„Klart die Decks auf“, befahl Bontekoe, „ein Mann bleibt weiterhin im Ausguck. Ablösung jeweils nach einer Stunde.“
Er sah, daß die Männer sich nicht rührten, sondern nur auf van Dongen starrten, der sich zusammenkrümmte, das Gesicht schmerzhaft verzog und anschließend das Gleichgewicht verlor. Noch bevor ihn jemand halten konnte, brach er auf den Planken zusammen.
Bontekoe bückte sich schnell. Bestürzt stellte er fest, daß dem Ersten der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn stand. Er tastete nach der Stirn des Mannes und stellte weiterhin fest, daß sie fast glühte. Den Ersten schüttelte auch prompt ein Fieberanfall.
„Zum Teufel, was ist denn los?“ fragte der Kapitän heiser. „Steht nicht rum, Kerls, holt den Doktor!“
Noch während van Dongen sich krümmte, unter Schwindelanfällen, Schweißausbrüchen und Übelkeit litt, begann sich das gleiche auf gespenstische Weise an dem Zweiten Offizier zu wiederholen.
Cronberg krümmte sich ebenfalls, verzog das Gesicht, als müsse er sich erbrechen, und wankte dann davon in seine Kammer.
Bontekoe starrte ihm betroffen nach und blickte dann wieder auf den Ersten und die umstehenden Männer.
Alle hatten ernste, nachdenkliche, aber auch verstörte oder abweisende Gesichter. In manchen war deutlich Angst zu erkennen. Das waren die Männer, die keine Erklärung fanden und derartige Dinge immer gleich auf Hexerei oder anderen Unsinn schoben.
Doktor Laurens erschien an Deck und beugte sich sogleich über den Ersten.
„Hohes Fieber“, stellte er fest, „am besten, wir bringen ihn in eine der Krankenkammern unter der Back, Kapitän.“
„Ist es schlimm?“ fragte Bontekoe hilflos. Er sah das nervöse Zucken im Gesicht des Arztes und dachte sich seinen Teil. Auch Laurens Stimme klang seltsam heiser.
„Halb so schlimm. Fieber hat man schnell.“
„Dem Zweiten Offizier ergeht es ähnlich, Doktor.“
„Dann lassen Sie auch ihn unverzüglich in die Krankenkammer bringen.“
Die Männer gingen stumm auseinander, als sie den Ersten Offizier wegbrachten. Ihre Blicke wurden jedoch immer mißtrauischer.
Zwei Mann wollten helfen, doch Bontekoe scheuchte sie mit einer unwilligen Handbewegung fort. Er wollte bei dem bevorstehenden Gespräch mit Doktor Laurens keine Zeugen haben, die nur Unruhe unter die Mannschaft brachten.
Sie betteten den Ersten auf eine schmale Koje mit hohen Seitenwänden.
Dann war der Zweite an der Reihe, den ebenfalls das Fieber stark erwischt hatte. Er klagte über Mattigkeit in allen Knochen und fühlte sich halbtot und zerschlagen.
Während Laurens die beiden Männer untersuchte, wurde sein Gesicht immer ernster und verschlossener. Bontekoe stand unruhig daneben und trat von einem Bein aufs andere. Das Schweigen in der Krankenkammer war entsetzlich. Die einzigen Töne, die hereindrangen, waren das weit entfernte Brausen und Dröhnen des Unwetters.
„Was fehlt den Männern?“ fragte der Kapitän nach einer Weile schließlich ungeduldig. „Ist es schlimm?“
„Es ist so schlimm“, sagte Laurens ernst, „daß wir die beiden Krankenkammern als Quarantänestation einrichten müssen. Das schlage ich jedenfalls dringend vor.“
„Verdammt“, sagte Bontekoe schluckend, „doch nicht etwa die – die Pest?“ Entsetzt blickte er den Arzt an, der bedächtig den Kopf schüttelte.
„Nein. Ich wollte vorhin die Mannschaft nicht beunruhigen. Die malt ja immer gleich den Teufel an die Wand. Ich vermute, daß die beiden Männer an Typhus erkrankt sind.“
„Typhus“, murmelte Bontekoe, „das ist ja fast genauso schlimm. Daran sind schon viele gestorben. Da hat der Satan seine Hände im Spiel, Doktor.“
„Das hat nichts mit dem Teufel zu tun“, erklärte der Arzt gelassen. „Man weiß noch nicht sehr viel über diese Krankheit. Vermutlich wird sich dazu auch noch die Ruhr einstellen. Jedenfalls dürfen die Leute mit keinen anderen mehr in Berührung kommen. Falls der nächste Fall auftritt, muß der Patient sofort abgesondert und isoliert werden.“
Bontekoe stieß tief die Luft aus. Seine sonst so ruhigen Bewegungen wurden immer fahriger.
„Was – was ist die Ursache dieser Krankheit?“ fragte er.
Doktor Laurens erklärte auch das bereitwillig.
„Soweit heute bekannt ist, dürfte die Ursache dieser Krankheit mangelnde Sauberkeit sein.“
Die Antwort warf den Kapitän fast um.
„Mangelnde Sauberkeit?“ sagte er empört. „Auf meinem Schiff, Herr? Da blitzt doch alles vor Sauberkeit.“
„Ich weiß, ich weiß, Kapitän. Natürlich haben Sie keine Schuld daran und sich somit auch nichts vorzuwerfen. Aber wir waren in Havanna, und da sind schon oftmals Fälle von. Typhus aufgetreten. Ich vermute deshalb auch, daß der Erreger dieser Krankheit aus Havanna eingeschleppt wurde.“
„Kann man die Krankheitserreger sehen?“ fragte Bontekoe. Über Typhus wußte er so gut wie nichts.
„Nein, das ist noch nicht gelungen, dazu sind sie zu klein. Man nimmt an, daß Läuse die Erreger des Typhus übertragen.“
„Läuse – auf meinem Schiff?“ ächzte der Kapitän. „Um Himmels willen, es gibt doch hier keinen Dreck! Was ordnen Sie an, Doktor, und was geschieht mit den beiden Offizieren?“
„Ihr Feldscher kann zunächst mit der üblichen Behandlung beginnen, Kapitän. Aderlaß und Einlauf, das ist so üblich. Sagen Sie dem Mann aber keine Einzelheiten. Das Wissen um diese Krankheit sollte unter uns bleiben, damit es keine Panik gibt.“
Bontekoe nickte in stummem Entsetzen.
„Und weiter?“ fragte er tonlos.
„Wir werden das Schiff einer gründlichen Säuberungsaktion unterziehen. Die Räume müssen mit Essigwasser ausgewaschen werden. Dann muß sich jeder Mann, auch die Achterdecksleute, einer äußerst gründlichen Reinigung unterziehen. Falls jemand Läuse hat, wird er kahlgeschoren. Die Sachen, die die Leute tragen, werden gebündelt und über Bord geworfen. Nur so haben wir Aussicht, der Krankheit und vor allem der weiteren Ansteckung Herr zu werden.“
Bontekoe stützte das Gesicht in die Hände und schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf.
„Das ist an Bord meines Schiffes noch nie passiert. Wird es Tote geben, Doktor?“
„Das weiß Gott allein“, erwiderte Laurens. „Es ist eine schwere Krankheit mit Anzeichen von Blutvergiftung. Vermutlich haben sich die Leute schon vor zehn bis vierzehn Tagen in Havanna angesteckt. Die Krankheit dauert allgemein vier bis sechs Wochen. Es bilden sich Geschwüre, das Fieber steigt stark. Robuste Naturen können überleben, geschwächte Menschen haben es schwieriger. Es gibt bei dieser teuflischen Erkrankung auch immer wieder Rückschläge.“
„Aha! Sie sprechen also von einer teuflischen Krankheit. Vorhin sagten Sie, das habe mit dem Teufel nichts zu tun. Vielleicht ist doch jemand an Bord, der die Leute verhext.“
Doktor Laurens brauchte eine ganze Weile, um dem Kapitän die Vermutung mit dem Teufel auszureden. Aber selbst dann glaubte der es immer noch nicht so recht.
„Ich kümmere mich gleich um die beiden“, sagte Laurens, „schicken Sie aber schon mal den Feldscher vorbei. Falls er erkennt, mit was wir es zu tun haben, sollten wir ihn einweihen und zum absoluten Stillschweigen verpflichten.“
„Ich werde auch die Willaerts unterrichten“, murmelte der Kapitän. „Ich habe die Verantwortung für sie und betrachte das als meine Pflicht. Mijnheer Willaerts ist ein ruhiger und besonnener Mann, und er ist vertrauenswürdig und hilfsbereit. Ich kann ihm das nicht verschweigen.“
„Gut“,