Seewölfe - Piraten der Weltmeere 72. Fred McMason. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fred McMason
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954393893
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sich der alte O’Flynn besorgt.

      „Sollen wir ihn etwa seinem Schicksal überlassen?“ antwortete Hasard mit einer Gegenfrage.

      Old O’Flynn zog den Schädel ein. Er lehnte sich auf seine Krücke und kratzte sich mit der freien Hand über die Bartstoppeln in seinem verwitterten Gesicht. Old O’Flynn war abergläubisch, mehr noch als sie alle, und sein Gesicht sprach Bände.

      „Habe mal gehört, daß die Schiffe immer untergehen, die einen Jonas an Bord haben“, murmelte er. „Den besten Beweis sehen wir ja jetzt direkt vor uns.“

      Hasard blickte den alten O’Flynn kopfschüttelnd an.

      „Wer sagt denn, daß es ein Jonas ist? Kann genausogut auch ein völlig harmloser Irrer sein, der nach dem Untergang der Galeone den Verstand verloren hat.“

      „Nein, nein“, sagte O’Flynn heiser, „der Kerl ist nicht geheuer, der wird uns Unglück bringen!“

      Hasard spürte fast körperlich die Welle eisiger Ablehnung, die von der gesamten Mannschaft ausging. Niemand wünschte sich den Alten an Bord, sie wünschten ihn tausend Meilen weit fort, sie wünschten sich, ihn nie gesehen zu haben. Am liebsten wären sie in aller Eile davongesegelt und hätten den Alten seinem Schicksal überlassen, so hart es sich auch anhören mochte.

      Hasard, Ben Brighton und Edwin Carberry sprangen ins Boot. Der Profos stieß es von der Bordwand ab und pullte die paar Yards hinüber.

      „Nur damit ihr darauf vorbereitet seid“, sagte Hasard beiläufig, „auf dem Deck der Galeone liegen zwei tote Spanier.“

      Ed Carberry nickte düster, Ben Brighton preßte die Lippen zusammen. Sie hatten schon viele Wracks gesehen, und ein auf die Klippen aufgelaufenes oder gestrandetes Schiff flößte ihnen keine Furcht ein, erst recht ein toter Spanier nicht. Der Jonas war es, um den ständig ihre Gedanken kreisten, der ihnen nicht aus dem Schädel ging.

      Carberry legte das Boot an jene Stelle, wo ein yardlanger Riß im Schiff klaffte, wo es auseinandergebrochen war, von wo aus man ins finstere Innere sehen konnte. Es roch nach fauligem Holz, nach Bilgewasser, See und geteerten Tauen.

      Er band das Tau fest und sah den Seewolf an.

      „Na los, auf was wartet ihr noch?“ fragte Hasard. „Entern wir auf!“

      Die teilweise gebrochenen und zerstörten Planken boten guten Halt. Fast ließ es sich wie auf einer Leiter klettern. Dabei stellten sie auch gleichzeitig fest, daß die Galeone unverrückbar fest auf dem Felsen saß. Sie war aufgelaufen, oder der Sturm hatte sie hinaufgeschleudert und dann auseinandergebrochen. Teile des Bugs waren eingedrückt, ein Stück des Schanzkleides fehlte, und das große Holzkreuz am Bug war ebenfalls zerschmettert.

      Der Jonas sah sie nicht, oder nahm sie nicht zur Kenntnis, als sie nacheinander auf enterten.

      Hasard warf einen Blick zur „Isabella“ hinüber.

      Da standen sie, stumm und erwartungsvoll, wie eine Mauer, mit verschlossenen Gesichtern, abweisend und fast ängstlich. In keinem Gesicht regte sich ein Muskel.

      Aus der unmittelbaren Nähe wirkte der Jonas noch unheimlicher. Ein häßlicher, dürrer Alter, dessen schlohweiße lange Mähne unruhig im Wind flatterte. Wie ein Geist aus einer anderen Welt erschien er ihnen, wie er da so barfuß mit zerfetzter Hose am Schanzkleid lehnte.

      Einer Statue gleich, in der kein Leben war, wenn man von den flatternden Haaren absah.

      Hasards Blick fiel auf die beiden Leichen an Deck. Als er dem einen toten Spanier ins Gesicht sah, zuckte er unwillkürlich zurück.

      Das Gesicht unter dem Kupferhelm war schwarz angelaufen, die Augen in den Höhlen eingesunken, der Mund weit offen, aus dem eine schwarz verfärbte Zunge heraushing. Aber er konnte noch nicht sehr lange tot sein, genau wie der andere.

      Hasard ging auf den Jonas zu. Seit sie an Bord der spanischen Galeone waren, hatte noch niemand ein Wort gesprochen. Eine unheilvolle Atmosphäre lag auf dem Totenschiff, das in allen Verbänden ächzte und knarrte.

      Vor der ausgemergelten Gestalt blieb er stehen, streckte vorsichtig die Hand aus und berührte den Mann an der Schulter.

      Keine Reaktion. Der Jonas starrte mit seinen blicklosen, seltsam toten Augen in imaginäre Fernen, als sähe er Hasard gar nicht.

      „Glaubst du, er hat die beiden umgebracht?“ fragte Ben in die lastende Stille hinein.

      Hasard drehte sich langsam um, als noch immer keine Reaktion bei dem Jonas erfolgte.

      „Ich weiß es nicht, aber ich kann es mir nur sehr schlecht vorstellen. Weshalb hätte er sie umbringen sollen? Dieser eine hier“, Hasard wies mit der Hand auf den schwarzverfärbten Leichnam, „sieht fast so aus, als wäre er an irgendeiner Krankheit gestorben.“

      Carberry wich in heller Panik zurück.

      „Die schwarze Pest etwa?“ fragte er voller Entsetzen.

      „Auch das glaube ich nicht, sonst hätte es diesen, äh, Jonas sicher auch schon erwischt. Es muß etwas anderes gewesen sein.“

      „Da drüben liegt noch einer“, sagte der Profos mit seltsam belegter Stimme. Er wies zur Back hin, wo ebenfalls ein toter Spanier lag. Hasard ließ den Jonas stehen und wandte sich den beiden Männern zu.

      „Durchsuchen wir erst einmal das Schiff“, schlug er vor. „Vielleicht erfahren wir so, was sich hier abgespielt hat.“

      „Und was tun wir mit dem da?“ flüsterte Brighton. „Der kann doch nicht bis in alle Ewigkeiten hier herumstehen.“

      „Das werden wir nachher sehen. Einmal wird er sich ja auch wieder bewegen.

      Der Jonas rührte sich immer noch nicht. Er sah aus wie ein schweigender Todesbote, der gelassen abwartete, was die Zeit brachte. Hasard glaubte an seiner Blickrichtung zu sehen, daß der unheimliche Mann jetzt angestrengt zum Horizont starrte, sofern er überhaupt sehen konnte.

      „Mir wird jetzt schon ganz mulmig in den Knochen, wenn wir den bei uns an Bord haben, Ben“, flüsterte der Profos so leise, daß Hasard ihn nicht verstehen konnte.

      Sie gingen zur Back. Dort fanden sich insgesamt noch vier tote Soldaten. Zwei hatte der Fockmast erschlagen, das sah man auf den ersten Blick, bei den anderen war keine besondere Todesursache zu erkennen. Auch sie waren noch nicht lange tot, Hasard sah keinerlei Anzeichen von Verwesung bei den Leichen.

      Auf den Klippen entdeckte der Profos ebenfalls zwei tote Männer, die vermutlich der Aufprall der Galeone auf die Felsen dort hinübergeschleudert hatte.

      Im Mannschaftslogis sah es wüst aus. Planken waren zersplittert, Blechgeschirr lag auf dem Boden, und in einer großen Wasserlache lag ein weiterer Toter.

      Der Seewolf hatte immer noch keine Erklärung für das, was hier an Bord vorgefallen war. Weshalb hatte nur der Jonas das Unglück überlebt? Man konnte von einer Besatzungsstärke von annähernd zwanzig Mann ausgehen, und alle waren tot, bis auf einen, der ganz sicher nicht zur Crew gehörte.

      „Bleibt noch das Achterkastell“, sagte Hasard, als sie wieder nach oben stiegen. „Aber wenn dort jemand überlebt hat, dann hätte er sich längst gemeldet.“

      Sie durchquerten das wüste Durcheinander von abgesplitterten Rahen, Maststümpfen, zerfetzten Segeln und gerissenem laufenden Gut. Wieder mußten sie an dem Jonas vorbei, an dessen Haltung sich bis jetzt nicht das geringste verändert hatte.

      Noch einmal blieb der Seewolf stehen, stieß den Mann an und sprach zuerst ein paar Worte auf Englisch mit ihm.

      Keine Reaktion. Der Erfolg auf Spanisch war ebenfalls gleich Null.

      „Wie ein lebender Toter“, sagte Carberry leise. „Oder der Kerl ist wirklich wahnsinnig. Dann warne ich aber ernsthaft, ihn an Bord zu nehmen.“

      Hasard entgegnete nichts. Natürlich wollte er diesen Kerl auch nicht an Bord haben, aber andererseits befahl es ihm die reine Menschlichkeit den Unbekannten