5.
Die Sicht verschlechterte sich ständig. Über dem Wasser verdichtete sich der Dunst zu grauen Nebelschwaden, die sich mit der Dunkelheit vermischten.
Von den Verfolgern war kaum noch etwas zu sehen. Die Umrisse ihrer Boote hoben sich nur zeitweise vom Nachthimmel ab. Dafür aber drangen Stimmengewirr und das Geräusch von Riemen an die Ohren der kleinen Seewölfe-Crew.
„Na, wenigstens segeln sie nicht“, meinte Mac Pellew. „Pullen ist auch viel gesünder, denn es hält im Winter schön warm.“
„Du hast wohl Angst, die Kerle könnten sich einen Schnupfen holen, wie?“ Dan war sauer. „Ob sie nun pullen oder segeln – auf jeden Fall haben sie nicht aufgegeben, und das, was jetzt stattfindet, ist ein regelrechtes Katz- und Mausspiel. Das Üble daran ist nur, daß wir die Maus sind.“
„Das mag schon sein“, ließ sich Paddy Rogers vernehmen. „Aber wir sind eine verdammt bissige Maus, die nicht lange mit sich spielen läßt.“ Er zupfte an seiner prächtigen Knollennase.
„Soll das heißen, daß du die Kerle gerne angreifen möchtest?“ fragte Dan. „Man muß wohl nochmals daran erinnern, daß sich Hasard ausdrücklich jede Art von Kampfhandlung verbeten hat.“
„Na und?“ knurrte Big Old Shane, dem es in den nassen Kleidern jetzt doch etwas kalt wurde. „Hast du jemanden gesehen, der in einen Kampf verwickelt war?“
„Du Schlaumeier!“ sagte Dan bissig. „Bei dir ist das Zertrümmern von fremden Booten wohl keine Kampfhandlung, wie?“
„Nein“, entschied Shane. „Das war lediglich ehrliche Handwerksarbeit. Und als die Kerle nicht mehr wollten, daß ich ihre Boote so wunderschön verziere, habe ich sofort damit aufgehört. War es nicht so?“
„So ähnlich“, erwiderte Dan vorwurfsvoll. „Zumindest war die Zerstörung der Boote ein aggressiver Akt, der die Verfolgung ausgelöst hat. Wenn es uns nicht gelingt, die Burschen abzuschütteln, dann wird der Ärger erst richtig beginnen. Und genau das wollten wir ja vermeiden.“
„Wir sind dem Ärger ja bereits aus dem Weg gegangen“, verteidigte sich Shane, „indem wir den Kerlen nicht eins aufs Haupt gegeben haben, sondern hurtig davongesegelt sind. Wenn die sich über unseren kurzen Besuch ärgern, dann ist das ihre Sache. Oder ärgert sich vielleicht hier jemand – ich meine natürlich außer Mister O’Flynn?“
Die anderen grinsten nur, denn im Grunde genommen hatte es ihnen gutgetan, daß Big Old Shane kräftig zugelangt hatte. Damit hatte er den Schnapphähnen gezeigt, daß sich die Männer von der „Isabella“ nicht ungestraft die Ankertrosse kappen ließen.
Nur Dan schnitt immer noch ein sauertöpfisches Gesicht.
„Hör schon auf mit dem Theater, Shane. Du weißt genau, was ich meine. Du hättest die Verfolgung nicht provozieren sollen.“
„Schon gut, mein Sohn“, brummte Shane. „Nun hab ich eben mal ordentlich reingehauen! Sozusagen auf eigene Verantwortung, denn soweit ich mich erinnern kann, obliegt mir das Kommando für dieses Unternehmen. Gut, wenn du so willst, ist mir der Gaul durchgegangen, so was kann schon mal passieren, wenn der heilige Zorn in einem hochsteigt. Selbst der Apostel Petrus hat – wie in der Bibel steht – einmal wütend mit dem Schwert zugeschlagen und einem Häscher ein Ohr abgetrennt. Das war bestimmt nicht gerade das, was er gewollt hatte, aber als er sah, was da lief, da konnte er nicht anders. Und so erging es mir auch.“
Mac Pellew kicherte.
„Du wirst dich doch nicht mit dem heiligen Petrus vergleichen wollen?“
„Tu ich ja nicht“, meinte Big Old Shane. „Aber das Reinhauen kann ich mindestens so gut wie er!“
„Ich geb’s auf“, sagte Dan, „sonst vergleicht er sich am Ende noch mit dem lieben Gott.“
Shane grinste und nickte zufrieden.
Aber die Laune Dan O’Flynns sollte noch weiter absinken, denn wenige Minuten nach der hitzigen Debatte stellte sich heraus, daß sie keinen Bootskompaß an Bord hatten.
„Elende Schlamperei!“ fluchte Dan. „Der Nebel wird immer dichter, so daß man die Kerle fast nur noch anhand ihrer lauten Flüche orten kann. Und wir segeln ohne Kompaß durch die Gegend!“
„Da hast du allerdings recht“, sagte Big Old Shane, der sich jetzt diebisch über seine Revanche freute. „So was ist eine Riesenschlamperei. Am Ende segeln wir ohne Kompaß noch zurück nach England und merken es erst, wenn wir an die Kaimauer von Plymouth brummen. Wer ist denn eigentlich für den Kompaß verantwortlich, he?“ Über das bärtige Gesicht des ehemaligen Schmieds huschte ein hintergründiges Lächeln.
Die Antwort kam prompt, und zwar von Sam Roskill.
„Der Navigator natürlich, der ja zur Schiffsführung gehört.“
„Aha“, fuhr Shane fort. „Und wer ist dieser Mann auf der ‚Isabella‘?“
Wieder antwortete Sam Roskill, der sich gern an dem Spielchen beteiligte.
„Wenn ich mich recht erinnere“, sagte er, „dann ist das ein gewisser Mister Donegal Daniel O’Flynn. Für gewöhnlich hat er sich um solche Dinge zu kümmern.“
Der Kopf Dan O’Flynns war blutrot angelaufen, und genaugenommen war er froh darüber, daß es dunkel und neblig war, so daß ihn niemand so genau sehen konnte. Zunächst wollte er, wie es seinem Temperament entsprach, aufbrausen, aber dann besann er sich doch eines Besseren.
„Wenn dem heiligen Petrus und sogar einem gewissen Mister Shane was unterrutschen kann“, sagte er, „dann kann das ab und zu auch einem Navigator passieren. Außerdem braucht man normalerweise für einen kurzen Landausflug keinen Kompaß.“
„Normalerweise nicht“, meinte Big Old Shane, „aber bei Nacht und Nebel kann so ein Ding mitunter recht nützlich sein. Doch zum Glück gibt es ja noch Wassermänner. Vielleicht nimmt uns einer in Schlepp und lotst uns zur ‚Isabella‘ zurück.“
„Ich konnte schließlich nicht ahnen, daß es plötzlich so neblig wird“, erklärte Dan. „Und daß die verdammten Schnapphähne hinter uns her sind, ist auch nicht unbedingt meine Schuld.“
Shane vollführte eine großzügige Geste.
„Ist ja schon gut“, brummte er. „Jeder kann mal was vergessen. Als Petrus damals dem Häscher ein Ohr abhieb, hatte er auch nicht an das Verbandszeug gedacht, so daß der Herr Jesus ein Wunder wirken mußte, um dem Kerl das Ohr wieder dranzusetzen.“
„Hier geht’s aber nicht um Verbandszeug, sondern um einen Bootskompaß“, sagte Paddy Rogers und kratzte sich bedächtig am Hinterkopf.
„Na und?“ Old Shane grinste. „Dann wird Mister O’Flynn eben auch ein kleines Wunderchen vollbringen müssen. So einfach ist das!“
Dan stieß einen Knurrlaut aus.
„Auf Wunder könnt ihr lange warten“, sagte er. „Aber ich werde zur ‚Isabella‘ zurückfinden, darauf könnt ihr euch verlassen!“
Damit war das Thema vorerst erledigt.
Der zunehmende Nebel, der zusammen mit der Dunkelheit eine fast undurchdringliche, grauschwarze Mauer bildete, erforderte jetzt die volle Konzentration der Seewölfe. Sie konnten schon seit einigen Minuten nicht mehr feststellen, in welcher Richtung die „Isabella“ vor Anker lag. Außerdem konnten jeden Moment eins der Verfolger-Boote aus dem Nichts auftauchen.
Die Lage spitzte sich mehr und mehr zu.
„Jetzt schläft auch noch der Wind ein!“ Dans Gesicht wirkte plötzlich sorgenvoll. Bis jetzt hatte der Wind aus Süden geweht und der kleinen Bootscrew zumindest einige Anhaltspunkte für ihren weiteren Kurs geliefert. Nun aber törnten sie im Nebel herum und verloren vollends die Orientierung.
Nur