gurgel. „Wenn ihr versucht, mich reinzulegen und mir mein Geld abzunehmen, könnt ihr schon jetzt euer letztes Gebet sprechen!“
El Sordo wich langsam zurück. Dieses Weib war ihm nicht ganz geheuer.
Osvaldo hob die Hand. „Laß das, Juanita. Wir haben unser eigenes Geld. Es ist nicht sehr viel, aber wir geben uns damit zufrieden.“
„Bevor wir fliehen, sollten wir aber Don Felipes Villa noch einen Besuch abstatten“, sagte Maria.
„Wegen des Geheimversteckes“, sagte Osvaldo. „Vielleicht ist noch Geld darin.“ El Sordo nickte eifrig dazu.
„Meinetwegen.“ Juanita steckte ihren Dolch wieder weg. „Mir geht es nur darum, klare Fronten zu schaffen. Wir legen unser Geld zusammen. Aber das soll euch nicht dazu verleiten, mich auszubooten.“
„Natürlich nicht, Juanita“, sagte Maria. „Auf unsere beiden Freunde kannst du dich wirklich verlassen.“
„Ich hab’ schon die verrücktesten Sachen erlebt“, erwiderte die Frau.
„Warum gehst du nicht allein fort, wenn du so mißtrauisch bist?“ fragte Osvaldo.
Die Hure maß ihn mit einem scharfen Blick. „Das habe ich euch schon mal erklärt. Alleine habe ich Angst.“
„Du und Angst?“ Osvaldo mußte unwillkürlich lachen. „Das kann ich mir nicht vorstellen!“
„Und doch ist es so“, entgegnete Juanita. „Denk darüber, wie du willst. Wenn im Dschungel Wegelagerer oder Wilde über mich herfallen, habe ich keine Chance. Außerdem kann ich an der Südküste, ganz gleich, ob in Batabanó oder anderswo, allein wenig ausrichten. Ich könnte höchstens wieder in einer Kneipe zu arbeiten anfangen. Aber ich will mich selbständig machen.“
„Gut, gut“, sagte Osvaldo. „Langer Rede kurzer Sinn: ich gehe jetzt unser Geld holen. Wir stecken alles in einen Beutel. Maria wird den Beutel verwalten. Einverstanden?“
„Jawohl“, erwiderte die Hure. Sie grinste jetzt. „Und dann packen wir unsere Klamotten und kratzen die Kurve.“
Sie grinsten jetzt alle vier. „Aber wir dürfen Burrito nicht vergessen“, gab Maria zu bedenken.
El Sordo gestikulierte heftig. Die Frau und das Mädchen schauten zu ihm. Sie schüttelten die Köpfe und blickten zu Osvaldo. „Er meint, das sei doch selbstverständlich. Niemals würde er Havanna ohne unser Maultier verlassen.“
„Klarer Fall“, sagte Juanita. „Ich sehe, wir sind uns wirklich einig.“
Osvaldo wischte sich den Schweiß ab, der sich auf seiner Stirn gebildet hatte. „Ja. Aber ihr beiden habt uns eben einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Könnt ihr uns das nächste Mal, wenn ihr das Geld zählt, nicht vorher Bescheid sagen?“
„Ihr habt so schön geschlafen“, versetzte Maria lachend. „Da wollten wir euch nicht stören.“
„Wegen Cuchillo braucht ihr euch nicht zu sorgen“, sagte Juanita. „Es ist jetzt die dritte Nacht, in der Bastida mit seinen Kerlen feiert. Die Hunde erscheinen hier erst wieder, wenn die Residenz erobert ist. Und dann sind wir längst weg.“ Ihre Worte waren von solch unwiderlegbarer Logik, daß Osvaldo, El Sordo und Maria nichts darauf zu erwidern hatten.
Capitán Don Luis Marcelo, der Kommandant der Stadtgarde, gab ein schwaches Stöhnen von sich. Dann öffnete er die Augen. Der schwerverletzte Mann hatte Schwierigkeiten, zu begreifen, wo er sich befand. Allmählich aber ging es ihm wieder auf. Nach den Straßenkämpfen, bei denen er verwundet worden war, hatte man ihn in die Residenz gebracht. Hier lag er nun und konnte sich kaum rühren. Die Schmerzen setzten ihm gewaltig zu.
Nur undeutlich vermochte Marcelo die Gestalten zu erkennen, die an den Seiten und am Fußende seines Lagers standen und miteinander tuschelten. Was wollen die? fragte er sich gequält. Warten die auf mein Ende? Ist der Priester schon da, um die Letzte Ölung vorzunehmen?
Wut stieg in Marcelo auf. Er war nie eine große Leuchte gewesen. Sein schlimmstes Laster war der Wein. Aber jetzt zeigte sich eine Reaktion in ihm. Nein, er wollte nicht so einfach sterben! Vielmehr wollte er dem verdammten Teufel von der Schippe springen, solange noch ein Fünkchen Leben, Geist und Verstand in ihm waren!
Der Zorn gipfelte in einem saftigen Fluch. Sofort ertönte eine Stimme über Marcelo. „Capitán, Sie dürfen sich nicht aufregen.“ Es war die Stimme des Arztes, Marcelo erkannte sie wieder.
Don Luis Marcelo riß die Augen so weit wie möglich auf. Jetzt konnte er die Gestalten endlich erkennen – den Arzt, einen Assistenten, mehrere Soldaten. Ein Priester war nirgends im Raum zu entdecken.
Aha, dachte der Capitán grimmig, es ist also doch noch nicht soweit.
Draußen ertönte das Donnern einer Drehbasse. Eine Kugel heulte heran und krachte gegen die Außenmauer. Ein Beben ging durch den Raum. Wieder stieß Marcelo eine tüchtige Verwünschung aus.
„Aber, aber, Señor“, sagte der Arzt besorgt. „Ich bitte Sie …“
„Und ich gebe Ihnen einen Befehl“, sagte Marcelo frostig. „Rufen Sie sofort meinen Stellvertreter, den Primer Teniente Echeverria.“
„Sie dürfen jetzt nicht sprechen“, warnte der Arzt.
Marcelo blickte ihn aus funkelnden Augen an. „Es ist ein Befehl, haben Sie nicht verstanden?“
„Doch – jawohl.“ Der Arzt gab einem der Soldaten ein Zeichen. Der Soldat verschwand, um Echeverria zu holen.
Marcelo war über sich selbst erstaunt. Er hatte große Schmerzen, aber die Schmerzen kümmerten ihn in diesem Moment einen Dreck. Was noch verwunderlicher war: er verspürte nicht das geringste Verlangen nach Wein. Vielmehr fühlte er eine neue Art der Verantwortung und war von dem Wunsch beseelt, sofort etwas gegen das Gesindel zu unternehmen, das Havanna in eine Stadt des Terrors verwandelt hatte.
Der Primer Teniente Echeverria erschien mit dem Soldaten, der ihn geholt hatte, und salutierte vor dem Krankenbett seines Kommandanten.
„Teniente“, sagte der Capitán, „die Hunde haben mich übel zugerichtet. Aber ich kratze noch nicht ab.“
„Ich bin darüber sehr erfreut