Dunsay ließ seinen Sohn seither nicht aus den Augen, deshalb hatte sich Benjamin den Wasserträgern angeschlossen. Den Schluß bildeten Jeff Bowie, der stämmige, grauäugige Mann mit der Hakenprothese, und Abraham Brown, der zweite Musketenschütze.
Obwohl bislang niemand einen Eingeborenen gesehen hatte, hielt Hasard Vorsicht für angebracht. Immerhin hatte die junge englische Siedlung in Virginia eine bewegte Vergangenheit. Es hatte Zeiten gegeben, da war den Pilgern nicht nur auf See ein hoher Blutzoll abverlangt worden.
In Sir Walter Raleighs Begleitung war 1585 John White zur Insel Roanoke gelangt, dem England eine Vielzahl selbstgefertigter Zeichnungen des Indianerlebens verdankte. Nach dem Scheitern der ersten Kolonie unternahm er 1587 eine weitere Expedition, mußte aber, um Nachschub zu beschaffen, wieder in die alte Heimat segeln. Als er über zwei Jahre später wieder auf Roanoke an Land ging, waren sämtliche Kolonisten, unter ihnen seine Tochter und Enkelin, spurlos verschwunden.
Kaum ein Wort fiel. Dafür suchten um so mehr forschende Blicke den Wald ab. Doch der Trupp erreichte die Quelle, ohne von Indianern behelligt worden zu sein.
Am Fuß einer sanft gewellten Hügelkette, die sich nach Westen hin fortsetzte und in sumpfiges Gebiet führte, entsprang das klare Naß. Es sammelte sich in einem seichten Tümpel, bevor es als munter plätscherndes Bächlein abfloß.
Nacheinander wurden die Fässer eingetaucht und mit Pfropfen verschlossen. In der Zwischenzeit sicherte die Hälfte der Mannen nach allen Seiten. Sie legten nur eine kurze Pause ein, um sich zu erfrischen und zu trinken.
In der Nähe erklang der durchdringende Schrei eines Adlers. Niemand achtete darauf.
Erst als sich der Ruf aus dem Unterholz heraus wiederholte, wurde Big Old Shane aufmerksam. Doch seine Warnung erfolgte zu spät.
Das Sirren von Bogensehnen erfüllte die Luft. Vier oder fünf Pfeile trafen ihr Ziel und rissen Lücken in die Reihe der Wasserträger. Shane sah die Männer stürzen. Daß er selbst nicht getroffen wurde, verdankte er lediglich dem Umstand, daß er in dem Moment das Faß von der Schulter wuchtete, in dem ein Pfeil sonst seine Brust durchbohrt hätte. Einen besseren Schild konnte er sich gar nicht wünschen.
Musketenschüsse krachten.
Eine Verwünschung auf den Lippen, schleuderte Big Old Shane das auslaufende Faß von sich. Breitbeinig stand er da, ein Riese mit mächtigem grauen Bartgestrüpp, und riß die Pistole aus dem Gürtel.
„Kommt schon!“ brüllte er. „Versteckt euch nicht hinter den Bäumen!“
Kampfschreie ausstoßend, hetzte ein Indianer auf ihn zu. Shane drückte ab, als der Angreifer keine drei Yards mehr entfernt war. Der Schwefelkies des Schnappschlosses wirkte zuverlässig wie immer. Mitten im Lauf von einer unsichtbaren Faust gestoppt, riß der Wilde die Arme hoch und wirbelte um die eigene Achse.
Big Old Shane fand keine Zeit, die Pistole nachzuladen. Neben ihm wurde Huggley getroffen, der gerade Zündpulver in die Pfanne seiner Muskete schüttete. Die Hände um den Schaft des Pfeiles verkrampft, brach er vornüber zusammen.
Die Indianer suchten den Kampf Mann gegen Mann. Ihre Tomahawks und Kriegskeulen waren nicht minder tödliche Waffen als Entersäbel und Dolche.
Shane schätzte die Zahl der Angreifer auf zehn, von seinen Mannen standen höchstens noch acht auf den Beinen. Mehr konnte er nicht erkennen, weil er schon wieder attackiert wurde.
Shane verließ sich auf seine bloßen Fäuste. Geschickt wich er dem gegen ihn geführten Steinbeil mit der messerscharf geschliffenen Kante aus, bis er das Handgelenk des Angreifers zu fassen kriegte. Der Indianer versuchte, dem Riesen zu widerstehen, sein Gesicht verzerrte sich, an den Schläfen schwollen die Adern.
Als Shane unvermittelt losließ, wurde die Rothaut vom eigenen Schwung vorwärtsgetragen. Krachend landeten die Fäuste des Schmieds im Nacken des fast barhäuptigen Wilden, und ein zweiter Hieb ließ ihn endgültig wegsacken.
Flüchtig musterte Big Old Shane die gerade drei Finger breite Haarpracht, die sich sichelförmig über den Schädel zog. Der Rest war glatt abrasiert.
Er hob Huggleys Muskete und die noch glimmende Lunte auf, die er mit geübtem Griff in den Hahn klemmte und justierte. Beim Niederdrücken mußte der Funke in die Zündpfanne fallen.
Sein Schuß ging fehl, doch er packte die Waffe kurzerhand am Lauf und schlug dem nächsten Indianer den schweren Schaft um die Ohren, daß dieser glauben mußte, Himmel und Hölle hätten sich aufgetan, um ihn zu verschlingen.
Big Old Shane kämpfte, als hätte er es mit einer Horde von Spaniern zu tun, bis er urplötzlich allein stand und der Wald die Eingeborenen verschluckte.
Huggley und Brown waren tot, ebenso Field und fünf von den Seeleuten. Robert Dunsay atmete noch. Bis auf eine Platzwunde an der Stirn und einen Pfeil im linken Oberarm schien er glimpflich davongekommen zu sein. Shane brach den Pfeilschaft ab, mehr konnte er nicht tun. Der Kutscher würde die Spitze herausschneiden müssen.
Benjamin, Jeff Bowie und noch zwei Mannen von der „Pilgrim“ waren verschwunden. Die anderen vier begannen sich allmählich wieder zu regen. Shane drückte ihnen Waffen in die Hände.
„Laden und die Lunten sichern!“ befahl er. „Wir müssen gewappnet sein, falls die Angreifer zurückkehren.“
Das Knacken eines trockenen Astes ließ ihn herumwirbeln. Die Pistole in seiner Rechten ruckte hoch.
Jeff Bowie sah den Mann neben sich fallen und stürmte sofort vor. Angriff war schon immer die beste Verteidigung gewesen, wenn der Gegner glaubte, leichtes Spiel zu haben. Bowie haßte jede Art von Hinterhalt.
Gefechte auf See mußten schon deshalb offen geführt werden, weil es an Verstecken mangelte. Wenn die Kanonen sprachen, entschied nicht nur die Stärke der Bewaffnung, sondern auch Geschicklichkeit und Können der Mannschaft.
Wie aus dem Boden gewachsen, stand jäh ein Indianer vor ihm, ein schlanker, muskulöser Bursche, der ihn um eine halbe Haupteslänge überragte. Bis auf den Lendenschurz war er nackt, doch seine Haut wies eine vielfältige, grelle Bemalung auf. Das Gesicht wurde durch aschgraue Farbe zur dämonischen Fratze entstellt.
Seine Kriegskeule zuckte auf Jeff Bowie zu, aber die abwehrend vorgereckte Unterarmprothese fing den Hieb ab, und der eiserne Haken verfing sich in dem Geflecht, das die Waffe zusammenhielt.
Für die Dauer eines Augenblicks starrten beide einander an. Dann ließ der Indianer seine Waffe fahren und griff mit bloßen Händen zu. Ineinander verkrallt, stürzten sie zu Boden.
Jeff flog auf den Rücken. Das Gewicht des Angreifers preßte ihm die Luft aus den Lungen. Der Wilde hatte sein Haar gepackt und zerrte ihm den Kopf nach hinten. Die andere Hand tastete nach seiner Kehle.
Nicht viel anders fühlte man sich, wenn ein Schiff unter vollen Segeln auf Grund lief. Überdeutlich vernahm Jeff das Rauschen des Blutes hinter seinen Schläfen wie das Tosen der Brandung an schroffen Klippen. Gischt hüllte ihn ein. Doch das war wohl der Schweiß, der ihm aus allen Poren brach.
Verzweifelt schlug er um sich, und irgendwie schaffte er es, die Hand an seiner Kehle mit dem Haken der Prothese wegzuziehen. Der Indianer war viel zu überrascht, um dem folgenden Hieb auszuweichen. Bowie rammte ihm das Eisen zwischen die Rippen und riß gleichzeitig den Entersäbel aus der Scheide.
Der Wilde sprang auf und floh. Jeff setzte ihm nach. Aber der andere war gewandter, und mit einemmal schien ihn der Wald verschluckt zu haben.
Zwanzig, dreißig Yards entfernt erklang ein erstickter Hilferuf. Die Stimme eines Kindes.
Jeff Bowie wechselte die Richtung. Doch bis er die Stelle erreichte, war Benjamin Dunsay bereits verschwunden. Der weiche Boden war aufgewühlt. Anscheinend hatte sich der Junge verzweifelt gegen