Zwei junge Mädchen, Legong-Tänzerinnen, befanden sich in den Händen der üblen Kerle.
Wäre es nicht doch besser gewesen, den Fremden das zu geben, was sie verlangt hatten?
So mancher fragte sich das, aber jeder liebte auch seine Freiheit, und die war ihm ein Opfer wert.
4.
Auf der „Isabella“ drehte sich immer noch alles um den brütenden Aracanga-Papagei. Er blieb Gesprächsthema eins, und daran erhitzten sich die Gemüter.
Carberry selbst mußte sich von Smoky sagen lassen, daß er wie eine liebevoll besorgte Mutter über Deck schleiche und direkt rührend wirke.
Aber dem Profos war selbst diese Motzerei gleichgültig, und so maß er den Decksältesten nur mit einem schiefen verächtlichen Blick, bis Smoky rote Ohren kriegte und davonschlich.
Am späten Nachmittag stürmten die Zwillinge zu Carberry, der sich gerade auf dem Quarterdeck aufhielt. Beide waren aufgeregt.
„Ist etwas mit dem Vogel passiert?“ fragte Ed besorgt.
„Ja, Mister Carberry, Sir John hat noch ein Ei gelegt“, berichtete Philip aufgeregt.
„Teufel auch! Das muß ich mir ansehen“, sagte Ed und begab sich mit langen Schritten zum Vordeck.
Dort hockte er sich wieder auf die Planken, schob sein narbiges Gesicht durch die Käfigtür und bestaunte das vierte Ei, das der Papagei gelegt hatte. Allerdings erschien es ihm ein wenig kleiner als die anderen.
„Merkwürdig“, sagte er zu den beiden Jungen, „ich dachte immer, die Eier haben alle die gleiche Größe.“
„Vielleicht wird das nur ein kleinerer Papagei“, sagte Hasard junior.
„Ja, das kann sein. Aber warum hockt das Biest denn nicht ständig auf den Eiern?“
„Vielleicht legt er noch mehr und fängt erst danach richtig mit dem Brüten an, Mister Carberry.“
Der Profos nickte und kroch noch einmal hinein. Ja, das eine Ei war etwas kleiner, aber es wollte nicht in seinen Schädel, daß es deshalb ein kleinerer Vogel werden sollte.
Hinter ihm standen die Zwillinge mit todernsten Gesichtern. Sie sahen sich an, zuckten aber mit keiner Miene, als der Profos wieder zum Vorschein kam.
Sir John hockte in dem Käfig, vollgefressen und satt, und warf seinem Gelege nur einen müden, uninteressierten Blick zu, und als Ed aufstand, hörte er klar und deutlich: „Affenarsch!“
„Brüte du nur deine Eier aus“, sagte er grollend, „sonst ziehe ich dir jede Feder einzeln von deinem Affenarsch!“
Es war schon ein seltsames Ding mit dem Papagei, fand er. Und an Bord geschahen noch mehr so seltsame Dinge, aber weil sie so unerheblich waren, ging ihnen auch niemand auf den Grund.
Der Schiffszimmermann vermißte seine Feile, dann wieder den Schmirgelsand, und später war alles wieder am Platz.
Dem Kutscher fehlten große Brokken Kandiszucker, und er hatte die Zwillinge im Verdacht, den Kandis aus dem großen Sack geklaut zu haben. Aber er schwieg, weil das einfache Lausbübereien waren, die nicht ausarteten.
Gegen Abend brüllte die Stimme des Ausgucks über Deck.
„Masten an der Kimm! Genau voraus!“
Damit war Sir John für eine Weile vergessen, und die Blicke wandten sich den gesichteten Masten an der Kimm zu.
Die Dämmerung legte ihre ersten zarten Schleier über das Meer. Die Masten blieben wie festgeleimt am Horizont und rückten auch nicht näher.
Aber es stand fest, daß das andere Schiff haargenau auf dem gleichen Kurs segelte wie die „Isabella“.
Als nachts heller Mondschein das Meer glänzen ließ, konnte der Seewolf das andere Schiff bereits im Spektiv erkennen. Die „Isabella“ holte langsam auf, aber der Fremde unternahm keine Anstalten, auszuweichen oder zu flüchten. Dabei stand es außer Frage, daß er den schlanken Rahsegler längst ebenfalls gesehen hatte.
„Könnte eine spanische Galeone sein“, sagte Ben Brighton, der ebenfalls lange durch das Spektiv blickte.
„Das vermute ich auch“, sagte Hasard.
„Wie verhalten wir uns, wenn wir aufgesegelt sind?“ wollte Hasards Stellvertreter und Bootsmann wissen.
„Wie es die Situation erfordert. Falls er keine feindlichen Absichten hegt, lassen wir ihn ziehen.“
Die fremde Galeone segelte ebenfalls sehr schnell, doch der „Isabella“ mit ihren überlangen Masten, an denen jeder Fetzen Tuch hing und die unter vollem Preß segelte, war sie unterlegen.
„Und wenn er Gold oder Silber im Bauch hat?“ fragte Ben. „Oder hast du deinen Kaperbrief vergessen, Sir?“
„Ganz bestimmt nicht. Aber woher soll er es haben? Von dem armseligen Kontinent? Die Galeone scheint auch nicht tief im Wasser zu liegen, also hat sie auch nicht viel geladen. Außerdem müssen wir ja nicht jeden Spanier ausmisten. Der vor uns ist vermutlich ein friedlicher Handelsfahrer, aber das werden wir früher oder später ja sehen.“
Unbeirrbar behielt der Fremde seinen Kurs bei. Am Morgen, als sich blutrote Sonnenstrahlen über das Wasser ergossen, begann sich der Wind langsam zu legen. Er blies zwar noch immer aus Ost, aber seine Kraft ließ spürbar nach, und das übertrug sich auch auf das Meer.
Die Dünung wurde schwächer, es gab keine langgezogenen Wellentäler mehr, und die Fahrt der Galeone ging zurück.
Das gleiche galt für den Fremden, auch er wurde merklich langsamer. Die Entfernung bis zu ihm betrug höchstens noch drei Meilen.
Hasard hatte für die „Isabella“ Gefechtsbereitschaft angeordnet, denn eine Begegnung auf See zwischen zwei fremden Schiffen verlief nicht immer unbedingt harmonisch, und so wollte er allen Eventualitäten rechtzeitig vorbeugen.
Al Conroy ließ die Culverinen und Drehbassen überprüfen. Die Stückpforten wurden noch nicht hochgezogen.
Der alte O’Flynn sah den Stückmeister unbehaglich an, zog das Genick ein und kratzte sich.
„Fehlt dir was, Donegal?“ fragte Al. „Du ziehst ein Gesicht, als ob es gleich hageln würde.“
„Mir ist auch so unbehaglich“, sagte der Alte.
„Doch nicht etwa wegen der Galeone? Ich glaube nicht, daß sie was von uns wollen.“
„Deswegen ist es nicht. Verdammt, ich weiß auch nicht, wie ich das ausdrükken soll. Mir ist eben verdammt mulmig.“
Al Conroy sah dem Mann mit dem Holzbein sinnend nach. Meistens war an O’Flynns „mulmigen Gefühlen“ etwas dran, hin und wieder hatte es sich jedoch als harmlos erwiesen. Conroy wußte nicht, was den Alten diesmal bewegte, wenn es nicht die fremde Galeone war.
Smoky, der mit einem Bündel Lunten in der Hand zur Kuhl ging, blieb ebenfalls bei Al Conroy stehen.
„Wie lange, glaubst du, brauchen wir noch, um mit ihm auf gleicher Höhe zu sein?“ fragte er.
„In etwa vier Stunden, denke ich, sind wir aufgesegelt, so daß wir auf Parallelkurs liegen.“
Smoky wollte wetten und behauptete, es würde mindestens noch fünf Stunden dauern, aber keiner von beiden hatte recht, denn sie sollten der fremden Galeone nie aufsegeln und würden sie auch niemals erreichen, denn etwas später geschah etwas, was die Seewölfe noch nie erlebt hatten.
Hasard entdeckte es vom Achterdeck zur selben Zeit wie der Ausguck Stenmark im Großmars der „Isabella“.
Weit vor der anderen Galeone bildete sich aus dem Nichts ganz dicht über dem Wasser ein zartgrauer Nebel. Er sah aus wie der Flaschengeist aus einem orientalischen Märchen, wie die Zwillinge treffend bemerkten.