„Gar nichts ist mit ihnen passiert“, sagte Bontekoe grob. „Sie haben Fieber oder Durchfall. Und damit euch nicht das gleiche widerfährt, werden wir Schiff und Mannschaft gründlich säubern. Pützt die große Waschbalje voll, zieht eure Klamotten aus und legt sie auf der Kuhl auf einen Haufen. Das Zeug fliegt über Bord. Ich werde euch neue Hemden und Hosen aus der Kleiderkammer geben. Sie sorgen dafür, daß alles sofort und reibungslos verläuft, Hendrik. In die Waschbalje wird ordentlich Essig gegossen, und dann schrubbt ihr euch gegenseitig ab. Doktor Laurens wird das überwachen. Und ich will kein Gemurre hören, verstanden?“
Es murrte auch niemand. Sie gehorchten, denn vor ansteckenden Krankheiten hatten sie mächtige Angst, und so taten sie schnell und eifrig alles, was Bontekoe und der Doktor anordneten.
Während auf See der Sturm brüllte und haushohe Wogen gegen die Strände rannten, ging Bontekoe nach achtern zu den Willaerts.
Der Handelsagent war allein in der Kammer. Frau und Tochter waren nebenan. Bontekoe hörte sie leise miteinander reden.
„Bei Ihnen sind wir in den besten Händen“, sagte Willaerts, „geradezu phantastisch, wie Sie es geschafft haben, dieses ruhige Plätzchen zu erreichen, bevor uns die See zertrümmerte. Sie sollten fröhlicher dreinschauen, Kapitän, denn uns ist nicht ein Haar gekrümmt worden. Was bedrückt sie denn so?“ fragte er, als er das mißmutige Gesicht des Kapitäns sah.
„Wir haben ein Problem, Mijnheer“, flüsterte Bontekoe, „es sind zwei Kranke an Bord, meine beiden Offiziere. Ich will auch nicht lange drum herumreden. Doktor Laurens vermutet, daß sie Typhus haben.“
Einen Augenblick herrschte absolutes Schweigen. Florian Willaerts hob den Kopf und sah den Kapitän ungläubig an. Dann schluckte er hart, während seine Augen groß und weit wurden.
„Typhus?“ fragte er fassungslos.
„Ja, so sieht es aus.“
„Mein Gott“, sagte Willaerts kaum hörbar. „Dann haben wir uns in Havanna angesteckt. Dort gab es vor ein paar Wochen etliche Fälle von dieser fürchterlichen Krankheit. Was soll jetzt geschehen?“
Willaerts war zwar tief bestürzt, zeigte aber keine Panik. Äußerlich blieb er ruhig, er atmete nur flacher.
„Zunächst möchte ich Sie bitten, Ihre Kammer nicht mehr zu verlassen, damit Sie nicht angesteckt werden. Das gilt natürlich auch für Ihre Familie. Der Koch und Feldscher wird Ihnen alles bringen, was Sie brauchen. Falls Sie es für richtig erachten, Ihre Familie darüber aufzuklären, dann tun Sie es bitte sachlich. Hysterie und Angst können wir am allerwenigsten gebrauchen. Für die Mannschaft habe ich die Anordnungen bereits getroffen. Mehr kann ich im Augenblick leider nicht tun.“
„Ich verspreche, Ihnen zu helfen, soweit es in meiner Macht steht“, sagte Willaerts schlicht. „Sie haben auch mein Wort darauf, daß weder meine Frau noch meine Tochter noch ich die Gästekammer verlassen werden. Besteht die Möglichkeit, daß wir nach Havanna zurückkehren können?“
„Nein, eine Rückkehr ist ausgeschlossen. Wenn die Hafenbehörden erfahren, daß ich mit Kranken an Bord einlaufe, dann ist der Teufel los. Ich kann das auch nicht verantworten.“
„In Havanna könnte uns auch ohnehin niemand helfen“, meinte der Handelsagent niedergeschlagen. „Hm, zwei Fälle, sagten Sie. Sind die Leute isoliert worden?“
„Allerdings.“
„Mit Gottes Hilfe und etwas Glück kann es durchaus bei den beiden Fällen bleiben, Kapitän. Aber das wird sich erst in den nächsten Tagen herausstellen.“
Zumindest ist er optimistisch, dachte Bontekoe. Willaerts war überhaupt der geborene Optimist. Der vertraute auf das Schiff, auf den Kapitän, auf das Glück und Gottes Hilfe. Bontekoe war das aber immer noch lieber, als einen von Panik erfüllten Mann vor sich zu haben. Wenn man ruhig und gelassen blieb, war alles leichter.
„Ich bin zur Mitarbeit und Hilfe bereit, falls Sie mich brauchen, Kapitän“, sagte Willaerts ohne jedes Pathos.
„Danke, das ist wenigstens etwas“, meinte Bontekoe. Dann ging er, um an sich die gleiche Prozedur vorzunehmen, wie die meisten anderen sie bereits hinter sich hatten.
Etwas später lagen auf dem Deck gebündelte Kleider, und drei Mann der Besatzung hatten keine Haare mehr auf dem Schädel. Sie standen herum und schämten sich ihrer Kahlköpfigkeit. Doch es gab keinen, der einen faulen Witz darüber riß oder lachte.
Doktor Laurens kam herüber. Auch er hatte sich umgezogen, die alten Plünnen zu den übrigen geworfen und sich gründlich gesäubert und mit Essigwasser abgerieben.
„Drei Männer hatten Läuse“, sagte der Arzt leise. „Es ist durchaus möglich, daß dadurch die Krankheit eingeschleppt und verbreitet wurde. Fürs erste scheint jetzt alles in Ordnung zu sein, Kapitän.“
„Hoffen wir es, Doktor. Mit Willaerts habe ich gesprochen. Ich kann mich auf den Mann voll und ganz verlassen. Er war sehr sachlich.“
Bontekoe blickte zum Meer hin. Es war so aufgewühlt, wie er es lange nicht mehr gesehen hatte. Schaumige Streifen hingen in der Luft, die der Sturm fast waagerecht vor sich herblies. Immer wieder rannten schwere Seen gegen die Inseln. Ein großer Teil der Palmen war entwurzelt worden und trieb in der kochenden Hölle.
Dann drehte er sich um und sah zu, wie zwei schweigsame Männer aus seiner Besatzung die alten Klamotten zu einem riesigen Bündel zusammenschnürten. Es wurde mit einer eisernen Kanonenkugel beschwert.
Dann hievten sie das Bündel über Bord und warfen es ins Wasser. Es gab nur einen kleinen Strudel, dann war es verschwunden. Lediglich ein paar kleine Blasen stiegen noch hoch.
Bontekoe stützte sich schwer auf den Handlauf des Schanzkleides und starrte dorthin, wo es noch einmal leicht blubberte. Er glaubte, eine Gänsehaut auf seinem Körper zu spüren, doch das konnte bloße Einbildung sein.
Hoffentlich bleibt es bei diesen beiden Fällen, überlegte er.
Er wußte nicht was er tun sollte, wenn der Typhus weiter um sich griff. Er konnte nicht mehr umkehren und erst recht nicht die Reise über den Atlantik fortsetzen.
Vor seinem geistigen Auge entstand ein Totenschiff, auf dem ausgebleichte Skelette herumlagen.
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