Die Ladys unterbrachen ihr Geplapper.
„Sehr verehrte Ladys und Gentlemen!“ rief Cummings. „Ich darf Sie jetzt bitten, Platz zu nehmen. Das Festbankett zu Ehren unserer Gäste soll sogleich eröffnet werden.“
Die Ladys und Gentlemen setzten sich in Bewegung. Diener eilten mit silbernen Tabletts herbei, um die leeren Rotweingläser fortzuschaffen. Die Lautenspieler unterbrachen ihre Zupfmusik, bis das Stühlerücken beendet war. Dann setzten sie das Hintergrund-Konzert mit einer betont rhythmischen Ecossaise fort.
Lord Mayor Abbot Cummings nahm am Kopfende der Tafel Platz. Links neben ihm begann die Reihe mit Philip Hasard Killigrew, dann Lady Bethesda Cummings und Jean Ribault. Neben dem Kapitän der „Le Vengeur“ hatte sich Mistreß Gilda Bishop niedergelassen, gefolgt von ihrem Ehemann Anthony Bishop, dem ersten stellvertretenden Bürgermeister. An derselben Seite der Tafel saßen auch der zweite stellvertretende Bürgermeister Charles Henderson mit Ehefrau, außerdem Father Crowley und Doctor Abraham Shafter und dessen Frau.
Der Platz rechts neben dem Lord Mayor war freigeblieben. Die übrigen Plätze belegten die Council-Mitglieder James Collins, Harvey Shrubbs, Gordon Temble und Hugh Croydon, jeweils von ihren Ladys flankiert. Die unverheirateten Töchter der Honoratioren hatten sich um das andere Ende der Tafel gruppiert, von wo sie wehmütige Blicke zu Hasard und Jean Ribault schickten.
Abbot Cummings klopfte mit dem Messer an eines der noch leeren Weingläser, das einen hellen Glokkenklang von sich gab.
Das Gemurmel endete. Alle Blicke richteten sich auf das Kopfende der Tafel.
„Ladys und Gentlemen“, sagte Cummings mit geheimnisvollem Lächeln. „Sie alle wissen, daß dieses Festbankett zu Ehren von Sir Hasard Killigrew und Monsieur Jean Ribault stattfindet. Um diesem feierlichen Anlaß aber einen noch würdigeren Rahmen zu geben, ist es mir mit einiger Mühe gelungen, einen Ehrengast einzuladen, der seine Teilnahme auch zugesagt hat. Bitte empfangen Sie ihn jetzt auf angemessene Weise.“
Abermals brach die Lautenmusik ab. Andächtige Stille kehrte ein, als die Doppelflügel der großen Saaltür geöffnet wurden.
Schritte hallten vom Korridor herein.
Zwei Diener flankierten den Ehrengast, der jetzt in der offenen Tür erschien und zielstrebigen Kurs auf das Kopfende der Tafel nahm.
Die Ladys und Gentlemen erhoben sich von ihren Plätzen. Ein respektvolles Raunen wurde laut. Dann klatschten sie spontanen Beifall.
Hasard hatte das Gefühl, einen Schlag ins Gesicht zu erhalten. Notgedrungen waren auch Jean Ribault und er aufgestanden.
Der Ehrengast war von kleinem Wuchs, aber kräftig gebaut. Ein Spitzbart und ein Schnurrbart mit hochgezwirbelten Enden zierten sein rundes, leicht rötliches Gesicht. Seine hellen Augen blickten energisch und selbstbewußt. Er trug ein teures braunes Wams, das mit goldenen Litzen besetzt war. Das Ende seines Spitzbarts reichte bis in die Rüschen seines weißen Hemds. Seine etwas kurz geratenen Beine steckten in schwarzen Stiefeln, die zu spiegelndem Glanz poliert waren.
Abbot Cummings gab ein dezentes Handzeichen, noch bevor der Ehrengast die Tafel erreicht hatte. Der Beifall, an dem Hasard und Jean Ribault sich nicht beteiligt hatten, verebbte.
„Ich habe die Ehre, unseren hochverehrten Admiral, Sir Francis Drake, in unserer Mitte begrüßen zu dürfen!“
Wieder Beifall.
Drake verbeugte sich lächelnd, als er vor dem Lord Mayor stehenblieb. Gönnerhaft ließ er seinen Blick in die Runde schweifen – und versteinerte.
Das Lächeln fiel aus seinem Gesicht wie ein überreifer Apfel vom Baum. Blanker Zorn erglühte in der Tiefe seiner Pupillen. Seine blassen Lippen verdünnten sich zu einem kaum noch erkennbaren Strich.
Philip Hasard Killigrew lächelte frostig. Mühelos hielt er dem Blick des ehrenwerten Admirals stand. Drake indessen zog es vor, seine Aufmerksamkeit wieder dem Bürgermeister zuzuwenden. Der unbeugsamen Härte in den eisblauen Augen des Seewolfs schien Drakes zorniger Blick nicht gewachsen.
Der Lord Mayor war sichtlich verwirrt. Der jähe Wandel in Drakes Gesichtsausdruck war ihm keineswegs entgangen.
„Ich danke für die Einladung, Lord Mayor“, sagte Drake mit einer Stimme, die vor Kälte klirrte. „Doch ich hätte es sehr begrüßt, wenn Sie mich zuvor über die Teilnehmer dieser Tafelrunde informiert hätten.“
„Ich verstehe nicht, Sir Francis“, entgegnete Cummings verblüfft, während an der Festtafel ein aufgeregtes Tuscheln einsetzte. „Dieses Festbankett gibt der Rat der Stadt Plymouth zu Ehren von Sir Hasard Killigrew und Monsieur Jean Ribault. Da wir rechtzeitig von der bevorstehenden Ankunft der beiden ruhmreichen Kapitäne erfahren hatten, hielt ich es für eine nette Geste, auch Sie, Sir Francis, zu diesem Bankett einzuladen.“
Der ehrenwerte Admiral erbleichte. Seine Augen wurden groß und weit, wie er den Bürgermeister fassungslos anstarrte.
„Sind Sie bei Trost, Mann?“ fauchte er. „Dieses Bankett wird nicht zu meinen Ehren gegeben?“
Hasard und Jean Ribault konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie einen raschen Blick wechselten. Drake hatte es noch nie vertragen können, an die zweite Stelle gesetzt zu werden – egal, in welcher Situation.
Abbot Cummings schnappte nach Luft. Ihm fehlten die Worte. Für ihn mußte es ein kleiner Schock sein, daß die erhoffte Überraschung total mißlungen war. Er hatte letzten Endes damit gerechnet, daß sich die Sieger der Schlacht gegen die Armada unter tosendem Beifall um den Hals fallen würden. Daß sie sich aber offensichtlich spinnefeind waren, das hatte der Lord Mayor nicht im Traum erwartet.
Hasard sprang für den sprachlosen Bürgermeister in die Bresche.
„Eines versichere ich Ihnen mit Brief und Siegel, Admiral“, sagte er eisig, „wenn Kapitän Ribault und ich von Ihrer Anwesenheit gewußt hätten, wären wir diesem Bankett so fern wie nur irgend möglich geblieben!“
Es wurde totenstill im Saal.
Der Bürgermeister ließ sich mit einem Seufzer auf den hohen Stuhl sinken, dessen Lehne die Ornamente seiner Amtswürde trug. Cummings schlug beide Hände vor das Gesicht. Er brauchte eine Weile, um seine Fassung wiederzugewinnen.
Drake sah unterdessen die Chance, den Bastard Killigrew vor aller Öffentlichkeit in Grund und Boden zu stampfen. Mit zwei wütenden Schritten trat der Admiral auf den Platz zu, der ohnehin für ihn vorgesehen war. Nun stand er dem Bastard, der ihn schon mehrfach gedemütigt hatte, Auge in Auge gegenüber. Zornbebend stemmte Drake beide Fäuste auf die Tischplatte. Die Tatsache, daß dieser Kerl auch noch sein unbeeindrucktes Lächeln beibehielt, fachte seinen Zorn zu unermeßlicher Glut an.
„Jetzt ist es genug, Killigrew!“ schrie Drake mit schriller Stimme. „Endgültig genug! Ich dulde nicht, daß Ihre Vermessenheit und Ihre Unverschämtheit noch länger hingenommen werden. Die Öffentlichkeit soll jetzt erfahren, welche unglaublichen Dreistigkeiten Sie sich herausgenommen haben! Und ich werde nicht länger ein Blatt vor den Mund nehmen. Ich werde Ihre Unverschämtheiten nicht länger mit dem Mantel der Verschwiegenheit zudekken!“ Er räusperte sich und holte tief Luft.
„Dann legen Sie mal los, Verehrtester“, sagte Jean Ribault trocken.
Drake schluckte, lief puterrot an und hatte sichtliche Mühe, nicht vor Wut zu platzen. Aber einmal in Fahrt geraten, war er nicht mehr zu bremsen.
„Sie allein haben die Schuld, Killigrew!“ schrie der Admiral mit sich überschlagender Stimme. „Sie und Ihr französischer Kumpan sind schuld daran, daß die spanische Armada nicht mit Stumpf und Stiel vernichtet worden ist! Sie haben sich nicht gescheut, den Spaniern auch noch zu helfen, als es darum ging, ihnen den entscheidenden, Todesstoß zu versetzen. Das haben Sie sogar mit Waffengewalt durchgesetzt – zu dem Zeitpunkt nämlich, als ich mit meinem Schiff zum maßgeblichen Schlag gegen den Feind angesetzt hatte. Dabei wurde die ‚Revenge‘ sogar beschädigt. Das ist eine Ungeheuerlichkeit,