Seewölfe - Piraten der Weltmeere 451. Burt Frederick. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Burt Frederick
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954398591
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auf beiden Beinen, und du hast dein Fressen weggeputzt. Ist das klar?“ Als Osman auch darauf nicht reagierte, nickte Jussuf noch einmal grimmig und bekräftigend, ehe er sich abwandte.

      Doch er war nie so geistesabwesend gewesen wie an diesem Morgen. Die Einkäufe für die Mittagsmahlzeit erledigte er ohne sonderliches Interesse. Er feilschte nicht mit den Händlern, die ihn verwundert ansahen, weil sie ihn so noch nicht erlebt hatten. Und er prüfte nicht die Qualität des frischen Gemüses und der Früchte. Es schien ihm an diesem Tag völlig einerlei zu sein, was sein Dienstherr, Jörgen Bruhn und er selber auf den Tisch bekamen.

      Aber Jussuf registrierte nicht einmal die rätselnden Blicke, die ihm nachgesandt wurden. Viel zu sehr war er in Gedanken versunken. Die Menschen, die tagtäglich im Hafen von Havanna zu tun hatten, kannten ihn als einen redseligen und geselligen Burschen, der immer zu einem Scherz aufgelegt war. So unnahbar und weltentrückt wie an diesem schönen Februarmorgen hatten sie ihn noch nicht gesehen.

      Noch bevor er das Tor zum Hinterhof des Kontorgebäudes auch nur sah, beschleunigte der Türke seine Schritte. Wenig später stieß er das Tor in fliegender Hast auf, ließ Gemüse und Früchte einfach fallen und stürmte auf den Taubenschlag zu.

      Das kleine Häufchen Körner lag unverändert auf dem Holzboden.

      Osman hatte nichts angerührt. Auch hockte er noch immer da, als sei er eine Puppe aus Stoff und kein lebendes Wesen. Was aber schlimmer war: Diesmal hob er nicht einmal mehr den Kopf, wie er es vor einer guten halben Stunde noch getan hatte, wenn auch mühevoll.

      Jussuf schlug die flache Hand vor den Mund.

      „Osman, mein Junge, um Himmels willen!“ rief er entsetzt. „So kann das doch nicht weitergehen mit dir! Du wirst doch nicht ernsthaft krank spielen wollen, oder sogar …“ Er stockte, konnte es einfach nicht aussprechen. Mit zusammengepreßten Lippen wandte er sich Achmed, dem Täuberich im Nachbarschlag, zu. „He, mein Alter, hast du vielleicht eine Ahnung, was mit deinem Kumpel Osman los ist?“

      Aber Achmed und auch die übrigen Brieftauben schienen mehr Interesse für ihr Körnerfutter zu haben als für das Schicksal des einen Gefährten, der todkrank zu sein schien.

      „Was seid ihr nur für eine herzlose Brut“, tadelte Jussuf. Abermals beugte er sich über den Schlag, in dem der Täuberich Osman dahindämmerte. Jussuf öffnete die Klappe mit einem Seufzer und hob den kraftlosen Vogel heraus. Er nahm ihn in beide Hände und hauchte ihm die Wärme seines Atems über den Kopf. Als auch dies nichts nutzte, schob er den Täuberich mit einem ratlosen Achselzucken zurück in den Schlag.

      Geistesabwesend hob Jussuf das Gemüse und die Früchte auf und begab sich ins Haus. Ob Arne einen Rat wußte? Sagte man nicht von den Deutschen, daß sie für alle Probleme eine Lösung hatten? Von neuer Hoffnung beseelt, eilte Jussuf ins Haus, lud seine Einkäufe in der Küche ab und traf Arne und Jörgen noch im Speisezimmer an.

      Jörgen Bruhn, der Seefahrer aus Hamburg, der einmal eine Kaufmannslehre absolviert hatte, blickte überrascht auf.

      „He, was ist los mit dir? Du siehst aus wie sieben Tage Regenwetter, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“

      „Du darfst, du darfst.“ Jussuf seufzte und ließ sich auf einen freien Stuhl sinken. „Was passiert ist, ist leider viel schlimmer als Regenwetter.“

      Arne von Manteuffel nahm einen letzten Schluck aus seinem Becher, und sah den Türken forschend an.

      „Dann muß es etwas sein, was nur dich betrifft“, sagte der blonde Deutsche, der dem Seewolf wie ein Zwillingsbruder ähnelte – von der Haarfarbe abgesehen. „Von Regenwetter kann keine Rede sein, und das Dach ist uns auch nicht auf den Kopf gefallen. Also, was ist es?“

      Jussuf schenkte sich einen Becher mit heißem Tee ein und schlürfte mißmutig daran. Minutenlang schwieg er und stierte nur auf die Tischplatte, als stünden dort die passenden Worte geschrieben.

      „Er macht es mal wieder richtig spannend“, sagte Jörgen zu Arne. „Er hätte Komödiant werden sollen, findest du nicht auch? Einer für traurige Rollen.“

      Jussuf hob ruckartig den Kopf.

      „Halt den Mund!“ sagte er schroff. „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, nicht wahr? Die Menschen werden sich wohl nie ändern. Selbst jene, die man für Freunde hält, lachen sich ins Fäustchen, wenn man …“

      „Jetzt reicht es, Jussuf“, unterbrach ihn Arne energisch. „Den großen Schweiger spielen und Mitgefühl erwarten – nein, mein Lieber, so geht das nicht.“

      „Aber ich erwarte kein Mitgefühl!“ brauste Jussuf auf.

      „Sondern?“

      „Einen Rat, Hilfe, Unterstützung …“ Der Türke zog hilflos die Schultern hoch und stellte seinen Becher auf den Tisch. „Ich weiß nämlich beim besten Willen nicht mehr, was ich tun soll.“

      Arne hatte längst geahnt, wo die Ursache für Jussufs Niedergeschlagenheit zu suchen war. Jetzt wurde es klarer. Arne wechselte einen Blick mit seinem Kontorgehilfen, und Jörgen nickte langsam und bedächtig.

      „Es handelt sich um deine Tauben“, sagte Arne.

      Jussuf hob erstaunt den Kopf.

      „Aber woher …“

      Arne winkte ab.

      „Etwas anderes kann es nicht sein, weil du dich durch etwas anderes nie unterkriegen läßt. Also heraus mit der Sprache!“

      Als Arne ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte, lächelte Jussuf zum erstenmal wieder.

      „Osman“, sagte er dumpf. „Ich fürchte, es geht ihm verdammt schlecht.“

      „Das ist einer von den jungen Täuberichen, nicht wahr?“ fragte Jörgen Bruhn.

      Abermals empfand Jussuf Dankbarkeit. Die Tatsache, daß sogar Jörgen die Namen seiner Kinderchen kannte, bewies, wie sehr man die gefiederten Lieblinge zu schätzen wußte.

      „Eben deshalb kann ich es nicht begreifen“, murmelte Jussuf niedergeschmettert. Stockend schilderte er, was ihn an diesem Morgen beim Taubenschlag so sehr gerührt hatte.

      Arne und Jörgen hörten aufmerksam zu. Sie dachten nicht im Traum daran, über den Türken zu lachen. Sie wußten, welchen Narren er an seinen Brieftauben gefressen hatte, daß sie sein ein und alles waren. Ein Mensch, der sich so ernsthaft mit einer Sache befaßte, war nichts Lächerliches. Er verdiente zumindest, daß man für seine besondere Denkensweise Verständnis zeigte.

      In Jussufs Fall kam etwas anderes hinzu: Seine Brieftauben hatten für den Bund der Korsaren eine geradezu fundamentale Bedeutung gewonnen. Die Möglichkeit der Nachrichtenübermittlung zwischen Havanna und der Schlangen-Insel war für den Seewolf und seine Verbündeten von unschätzbarem Wert. Das hatte sogar dazu geführt, daß die Schlangen-Insel mit ihren Bewohnern im Grunde überhaupt nur noch deshalb existierte, weil Jussufs Brieftauben rechtzeitig warnende Nachrichten überbracht hatten.

      Aus diesem Grunde durfte man Jussufs Besorgnis nicht mit einer Handbewegung vom Tisch wischen, wenn sie vielleicht auch ein wenig übertrieben erscheinen mochte. Nur jemand, der Jussuf gut genug kannte, vermochte zu ermessen, was ihm seine Täubchen bedeuteten.

      „Hast du ähnliche Krankheiten schon einmal bei anderen Tauben festgestellt?“ fragte Arne.

      Auch aus einer anderen Überlegung heraus ließ sich Jussufs Besorgnis nämlich leicht nachempfinden. Wenn es sich um eine seuchenartige Krankheit handelte, konnte man im Handumdrehen den gesamten Taubenbestand verlieren. Und dann war die Nachrichtenübermittlung zunächst einmal unterbrochen.

      Es würde fraglich sein, ob und wann man überhaupt Ersatz beschaffen konnte. Die auf der Schlangen-Insel ansässigen Brieftauben waren an ihre Partner aus Havanna gewöhnt. In der Tat, es würde eine langwierige Arbeit bedeuten, die Brieftauben-Verbindung neu ins Leben zu rufen.

      Jussuf schüttelte den Kopf.

      „Nein. Ich weiß