So war Asiaga jetzt fieberfrei, und dank der guten Verpflegung an Bord der „Isabella“ erholte sie sich sehr rasch. Sie hatte schon wieder Farbe angenommen. Tamao war überglücklich, er wußte nicht, wie er seinen weißen Freunden danken sollte.
Doch Hasard wollte keinen Dank. Er wollte nur mit Shawano, dem Häuptling der Timucuas, sprechen und verhandeln. Auf der Schlangeninsel lebten jetzt viele Menschen, die ständig mit Proviant und Wasser versorgt werden mußten. Das Wasserproblem ließ sich leicht lösen, es gab auf den Caicos-Inseln genügend Quellen. Doch für die Verpflegung mußte eine Plantage auf einem Nachbareiland eingerichtet werden – und da keiner, vom Wikinger bis hin zu Siri-Tong, etwas vom Ackerbau und der Viehzucht verstand, mußte dringend Abhilfe geschaffen werden.
Eine zahlenmäßig starke Gruppe von Indianern schien Hasard genau richtig zu sein, um das Problem zu lösen. Doch diese Menschen sollten nicht wie Sklaven auf der Plantageninsel leben. Sie sollten frei sein, sollten sich selbst verwalten und ihr Leben in allen Details so bestimmen, wie es ihnen richtig erschien. Wer würde sich bereiterklären, auf die Plantageninsel überzusiedeln? Die Seminolen ganz gewiß nicht – die waren kriegerisch und mißtrauisch veranlagt, Hasard hatte mit Wakulla nicht einmal ansatzweise verhandeln können.
Die Timucua jedoch, so hatten Tamao und Asiaga überzeugend erklärt, waren ganz anders. Sie waren friedliche Menschen, die sonst von der Jagd, vom Fischfang, vom Bestellen ihrer Felder und von der Viehzucht lebten. Sie waren also keine Nomaden wie viele andere Indianervölker. Sie waren im Norden von Florida fest ansässig und schienen zu den ältesten Stämmen zu gehören, die schon lange vor dem Eintreffen der Spanier und Portugiesen, der Franzosen und Engländer im Norden der Neuen Welt gelebt hatten.
Das Schicksal hatte es jedoch gewollt, daß die Spanier an der Waccasassa-Bucht eine Siedlung und eine Werft errichtet hatten. Sie hatten Sklaven gebraucht und daher Shawano und dessen Stamm gefangengenommen. Jetzt fristeten die Indianer ein bedauernswertes Dasein unter dem Kommando des Lagerführers Don Angelo Baquillo. Viele von ihnen waren an dem tückischen Sumpffieber erkrankt.
Alles drängte Hasard danach, die Waccasassa-Bucht so schnell wie möglich zu erreichen. Trotzdem sollte sich alles ganz anders entwickeln. Der Zufall wollte es, daß er und seine Männer doch wieder mit Mardengo und den Piraten zusammentrafen. Die „Isabella“ lief bedeutend schneller als die „San Carmelo“, der Abstand zwischen beiden Schiffen schrumpfte ziemlich schnell zusammen, obwohl auch Mardengo inzwischen bei der Instandsetzung der Galeone Erfolge erzielt hatte.
Eine neuerliche Begegnung war unabwendbar, wenn die Schiffe auch weiterhin den westlichen Kurs hielten – doch davon ahnten weder der Seewolf noch Mardengo etwas, denn die Nacht war stockfinster, und noch konnte keiner vom anderen etwas sehen.
Okachobees Schlaf war nur von kurzer Dauer. Schon zwei oder drei Stunden, nachdem sie auf ihr Lager gesunken war, erhob sie sich wieder und verließ ihre Hütte. Die Feuer waren jetzt erloschen, der Lärm war verstummt, in den Hütten brannten keine Öllampen mehr. Im Dunkeln trat sie auf den Platz zwischen den Gebäuden und blickte zum Himmel auf. Der Mond zeigte sich wieder nicht, dichte Wolken schienen von Norden her dahinzutreiben. Doch einen Sturm würde es nicht geben, das spürte sie. Sie war sehr wetterempfindlich und bemerkte schon mindestens einen Tag vorher, wenn es eine Verschlechterung gab.
Plötzlich regte sich rechts hinter ihr etwas. Sie blieb stehen und bewegte sich nicht, griff aber vorsichtig nach ihrem Messer, das in ihrem geflochtenen Gurt steckte.
„Mama?“ fragte eine dumpfe, guttural klingende Stimme.
Sie ließ die Hand wieder sinken und wandte sich zu ihm um. Es war einer der jungen Schwarzen, der auf sie zusteuerte und sie etwas verwundert ansah.
„Du bist es“, sagte sie ärgerlich. „Gib dich das nächste Mal eher zu erkennen, sonst könnte es sein, daß du mein Messer zwischen den Rippen hast, bevor du den Mund aufkriegst.“
Sie mißtraute den Schwarzen, wie sie auch Ilaria und die anderen Mädchen, die auf Pirates’ Cove weilten, ständig argwöhnisch belauerte. Diese Menschen waren „Beute“ von einem der Raubzüge Mardengos, sie waren nur zwangsweise hier und würden bei der ersten Gelegenheit, die sich ihnen bot, zu fliehen versuchen.
„Es tut mir leid, Mama“, sagte der schwarze Mann. „Ist was nicht in Ordnung?“
„Warum hältst du hier Wache?“ Ungeheuerlich, dachte sie, er könnte zur Bucht laufen, sich ein Boot nehmen und damit türmen, es ist dunkel genug, vielleicht würde ihn keiner bemerken.
„Ich halte mit dem Korsen zusammen Wache“, erwiderte der Schwarze. Er hatte begriffen, auf was die Alte hinauswollte, es gehörte kein Scharfsinn dazu. „Er ist mal eben in die Büsche gegangen, weil …“
„Hier bin ich“, sagte der Korse aus dem Hintergrund.
Alle nannten ihn nur den Korsen, keiner kannte seinen richtigen Namen. Er war ein großer Mann mit breiten Schultern und lichtem Haarwuchs. Manchmal erzählte er aus seiner Jugend und erwähnte, daß er wegen der Blutrache von seiner Insel habe fliehen müssen. Sonst aber sprach er wenig. Er war ein Mann der Tat, kaltblütig, skrupellos und unglaublich schnell.
„Ich passe schon auf ihn auf, Oka Mama“, sagte er. „Keine Angst.“
Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. „Du brauchst dich nur umzudrehen, und schon kann er abhauen. Wie oft soll ich euch noch sagen, daß wir uns auf die Neger nicht verlassen können?“
Der Korse lächelte breit und entblößte dabei seine untadelig gewachsenen Zähne, es verlieh ihm ein raubtierhaftes Aussehen. „Er weiß, daß ich ihn erwischen würde, und er hat Angst vor meinem Messer. Nicht wahr, Bingo?“
„Ja, so ist es“, sagte der Schwarze hastig. Sein wahrer Name war nicht Bingo, doch er mußte sich gefallen lassen, getreten, geschlagen und gehänselt zu werden. Seit seiner Kindheit fristete er das Dasein eines Sklaven, doch bei den Piraten hatte er es fast besser als bei den Spaniern, unter deren Peitsche er bis vor einem Jahr noch gedient hatte.
„Ja, ja, er hat Angst, ich weiß“, zischelte sie und sah dabei den Korsen an. „Aber wir dürfen ihm und seinem Freund nicht trauen, vergiß das nie. Und auch die Weiber könnten abhauen, denk daran.“
Der Korse lächelte immer noch. „Selbst wenn sie sich ein Boot schnappen und damit fliehen, wie lange können sie sich auf See schon halten? Sie wissen, daß sie dem Untergang geweiht wären, daß sie verhungern, verdursten und absaufen würden. Oder die Haie würden sie fressen. Nein, es ist besser für sie, wenn sie auf Pirates’ Cove bleiben.“
Oka Mama beschloß, nicht weiter darüber zu diskutieren. Die Sklaven und die Mädchen wußten nichts Genaues über die Lage der Insel. Sie nahmen an, daß sie weit draußen im Golf von Neuspanien läge, zwischen der Halbinsel Florida und dem Land der Azteken. Daß sie in Wirklichkeit gar nicht weit von den vielen kleinen Inseln entfernt war, die den natürlichen Fortsatz des südlichen Zipfels von Florida bildeten, ahnten sie nicht. Sie durften es nie erfahren, denn die Tatsache allein hätte genügt, sie in ihren Fluchtplänen zu bestärken.
„Wann kehrt Mardengo zurück?“ fragte der Korse. „Du weißt es, Oka Mama. Du kannst hinter die Kimm blicken.“
Sie konnte es nicht, doch es gefiel ihr, wenn die Kerle mit Überzeugung von ihren übernatürlichen, magischen Fähigkeiten sprachen.
„Im Licht des neuen Tages trifft er ein“, erwiderte sie leise. „Wir werden ein rauschendes Fest feiern, denn mein Sohn kehrt als Sieger heim. Er bringt Gold, Silber, Juwelen und Sklaven.“
„Hoffentlich auch Weiber“, sagte der Korse grinsend. „Allmächtiger, wird das ein Fest!“
„Kehrt jetzt auf eure Posten zurück“, sagte sie. „Ich kontrolliere auch die anderen Wachen.“ Damit wandte sie sich ab, verließ die Lichtung und verschwand