Don Pedros Kopf ruckte herum. Mit funkelnden Augen starrte er den Offizier an.
„Was erlauben Sie sich!“ zischte er tonlos. „Ich verbitte mir solche unqualifizierten Bemerkungen. Daraus spricht ein gefährlicher Defätismus, den ich an Bord dieses Schiffes nicht dulde. Ich will das eben Gesagte nicht gehört haben. Haben Sie mich verstanden?“
Innerlich konnte der Erste nur den Kopf schütteln über soviel Verbohrtheit. Aber er begriff, daß er zu weit vorgeprescht war. In seinem derzeitigen Zustand war Don Pedro zu allem fähig. Wenn man ihn zu sehr reizte, würde er es unter Umständen sogar fertigbringen, einen Offizier in Ketten legen zu lassen.
„Jawohl, Señor Capitán“, erwiderte der Erste daher fügsam.
Don Pedro nickte grimmig.
„Wir können uns nicht die geringste Nachlässigkeit erlauben“, ereiferte er sich. „Denken Sie daran, Señores, welche Verantwortung auf unseren Schultern ruht. Die spanische Krone erwartet von uns, daß wir die verfluchten Piratenhorden ausrotten, wo immer wir sie antreffen. Und die Herrschaft Spaniens in dieser neuen, großartigen Welt ist gottgewollt. Der Allmächtige blickt also auf uns hernieder, und wir werden uns seinen Zorn zuziehen, wenn wir nicht die Erwartungen erfüllen, die das königliche Spanien in uns setzt.“ Er holte Luft.
Der Erste nutzte die Atempause, um ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. In dieser Stimmung brachte es Don Pedro fertig, noch eine stundenlange Predigt zu halten.
„Welchen Kurs schlagen Sie also vor, Capitán? Werden wir den weiteren westlichen Teil der Küste absuchen?“
Einen Moment blinzelte Don Pedro irritiert, da er in die Wirklichkeit zurückfinden mußte. Dann nickte er entschlossen.
„Selbstverständlich. Die Suche zu Lande kann die Suche zu Wasser nicht ersetzen. Ich brauche absolute Gewißheit, denn ich denke nicht daran, mich von primitiven Piraten hereinlegen zu lassen.“
„Und wenn wir keinen Erfolg haben sollten?“
„Auch damit muß man rechnen“, sagte Don Pedro gefaßt. „Nun, in einem solchen Fall werden wir dorthin zurückkehren, wo wir dieses gefährliche Subjekt namens Fabien in seiner Jolle gesichtet haben – zu den nördlichen Caicos-Inseln.“
Die Offiziere nahmen es hin. Sie wußten, daß es vertane Zeit war, noch den weiteren Küstenverlauf abzusuchen. Die „Granada“ ging ankerauf und setzte ihre Schleichfahrt fort. Insbesondere den Teniente wurmte es, daß man sein Erkundungsergebnis für nicht ausreichend hielt. Für nichts und wieder nichts waren seine Männer über die Strände marschiert. Aber er verzichtete auf eine entsprechende Bemerkung. Denn er wußte nur zu gut, daß Don Pedro de Harana sturer war als ein andalusischer Esel.
Es hatte überhaupt keinen Zweck, dem hochwohlgeborenen Capitán in irgendeiner Weise dreinreden zu wollen. So hofften die Männer an Bord der „Granada“, daß sich in allerkürzester Zeit eine noch unbekannte Macht erbarmte und ihm ein paar Piraten zum Fraß vorwarf. Denn erst dann würde er zufrieden und wieder ansprechbar sein.
Wie die Offiziere erwartet hatten, verlief die weitere Suchfahrt der Kriegsgaleone ohne jeden Erfolg. Der Teniente warf Don Pedro heimlich schadenfrohe Blicke zu. So erging es eben einem, der sich auf die Zuverlässigkeit anderer nicht verlassen wollte, weil er nur sich selbst für das Maß aller Dinge hielt.
Als die „Granada“ schließlich auf Ostkurs ging, waren seit der Flucht des „Franzmanns“ an die sechs Stunden vergangen – wertvolle Zeit, die man auf der Suche nach einem Phantomschiff vertrödelt hatte. Doch wenn es Don Pedro für sich selbst auch einsah, so würde er es den Männern gegenüber doch niemals zugeben. Seine „offizielle Meinung“ war und blieb, daß sich die Piraten in letzter Minute verdrückt haben mußten.
Im gleißenden Licht der Nachmittagssonne zeichnete sich jene bizarre Felsformation über der östlichen Kimm ab, die einem Fremden nichtssagend und eher abweisend erschienen wäre.
Für die drei Männer in der Jolle war der Anblick jedoch Anlaß genug, freudiges Gebrüll von sich zu geben. Immerhin war es seit Mel Ferrows wahnwitziger Haiverfolgung mehr als ungewiß gewesen, ob sie jemals wieder gemeinsam auf die Schlangen-Insel zurückkehren würden.
„Wie heißt es bei euch Engländern?“ sagte Roger Lutz, der schwarzhaarige Franzose. „Home, sweet home, stimmt’s?“
Mel Ferrow, der Mann mit dem Haizeichen, nickte. Die riesige Bißwunde eines Haies zog sich von seiner Schulter über den ganzen Rücken. Wenn es etwas gab, das der dunkelblonde Mann mit den wasserhellen Augen haßte, dann waren es Haie.
„Haargenau“, erwiderte er. „Unsere Muttersprache ist eben eine bildhafte Sprache, die für alle Lebenslagen etwas Passendes bereit hat.“
„Gib nicht so an“, knurrte Grand Couteau, der keinen anderen Namen hatte als eben diesen – „Großes Messer“. Er war klein und dunkelhaarig, und ein dünnes Bärtchen zierte seine Oberlippe. Als Messerkämpfer war er nicht zuletzt durch seine Schnelligkeit unübertroffen. Gegner, die das zu spüren gekriegt hatten, konnten allerdings nichts mehr darüber berichten, da sie nicht mehr am Leben waren.
„Was heißt angeben?“ sagte Mel Ferrow und grinste. „Es spricht zu euch Ernest Fabien, der ‚Franzmann‘, als Fachmann. Eure Sprache ist leider zu armselig, Messieurs. Tut mir aufrichtig leid, das sagen zu müssen.“
„Trautes Heim, Glück allein“, entgegnete Grand Couteau aufbrausend. „Ist das nichts?“
„Das trifft es nicht.“ Mel Ferrow grinste noch breiter.
Die vielen Punkte in der Iris von Grand Couteaus Augen funkelten wild.
„Französisch ist die Sprache der vornehmen Menschen“, erklärte er. „He, Roger, dir muß es doch einfallen. Was sagen wir für ‚Home, sweet home‘?“
Roger Lutz rieb sich das Kinn.
„Hm, ehrlich gesagt, ich bin zwar auch ein vornehmer Mensch, aber ich muß leider passen. Zu Hause ist da, wo das Herz ist, meine ich. Nenne mir einen Ort, an dem es eine schöne Frau gibt, und ich fühle mich da sofort heimisch.“
„Weiberheld“, sagte Grand Couteau abfällig. „Was hätte ich von dir anders erwarten sollen.“
„Aber ein vornehmer Weiberheld“, sagte Mel Ferrow lachend.
Roger Lutz stimmte mit ein, und schließlich ließ sich auch Grand Couteau von der Heiterkeit mitreißen. Die Wogen seines Temperaments glätteten sich. Letzten Endes war die immer näher ins Blickfeld rückende Schlangen-Insel Grund genug, friedlich und zufrieden zu sein.
Die Zeit verstrich nun sehr rasch, und bald darauf ragte der mächtige Felsendom zum Greifen nahe vor ihnen auf. Roger Lutz, der an der Ruderpinne saß, brachte die Jolle nach einem letzten Kreuzschlag auf Position und konzentrierte sich auf die Aufgabe, die ihm bevorstand. Zwar war es mit dem kleinen Boot wesentlich einfacher, den tückischen Mahlstrom zu überwinden, als mit einer Galeone. Dennoch erforderte es ein beträchtliches Maß an Geschicklichkeit.
Sie hatten einen günstigen Zeitpunkt erwischt. Der Mahlstrom zog in die Inselbucht. Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, würde nicht mehr lange auf die Krabben und Fische warten müssen, die sie für ihre kreolische Spezialität „Calaloo“ brauchte. Sehr bald würde es in der Inselkneipe „Old Donegals Rutsche“ also wieder jene scharfe Spezial-Suppe geben, nach der sich die Männer alle zehn Finger leckten. Wahrscheinlich hatte der alte O’Flynn recht, wenn er behauptete, daß „Calaloo“ selbst einen drei Tage scheintoten Seemann wieder auf die Planken brachte.
Schäumend und wirbelnd, mit unberechenbarem Sog, rauschte der Mahlstrom über das Höllenriff und durch die enge Dompassage. Mel Ferrow dachte an die Worte des Seewolfs, der davon gesprochen hatte, daß man