Auf das Zeichen Ferris Tuckers hin gingen sie mit langsamen Schritten auf den Mann zu. Er zeigte keinerlei Anstalten zu fliehen. Sie zogen ihren Kreis immer enger und verharrten schließlich in einem Abstand von wenigen Yards.
„Bist du allein?“, fragte Ferris Tucker.
Der Mann, dessen Alter schwer zu schätzen war und der abgerissen und verwahrlost aussah, nickte eifrig.
„Es ist sonst niemand hier“, erwiderte er, sehr zum Erstaunen der Arwenacks, in einwandfreiem Englisch. Seine Augen wanderten etwas unruhig von einem zum anderen. Mehrmals blieb sein Blick auf der spitzgeschliffenen Hakenprothese haften, die Matt Davies die fehlende rechte Hand ersetzte.
„Wer bist du?“ setzte Ferris Tucker seine Befragung fort. „Und was tust du hier inmitten der Sümpfe?“
Der Fremde zuckte mit den Schultern.
„Ich heiße Hank“, antwortete er, „Hank Turpin. Ich bin Engländer, lebe hier allein im Sumpf und kümmere mich um niemanden.“
„Aha“, sagte Ferris mit grimmigem Gesichtsausdruck. „Du vertreibst dir wohl die Zeit, indem du am Ufer herumfuchtelst und ehrsamen christlichen Seeleuten Rätsel aufgibst, wie? Und die restliche Zeit hüpfst du hier wie eine Vogelscheuche im Kreis herum und klopfst mit einem Prügel den Boden weich. Kein Wunder, wenn hier alles so schwammig ist.“
Hank Turpin grinste blöde.
„Der Boden ist immer weich“, sagte er. „Das hat nichts mit meinem Klopfen zu tun.“
„Was du nicht sagst!“ entfuhr es Nils Larsen. „Warum haust du dann zu wie ein Irrer? Verprügelst du etwa das Gras?“
Der verluderte Kerl grinste noch immer.
„Nein, aber ich jage Frösche und Schlangen. Meist kriege ich sie, indem ich sie mit meinem Knüppel totschlage. Es gibt hier viele Ochsenfrösche.“
Die Seewölfe waren verblüfft.
„Und was machst du mit dem Viehzeug?“ fragte Matt Davies.
„Frösche kann man essen“, lautete die lapidare Antwort. „Bei den Franzosen sind sie ein Leckerbissen.“
Matt schüttelte sich.
„Teufel noch mal, willst du uns vor dem Backen und Banken den Appetit verderben, he?“
„Nein, will ich nicht.“ Hank Turpin kicherte. „Du brauchst ja keine Frösche zu essen, wenn du nicht willst.“
Ferris Tucker schaltete sich ein.
„Jetzt laßt mal die Frösche in Ruhe“, sagte er knurrend. „Mir brennen ganz andere Fragen unter den Nägeln. Wir haben zwar mit Leuten, die in den Bayous leben, schon einschlägige Erfahrungen gesammelt, aber ich hoffe, daß du, Mister Turpin, da eine Ausnahme bildest und meine Fragen wahrheitsgemäß beantwortest. Wenn du aber versuchen solltest, uns aufs Kreuz zu legen, wirst du feststellen, daß wir verdammt ungemütlich werden können. Und vielleicht wird dann hier ausnahmsweise mal ein Engländer von den Ochsenfröschen gefressen statt umgekehrt.“
Turpin stützte sich auf sein Aststück und ließ wiederum sein merkwürdiges Kichern hören.
„Weißt du, an wen du mich erinnerst?“ fuhr Ferris fort.
„Nein.“
„An meine Großmutter, die hat nämlich auch immer so albern gekichert, wenn ich sie als kleiner Junge gekitzelt habe.“
Jetzt steigerte sich das Kichern Hank Turpins zu dem bereits wohlbekannten schrillen Lachen. Dieser Mann konnte unmöglich alle Mucks im Schapp haben, darüber waren sich Ferris Tucker und seine Mannen längst im klaren.
„Hör schon auf!“ befahl Ferris. „Erzähle uns lieber, was es mit diesem ‚schwebenden Haus‘ auf sich hat, das nachts auf dem Lake herumspukt.“
Turpins Gesicht wurde ernst.
„Ein schwebendes Haus? Willst du mich auf den Arm nehmen, Mister? Ich habe hier noch nie ein schwebendes Haus gesehen, weder bei Tage noch bei Nacht.“
„So genau mußt du das auch nicht nehmen“, fuhr Ferris fort. „Natürlich gibt es keine Häuser, die schweben. Es hat nur so ausgesehen. Höchstwahrscheinlich war es ein Kahn, der bei Nacht und Nebel über den See gefahren ist. Die Besatzung, von der nichts zu sehen war, hat gesungen und getrommelt. Manchmal hat es sich angehört, als würde jemand jammern und klagen. Du mußt das doch schon gesehen haben, wenn du hier lebst! Oder steckst du etwa selber dahinter, he?“
Hank Turpin schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht, von was du redest, Mister, wirklich nicht. Vielleicht – vielleicht habt ihr ein Geisterschiff gesehen?“
„Danke“, sagte Ferris trocken. „Diese Version kenne ich schon. Vielleicht bist auch du nur ein Geist, der Geisterfrösche totschlägt, um sie auf eine höchst irdische Weise in die Pfanne zu hauen!“
Turpins Gesicht verzog sich wieder zu einem blöden Grinsen.
„Ich bin kein Geist, Mister!“
„Was du nicht sagst!“ Ferris trat von einem Fuß auf den anderen. „Ist dir wenigstens eine Jolle aufgefallen, die sieben Männer an Bord hat? Bei ihnen kann ich dir versichern, daß es sich nicht um Geister handelt, sondern um Kameraden von uns, die seit dem Auftauchen dieses ‚Spuk-Kahns‘ spurlos verschwunden sind. Wenn du wirklich Engländer bist und einen Funken Anstandsgefühl gegenüber deinen Landsleuten hast, dann wirst du uns helfen, diese Jolle samt ihrer Besatzung zu finden!“
„Tut mir leid, Mister“, erklärte Hank Turpin. „Ich würde dir gern helfen, aber ich habe nichts gesehen. Wie gesagt, kümmere ich mich um niemanden, und meistens bin ich irgendwo in den Sümpfen unterwegs …“
„… um Frösche und Schlangen totzuschlagen“, unterbrach ihn der rothaarige Schiffszimmermann. „Na schön, Mister Turpin, du wirst uns als Gefangener zu unserem Schiff, der ‚Isabella‘, begleiten. Es könnte ja sein, daß du irgendwann einen lichten Moment hast. Vielleicht fällt dir dann doch etwas ein, was uns weiterhilft. Mister Brighton, unser Erster Offizier, versteht sich durchaus darauf, mit Leuten umzugehen, die an Gedächtnisschwund leiden.“
Der verluderte Kerl ging den Seewölfen mit einem erneuten Kichern auf den Nerv.
„Da muß ich wohl gehorchen“, sagte er. „Vielleicht kann ich eurem Koch mal zeigen, wie man die Frösche …“
„Willst du wohl das Maul halten!“ rief Matt Davies. „Mir dreht sich sonst der Magen um, verdammt!“
„Dann behalte ich es eben für mich“, sagte Turpin und setzte eine beleidigte Miene auf.
Ferris, Matt und Nils konnten nicht umhin, ihn für einen Irren zu halten. Sein Benehmen ließ zumindest darauf schließen. Trotzdem stiegen manchmal Zweifel in ihnen auf. Wußte er nun etwas über das „schwebende Haus“ und die verschwundene Jollenbesatzung oder nicht? Täuschte er am Ende seine Verrücktheit nur vor? Ben Brighton wußte sicherlich besser mit ihm umzugehen. Der würde ihn ordentlich in die Mangel nehmen. Sie wollten auf jeden Fall nicht riskieren, ihn voreilig laufenzulassen, denn schließlich wollten sie Hasard und ihre Kameraden finden, koste es, was es wolle.
Der kleine Trupp setzte sich in Richtung Ufer in Bewegung.
Blacky, der die Stimmen gehört hatte, war längst am Rand der kleinen Lichtung aufgetaucht und hatte dort Stellung bezogen. Immer wieder hatte er neugierig zu seinen Kameraden und ihrem Gefangenen hinübergeäugt. Den größten Teil dessen, was gesprochen worden war, hatte er mitgekriegt.
Hank Turpin begleitete die Seewölfe offenbar bereitwillig. Leicht nach vorn gebeugt marschierte er zwischen Ferris Tucker