Der komplette Bootsverband nahm nach diesem kurzen Aufenthalt nunmehr direkten Kurs auf den Hafen. Hasard begann, Ben Brighton und den anderen Männern, die an Bord der „Isabella“ zurückgeblieben waren, Zeichen zu geben. Nach der Explosion auf der kleinen Insel, mit der das Blockhaus in die Luft geflogen war, mußten sich die Kameraden mit den größten Sorgen geplagt haben. Jetzt aber begriffen sie, daß es weder bei Hasards noch bei Carberrys Trupp Tote oder Verwundete gegeben hatte, und auch sie hatten allen Grund zum Aufatmen.
Old Donegal Daniel O’Flynn stand neben Ben Brighton auf dem Achterdeck der „Isabella“ und beobachtete das Einlaufen der acht Boote. Die Männer auf dem Hauptdeck stimmten Jubelrufe an und schrien „Arwenack“, der alte Kampfruf der Seewölfe dröhnte über die Reede und wurde vom Südwestwind bis zu den Kaianlagen getragen.
Philip junior und Hasard junior, die Söhne des Seewolfes, hatten mit Plymmie, der jungen Wolfshündin, die Back geentert und winkten den Männern in den beiden Jollen begeistert zu. Plymmie bellte dreimal kurz, dann ließ sie sich schwanzwedelnd und mit einem zufriedenen Brummeln auf ihren Hinterläufen nieder. Auch sie schien verstanden zu haben, daß der ganze Aufruhr nun sein Ende gefunden hatte.
Old O’Flynn grinste plötzlich. „Ich hab’s ja gesagt – der dreizehnte März ist zu Ende, und schon wird alles wieder gut. Habe ich nicht recht gehabt, Ben?“
„Fang nicht wieder mit diesem blödsinnigen Aberglauben an“, sagte Ben. „Und laß uns nicht zu früh lachen.“ Er blickte durch sein Spektiv zu den Jollen und dann zu den sechs Booten des Stadtkommandanten, in denen sich je acht Soldaten und die neun Gefangenen befanden. Anschließend richtete er die Optik auf die Kaianlagen, wo sich eine beachtliche Menschenmenge versammelt hatte.
„Ich weiß schon, was du sagen willst“, brummte der Alte. „Nicht nur die Trümmer der Stadt rauchen. Die Leute da sind ganz hübsch geladen und würden sicher gern mit dem Korsumäki-Gesindel abrechnen. Aber was haben wir damit zu tun?“
„Im Grunde genommen gar nichts“, erwiderte Ben. „Doch ich kenne Hasard.“
„Ich vielleicht nicht? Aber diesmal siehst du viel zu schwarz, Mister Brighton, und das paßt mir überhaupt nicht. Wenn hier jemand den Teufel ans Schott malen darf, dann bin ich es.“
„Dieses Monopol will dir auch keiner nehmen“, sagte Ben.
Old O’Flynn stapfte mit seinem neuen Holzbein, das Ferris Tucker angefertigt hatte, auf, als wolle er die Festigkeit der Eichenholzplanken prüfen. „Wenn du jetzt mit Fremdwörtern um dich schmeißt, räume ich das Achterdeck. Schlaues Daherreden geht mir gegen den Strich, ich bin für klare Verhältnisse.“
„Ich auch“, sagte Ben und konnte ein Seufzen nur mit Mühe unterdrücken. „Und überflüssiges Gerede kann ich erst recht nicht leiden.“
Die Männer auf dem Hauptdeck, die den kurzen Dialog mitverfolgt hatten, stießen sich untereinander an und grinsten.
„Ich glaube, Donegal täte Ben sogar einen Gefallen, wenn er das Achterdeck räumen würde“, sagte der Kutscher leise.
„So ist es“, sagte Al Conroy. „Wenn der Alte so richtig in Fahrt gerät, ist er verdammt redselig. Vorhin hat er mir was von Rußdämonen erzählt, die zwischen den Trümmern von Abo herumkriechen.“
„Und du glaubst daran?“ fragte Jeff Bowie.
„Nicht die Bohne“, antwortete Al. „Ich bin ein nüchtern denkender Mensch, kapiert? Und überhaupt nicht abergläubisch.“
Sam Roskill lachte. „Aber sicher doch. Keiner von uns gibt sich mit Geistern und dem ganzen Kram ab, oder? Aber ich weiß aus sicherer Quelle, daß es sogenannte Irrwische gibt. Das sind Feuerdämonen, die sich beim Hellwerden verflüchtigen.“ Plötzlich blickte er zum Kai, hob die Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger über das Schanzkleid und stieß hervor: „Da! Da fliegt ja so ein Wesen!“
Alle hatten es gehört, fuhren herum und spähten zum Kai hinüber. Ihre Mienen drückten Verblüffung und Entsetzen aus. Nur Sam drehte sich langsam zu ihnen um, stemmte beide Fäuste in die Seiten und grinste verächtlich.
„Nicht abergläubisch, was?“ höhnte er. „Das ist ja der beste Beweis.“
„Weißt du, was du mich kannst, Mister Roskill?“ sagte Al Conroy drohend.
Natürlich wußte Sam es, aber sie hatten keine Gelegenheit dazu, ihr Gespräch weiterzuführen. Die beiden Jollen der „Isabella“ und die Boote des Stadtkommandanten hatten die auf der Reede ankernde Galeone inzwischen erreicht, und Hasard richtete sich von seinem Platz auf der Heckducht der großen Jolle auf.
„Alles klar bei euch, Ben?“ rief er.
„Hier an Bord ist alles in Ordnung!“ schrie Ben zurück. „Wie sieht es bei euch aus?“
Der Bootsverband glitt am Bug des Schiffes, der nach Nordwesten gerichtet war, vorbei, und der Seewolf winkte grüßend zu seinen Söhnen hoch, die nach wie vor auf der Back standen. Er blickte auch zu seinen Männern und registrierte, daß sie vollzählig an Deck versammelt waren. Außer Ben, Old O’Flynn, dem Kutscher, Al, Jeff und Sam waren da also Luke Morgan, Will Thorne, Nils Larsen, Jan Ranse und Piet Straaten. Dreißig Mann stark war die Crew der „Isabella“ jetzt, größer als früher, aber auch das Schiff hatte ja ganz andere Maße als die alte „Isabella VIII.“, die sie in Ägypten im versandeten Kanal der Pharaonen hatten zurücklassen müssen.
Fünfhundertundfünfzig Tonnen groß war die „Lady“, über fünfzig Yards lang und zehn Yards breit. Ihre Kiellänge betrug zweiundvierzig Yards. Bestückt war sie mit sechsundzwanzig Kanonen, vierzehn davon waren 25pfünder und zwölf 17pfünder. Dazu kamen je zwei Drehbassen auf der Back und dem Achterdeck – insgesamt also eine Armierung von dreißig Kanonen.
Ja, die Seewölfe konnten stolz auf dieses Schiff sein, das wieder von dem genialen Hesekiel Ramsgate erdacht und gebaut worden war. Die ersten Härteproben hatte es ohne Schaden überstanden, nur einen Ruderbruch hatten die Männer hinnehmen müssen. Schnell und wendig war die „Lady“, sehr seetüchtig und höchst manövrierfähig – ein Dreimaster, der die besten Voraussetzungen für eine Weltumsegelung bot.
Hasard wäre denn auch längst wieder auf der Schlangeninsel gewesen, hätte die Küsten der Neuen Welt angelaufen und vielleicht sogar das Kap der Stürme gerundet, wenn der geheime Auftrag der Königin nicht gewesen wäre. So aber hatte es ihn zunächst in die Ostsee verschlagen. Die Mission, die es zu erfüllen galt, verlangte ihm mehr Zeit ab, als er ursprünglich angenommen hatte, doch er hatte sich fest vorgenommen, den Auftrag zur Zufriedenheit aller Beteiligten abzuschließen.
Dies ging ihm durch den Kopf, als er jetzt zu Ben und Old O’Flynn hochschaute. Die Welt war groß, und es gab noch viele unerforschte Winkel für sie. Wer hätte jemals gedacht, daß sie eines Tages in Abo landen würden?
„Keine Verluste, keine Verwundeten!“ entgegnete er mit lauter, fester Stimme. „Auch bei der Garde des Stadtkommandanten keine Verletzten! Wir haben die Korsumäki-Bande ausgeräuchert und gefangengenommen!“
„Meinen Glückwunsch!“ rief Ben.
„Arwenack!“ schrie die Crew, und Old O’Flynn schwenkte triumphierend eine seiner Krücken.
„Ben“, sagte der Seewolf und gab seinen Männern im Boot das Zeichen zum Weiterpullen. „Wir kehren noch nicht an Bord zurück und sind Pekkanen noch dabei behilflich, die Gefangenen ins Stadtgefängnis zu bringen. Anschließend versuche ich, mit Heikki Lahtinen Kontakt aufzunehmen.“
„Aye, aye, Sir!“ rief Ben. Er hatte sich bereits gedacht, daß die Jollen den Kai anlaufen würden. Im Grunde war Hasards Vorgehen auch logisch: Einmal hatte Paavo Korsumäki bereits fliehen können, als nämlich die Garde des Stadtkommandanten