Nach diesen Erlebnissen gab es zu viele Wermutstropfen in der Siegesfreude. Doch andererseits waren Hasard und seine Männer höflich und verständnisvoll genug, um der aufrichtigen Begeisterung dieser Menschen in Plymouth nicht mit Schroffheit zu begegnen.
Der Bürgermeister von Plymouth war ein hochgewachsener Mann mit silbergrauem Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, wo eine weiße Halskrause den Abschluß seiner weinroten Amtsrobe bildete. Lord Mayor Abbot Cummings, so lauteten Titel und Name dieses Mannes, hatte trotz eines entbehrungslosen Lebens kein überschüssiges Fett angesetzt. Die Furchen seines scharfgeschnittenen Gesichts spiegelten Energie und Entschlußfreudigkeit – Eigenschaften, ohne die ein Mann in seinem Amt nicht existieren konnte. Hasard stufte zumindest den Lord Mayor als einen Menschen ein, der sich auf Titel und Würden nichts einbildete.
Über der Brust trug Cummings die goldene Kette mit den Insignien seines Bürgermeisteramtes.
Zwei Schritte vor den beiden Kapitänen verharrte das Komitee. Hasard und Jean Ribault spürten die Blicke, in denen Bewunderung und Neugier zugleich lagen. Besonders waren dies die Blicke der Ladys, die in ihren kostbaren Roben und mit den Duftnoten erlesenen Puders den teuren Hauch einer fremden Welt an Bord brachten.
Der Lord Mayor verneigte sich knapp. Dann blickte er den beiden Männern in die Augen. Er mußte seine Stimme erheben, im gegen das Geschrei der Menschenmenge zu bestehen.
„Sir Hasard, Monsieur Ribault! Ich begrüße Sie und Ihre Männer im Namen des Rates der Stadt Plymouth. Diese Stadt ist sich der Ehre bewußt, Sie in ihren Mauern zu wissen. Um dieser Ehre gerecht zu werden, haben sich einige Mitglieder des Stadtrates und ihre Ehefrauen eingefunden.“
Es folgte die Vorstellung der Honoratioren und ihrer Ladys. Die Frau des Bürgermeisters, Lady Bethesda Cummings, war gleichfalls grauhaarig, kräftig gebaut, fast vollschlank. Ihr mit Goldlitzen besetztes Kleid war aus kostbarer Seide gefertigt und stammte mit Sicherheit von einem der hochbezahlten Londoner Schneider.
Nicht minder eindrucksvoll war die Eleganz, die die übrigen Ladys mit ihren Roben und ihren kunstvollen Haartrachten in Szene setzten.
Erster Stellvertreter des Lord Mayor war Anthony Bishop, ein rundlicher kleiner Mann mit leuchtender Glatze. Seine Frau überragte ihn fast um Haupteslänge. Charles Henderson, zweiter stellvertretender Bürgermeister, war zwar etwas größer von Wuchs, trug aber einen mächtigen Bauch vor sich her. Der oberste Geistliche der Stadt, Father Crowley, hatte ein Raubvogelgesicht, das in krassem Widerspruch zu den salbungsvollen Worten stand, mit denen er die Seewölfe in seiner Kirchengemeinde willkommen hieß. Doctor Abraham Shafter, ein untersetzter Mann mit rötlicher Knollennase, gehörte ebenfalls dem Stadtrat an. Desgleichen James Collins, Harvey Shrubbs, Gordon Temble und Hugh Croydon – allesamt von ihrer besseren Hälfte begleitet.
Hasard blickte in die Runde, nachdem sich das Komitee um ihn und Jean Ribault zu einem Halbkreis gruppiert hatte.
„Ladys und Gentlemen, ich bedanke mich für diesen überaus herzlichen Empfang in Plymouth. Diesen Dank spreche ich auch im Namen von Kapitän Ribault und den Besatzungen unserer beiden Schiffe aus.“
Die Ladys und Gentlemen klatschten dezenten Beifall. Der Lord Mayor brauchte einen Moment, bis das Stimmengewirr vom Kai vorübergehend nachließ und es ihm ermöglichte, zu sprechen.
„Wir hoffen sehr, Sir Hasard, daß wir Sie und Ihre Gefährten recht lange in unserer Stadt bewirten dürfen. Wegen der geringen Zeit, die wir zur Verfügung hatten, mußten wir mit leeren Händen erscheinen. Doch es ist uns eine Selbstverständlichkeit, daß wir den Empfang unserer siegreichen Seefahrer noch in würdigerem Rahmen feiern werden.“
Hasard bedankte sich nochmals, wie es ihm überhaupt klar war, daß er sich während des Aufenthalts in Plymouth noch etliche Male für alles mögliche würde bedanken müssen. Das weitere Gespräch verlief in Floskeln, wie es immer dann üblich war, wenn sich Würdenträger an Bord der „Isabella“ einfanden.
Während sich die Männer unterhielten, sonderten sich die Ladys tuschelnd ab. Ihre Blicke, die fast verstohlen waren, glitten über das Schiff. Was an diesem Schiff besonders eindrucksvoll erschien, waren die wild und verwegen aussehenden Männer, diese rauhbeinigen Burschen, die den Ladys allein durch ihr Äußeres einen gelinden Schauer über den Rücken jagten.
Der Seewolf selbst, breitschultrig und schmalhüftig, schwarzhaarig und blauäugig und über sechs Fuß groß, war schon ein Mann wie aus dem Bilderbuch. Auch der schlanke Jean Ribault, der mit seinen dunklen Haaren so aussah, wie man sich einen Franzosen vorstellte, vermochte in den Ladys Gedanken zu erwecken, die keine von ihnen auch nur im Traum auszusprechen gewagt hätte. Gedanken, die sich aber um so stärker bemerkbar machten je mehr sie den leicht deformierten Körperbau ihrer männlichen Ehehälften mit der geballten Ansammlung von urwüchsiger Männlichkeit an Bord dieses Schiffes verglichen.
In dieser Umgebung an einen Hauch von Sünde zu denken, war den hochwohlgeborenen Ladys schon ein unerhörter Nervenkitzel.
Da war zum Beispiel dieser bullige Kerl, dessen Kreuz an das Format eines massiv-eichenen Wäscheschrankes erinnerte. Edwin Carberry, Profos auf der „Isabella“, lehnte an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und stützte sein Rammkinn in beide Hände. Er konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, denn er wußte nur zu gut, daß sein wüstes Narbengesicht Furcht einzuflößen vermochte.
Was er nicht wußte, war, daß er bei den Ladys neben dieser Furcht ein kribbelndes, wohliges Unbehagen hervorrief. Nun, er war eben ein Mann, der mit den Fäusten zuzupakken verstand. Keiner von der Sorte des ewig mürrischen Ehemanns, der allabendlich nichts anderes zu tun wußte, als die Beine im Kaminsessel auszustrecken und sich Pantoffel auf die bestrumpften Füße schieben zu lassen.
Nicht minder eindrucksvoll wirkte Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, ein rothaariger Riese mit einem Kreuz so breit wie ein Rahsegel. Und Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, entblößte lachend seine schneeweißen Zahnreihen und ließ die Ladys verschämt den Blick niederschlagen.
Doch sobald sie wieder aufblickten, fuhren sie fort, diese Ausbünde an Augenweide auf Vordeck und Achterkastell zu betrachten. Da war Ben Brighton, erster Offizier und Stellvertreter des Seewolfs. Ein Mann, der ruhig und besonnen aussah, untersetzt, breitschultrig und dunkelblond. Dann Smoky, der Decksälteste, eine bullige Kämpfernatur. Er war es gewohnt, sich seinen Rang immer aufs Neue mit den Fäusten zu erkämpfen.
Und welche furchtbaren Erlebnisse mochte Matt Davies hinter sich haben, der dort, wo sich einmal seine rechte Hand befunden hatte, eine lederne Prothese mit einem spitzgeschliffenen Eisenhaken trug? Mit seinen grauen Haaren sah der kräftig gebaute Matt älter aus als er in Wirklichkeit war. Sicher hätten die Ladys voller Verzückung gelauscht, wenn er über jene Nacht berichtet hätte, die er als Schiffbrüchiger in der Karibik inmitten eines Rudels mordgieriger Haie zugebracht hatte. In dieser einen Nacht, bevor seine Kameraden ihn gerettet hatten, waren seine Haare grau geworden.
Auch Jeff Bowie, ein stämmiger Engländer, der aus Liverpool stammte, trug eine Hakenprothese, allerdings am linken Arm, wo ihm blutrünstige Piranhas vor Jahren die Hand zerfleischt hatten.
Da waren die vielen anderen verwegenen Burschen, die zur fast schon legendären Crew des Seewolfs Killigrew gehörten: Blacky, der schwarzhaarige Kämpfer mit dem bemerkenswert braunen Teint. Pete Ballie, der kleine, stämmige Rudergänger, dessen Fäuste die Größe von Ankerklüsen hatten. Gary Andrews, der hagere Fockmastgast, dem man die unglaubliche Zähigkeit schon von weitem ansah. Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, der mit Drehbassen und Culverinen umgehen konnte wie kein Zweiter. Donegal Daniel O’Flynn, der hochgewachsene junge Mann, dessen scharfe Augen vor Unternehmungslust und Mut funkelten. Sam Roskill, der draufgängerische