Seewölfe - Piraten der Weltmeere 603. Fred McMason. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fred McMason
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966880176
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die Kerle, obwohl sie nichts sehen. Hoffentlich bist du bald auf dem anderen Kurs!“ fuhr er den Stör an.

      Der Stör verzweifelte fast. Er hatte gute und scharfe Augen, und dennoch nahm er nur wieder einen winzigen Strich wahr und zwei kaum sichtbare Schatten, die sofort im Nebel wie ein Spuk verschwanden.

      „Ha, die haben Angst, die Kerle“, sagte Thorfin und rülpste laut. „Das sieht man deutlich an ihren Gesichtern.“

      Der Stör schluckte abermals. Er sah die Gestalten nicht mehr, so sehr er sich auch anstrengte. Dafür spuckten diese Nebelgebilde auf dem Wasser in seinem Schädel herum und verwandelten sich alle Augenblicke in neue monströse Figuren und Gestalten.

      Er glaubte in den wabernden Fetzen Ägirs wilde und schreckliche Töchter zu sehen, die nicht nur abstoßend aussahen, sondern auch schreckliche Namen wie Heulerin und Raffgierige hatten.

      Thorfin hatte dem Stör die nordische Mythologie so lange vorgequatscht, bis er sie endlich glaubte. Seitdem sah er sich im Nebel ständig von Odins Raben Hugin und Munin umlauert. Oder er sah Thor selbst, dem rothaarigen Gesellen mit seinem wilden aufbrausenden Temperament, der seinen gewaltigen Hammer schwang. Auch Ran war da, Ägirs Gattin, die ihm einen bösen Blick aus dem Wasser zuwarf.

      Alle waren sie da, die nordischen Götter, die das Meer beherrschten, und selbst die riesige Weltesche Yggdrasil wuchs aus den Nebeln.

      „Kurs halten!“ rief Thorfin. „Die Kerle sind verschwunden.“

      Der Stör hielt Kurs, aber nicht lange, dann scheuchte Thorfins riesiger Daumen ihn wieder auf und nervte ihn, denn der nordische Poltermann hatte ständig was zu meckern.

      „Du siehst doch in dem Nebel gar nichts“, maulte der Stör nach einer Weile. „Wir wissen nicht einmal, wie weit die Küste entfernt ist.“

      „Du vielleicht nicht, aber ich weiß es. Ich kann die Küste sogar sehen.“

      „Glaube ich nicht“, widersprach der Stör. „Der Nebel ist so dicht, daß ich nicht mal das Vorschiff sehe.“

      „Was heißt hier: Das glaubst du nicht!“ brauste der Wikinger auf. „Was ich dir vorbete, hast du gefälligst zu glauben, du triefäugiges Sumpfhuhn. Noch bin ich hier der Kapitän, und mein Wort gilt. Wenn du noch einmal widersprichst, nagle ich dich an den Großmast.“

      „An den Großmast“, murmelte der Stör entsetzt.

      Thorfin runzelte schon finster die Stirn, und der Stör zog vorsichtshalber das Genick ein, denn er kannte seinen Herrn und Meister, der mitunter sehr übellaunig reagierte.

      Aber da erschien die Erlösung, und für den Stör war es, als ginge in dem dichten Nebel strahlend die Sonne auf.

      Siri-Tong, die Rote Korsarin, erschien an Deck. Sie trug ihre obligatorische Kluft, der sie auch den Beinamen Rote Korsarin verdankte – eine rote Bluse und blaue Hosen. Da es noch unangenehm kühl war, hatte sie sich eine Segeltuchjacke um die Schultern gehängt. Ihr langes, schwarzblau schimmerndes Haar fiel über den Kragen der Segeltuchjacke.

      Sie blickte Thorfin aus ihren schwarzen mandelförmigen Augen etwas nachdenklich an. Ihr roter Mund verzog sich zu einem knappen Lächeln.

      „Ist was?“ fragte der Nordmann grinsend.

      „Man hört dich von vorn bis achtern und von morgens bis abends“, sagte sie. „Seit fast zwei Stunden meckerst du mit dem Stör herum. Muß das eigentlich sein? Er ist doch ein guter Rudergänger.“

      „Ein guter Rudergänger“, wiederholte der Stör erfreut.

      „Ein übler Nachquatscher ist das“, sagte Thorfin grollend. „Und als Rudergänger sieht er nicht einmal das Land, weil seine Klüsen zugewachsen sind.“

      „Siehst du denn etwa das Land?“ fragte Siri-Tong noch einem kurzen Blick in den Nebel spöttisch.

      „Ich – äh – manchmal schon“, sagte Thorfin etwas lahm. „Hauptsächlich dann, wenn …“

      „… der Nebel aufreißt“, ergänzte sie freundlich, „und andere Schiffe in Sicht sind, die man rupfen kann.“

      „Ich habe mich nur meiner Haut gewehrt“, brummte Thorfin unbehaglich. „Die Kerle von der ‚Ragnhylt‘ sind frech geworden, als ich sie freundlich etwas fragte. Dabei habe ich nur die Gelegenheit genutzt. Sie hätten sich ja besser wehren können.“

      „Und die drei Holländer im Skagerrak?“ fragte die Rote Korsarin.

      „Die Holländer?“ Thorfin tat so, als müsse er sich erst mühsam daran erinnern. Er hatte sowieso seine eigene Logik, der Schrat aus dem hohen Norden. „Die haben es nicht besser verdient“, knurrte er dann. „Sie haben nur ein bißchen Zunder gekriegt, mehr nicht.“

      „Na ja, das sind deine Ansichten“, meinte Siri-Tong. „Bis wann, glaubst du, sind wir in Bergen?“

      „In vier bis fünf Tagen etwa, falls der Nebel nicht so lange anhält. Sonst kann es mindestens eine Woche dauern.“

      Die Rote Korsarin war von der Aussicht nicht gerade begeistert. Sie hatte die Reise in den Norden ohnehin nur aus einer spontanen Laune heraus angetreten. Aber dieser Wind war verdammt kalt, und lange nicht so angenehm wie der Wind in der Karibischen See. Sie wollte nur einmal hinaus, weiter nichts.

      In Bergen wollte Thorfin eine Ladung Eisenerz oder Eisenbarren besorgen. Die eigentliche Idee dazu stammte von dem alten Schiffbaumeister Hesekiel Ramsgate, und diesen Gedanken hatte der Nordmann sofort und sehr begierig aufgegriffen. Eisen oder Eisenerz brauchten sie für die Werft im Stützpunkt Great Abaco auf den Bahamas. Sie wollten es selbst schmelzen und weiterverarbeiten, wie Hesekiel vorgeschlagen hatte, denn Eisenbarren oder Erze waren im karibischen Raum nur sehr schwer zu beschaffen.

      Thorfin hatte sofort versprochen, die Reise anzutreten, zumal er geradezu „prädestiniert“ für den hohen Norden war, wie er selbst versichert hatte. Auf dieser Reise wollte er zugleich einen kleinen Abstecher nach Island unternehmen, um dort einmal nach dem Erbe seiner Frau Gotlinde, dem Thorgeyrschen Hof, zu sehen. Daß man dabei unterwegs, so ganz nebenbei, ein paar Handelsschiffe rupfte, war nur selbstverständlich.

      Thorfin war allerdings nicht der Mann, der andere Schiffe hinterrücks überfiel und ausplünderte. Er tat das mehr auf die feine nordische Art, wie er es selbst nannte. Er fing meist ein bißchen Stunk an, und wenn die anderen dann voll aufgebraßt waren, ging es zur Sache. Die waren dann „frech“ geworden, wie jener Handelssegler „Ragnhylt“, dessen Kapitän ihm üble Drohungen zugerufen hatte. Hinterher sah der Däne dann ein bißchen gerupft aus. Seine Segel waren nicht mehr die besten, und auch das Holz des Schiffes war rußgeschwärzt.

      „Und wie lange gedenkst du, dich in Island aufzuhalten?“ erkundigte sich Siri-Tong. Die Tochter einer Chinesin und eines portugiesischen Seemannes zog die Segeltuchjacke enger um ihre Schultern, denn der Wind frischte auf und wurde immer kühler.

      „Zuerst will ich in Bergen das Zeug kaufen, aber noch nicht laden. Dann brauche ich nicht mit einem voll abgeladenen Schiff in den Norden zu törnen. In Island selbst werden wir uns nicht lange aufhalten, nur mal kurz nachsehen, was es an Neuigkeiten gibt und wie es um den Hof bestellt ist. Dann segeln wir zurück nach Bergen, nehmen die Ladung an Bord und gehen über die Orkneys wieder in den Atlantik. So ungefähr habe ich mir den Verlauf der Reise vorgestellt.“

      „Nicht wieder an der Südküste Englands vorbei?“

      Der Riesenschrat zuckte mit den gewaltigen Schultern. Mit der linken Hand wischte er durch seinen feuchten Bart.

      „Du hoffst immer noch, dort irgendwo auf den Seewolf zu treffen“, meinte er, „aber das ist aussichtslos. Weiß der Teufel, wo die Kerle zur Zeit stecken. Sie können an jedem Punkt der Welt sein. Wir haben seit Ewigkeiten nichts mehr von ihnen gehört. Ich würde die Kerle auch gern einmal wiedersehen.“

      „Ja, sie sind schon sehr lange weg“, sagte Siri-Tong nachdenklich.

      Sie blickte den Bostonmann an, der sich ihnen näherte. Sein goldener