Zuerst wollten sie nach den Riemen greifen, um aus der Gefahrenzone zu pullen. Dann unterließen sie es, denn der Riemenschlag würde in dieser entsetzlichen Stille nur Aufsehen erregen. Sie blieben auf der Ducht sitzen und hofften, daß das Ding endlich vorbeiglitt, ohne daß sie jemand bemerkte.
Es kam jedoch alles ganz anders, als sie dachten.
Der Nebel verfinsterte sich wieder und wurde fast pechschwarz. Auch die riesige Wand war wieder da. Ein Poltern war zu hören, dann verzerrte Stimmen, die der Nebel zerfaserte.
Knut und Olaf Thorsten wurden immer kleiner. Die Fischer hockten wie verängstigte Kinder auf der Ducht und starrten leichenblaß in den fürchterlichen schwarzen Nebel. Seine Ausmaße wurden noch gewaltiger.
Vier schwarze Säulen schoben sich aus dem Nebel. An den Säulen hingen gewaltige Rahen, und an diesen Rahen bewegten sich schwach Tücher, von denen feuerspeiende Drachenköpfe stierten. Diese monströsen Drachenschädel spien gewaltige Flammenzungen nach allen Richtungen. Das alles war wie ein Spuk, aber dieser Spuk zog keinesfalls lautlos an ihnen vorbei. Da waren Stimmen, Flüstern, ein unheimliches Raunen, das sich mit Knirschen, Ächzen und Knarren vermischte. Außerdem war da noch das unheimliche Gurgeln und Schmatzen von Wasser.
Das Geisterschiff – jetzt schwarz wie die Nacht – schob eine Welle vor sich her, die sich wie ein Rauschebart auftürmte und immer größer zu werden schien.
Olaf schloß für ein paar Augenblicke krampfhaft die Augen, um das entsetzliche Bild fortzuwischen. Als er sie wieder öffnete, war alles nur noch schlimmer geworden.
Dieses Satansschiff schien den Nebel mit sich zu nehmen, denn er zog in einem riesigen Schleier mit dem Schiff fort. Hin und wieder riß der Nebel jedoch an einigen Stellen etwas auf, und da sahen sie zum ersten Mal die grauenhaften Gestalten an Bord.
Einige von ihnen schienen ohne Leben zu sein – Verdammte, die dazu verurteilt waren, ruhelos über das Meer zu ziehen, oder Diener des Satans, die zur Bewegungslosigkeit erstarrt waren.
Sie wußten nicht einmal, ob sie von den Gestalten bemerkt wurden, denn niemand war neugierig oder starrte sie direkt an. Diese Diener des Teufels schienen leblose Marionetten zu sein.
Für die Thorsten-Brüder war das alles wie ein fürchterlicher Alptraum, aus dem es kein Erwachen gab. Ewigkeiten lang sahen sie das unheimliche Schiff und seine leblose Besatzung. Das schwarze Schiff zog in einer fließenden Bewegung ganz dicht vorbei und nahm dabei gewaltige Nebelmengen mit sich, oder aber der Nebel stammte direkt von dem Schiff, so genau ließ sich das nicht unterscheiden. Es ließ sich überhaupt nichts mehr unterscheiden, denn die ganze Welt war angefüllt von diesem grauenhaften Schiff.
Das Schlimmste folgte aber noch, als sie das Achterdeck des Geisterschiffes sahen. Den beiden Fischern setzte fast das Herz aus. Durch ihre Adern lief Eiswasser.
Auf diesem Achterdeck, wo ebenfalls alles in Schwarz gehalten war, hockte auf einem gewaltigen Thron oder Sessel der Teufel selbst. Es konnte niemand anderer sein, das stand für die Fischer fest.
Natürlich hatte er wieder eine seiner vielfältigen Verkleidungen gewählt, damit ihn niemand auf Anhieb erkannte. Auch davon hatte der Großvater der beiden Brüder immer zu berichten gewußt.
Seine Hörner hatte er geschickt unter einem gewaltigen Helm aus poliertem Kupfer verborgen, damit sie niemand sah. Und einen rötlich-grauen riesigen Bart hatte er sich ebenfalls zugelegt. Der Unheimliche war in rauchgraue Felle gehüllt und hatte die mächtigen Arme auf die Lehnen des Sessels gestützt. Er trug die gleichen Riemensandalen wie die alten Wikinger, und er hatte auch ein großes Schwert an seiner Hüfte.
Seine Augen blitzten wild, als er durch den Nebel blickte. Er schien das einzige Wesen an Bord zu sein, das sich bewegte. Aber das war schließlich auch kein Wunder.
Dieser Teufel in fast menschlicher Gestalt warf ihnen einen sehr nachdenklichen Blick zu, und es gab gar keinen Zweifel daran, daß er sie bemerkt hatte.
Die beiden krochen noch tiefer auf ihrer Ducht zusammen. Ihre Herzen schlugen wie ein Hammerwerk.
Noch zwei weitere Kerle standen bewegungslos und wie schwebend in dem Nebel herum. Sie glichen dem Satan in der Statur und hatten eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, aber sie trugen keine Helme. Dann entdeckten sie noch einen dritten mit einem auffallend langen Gesicht.
Der unheimliche Spuk zog jetzt rasch vorüber. Die Drachenköpfe auf den Segeln spien noch einmal gewaltige Flammen und bewegten sich dabei.
Dann war nur noch der in schwarzen Rauch gehüllte Besanmast zu sehen und ein gewaltiges Heck, das sich brodelnd und schäumend aus der See hob.
Eine lange schwarze Nebelfahne verschluckte alles.
Knut und Olaf starrten sich benommen an. Um sie her quirlte und brodelte es, dünte die See langgezogen, tanzten unheimliche Elfen und Kobolde ihren Reigen auf dem Wasser.
Noch einmal vernahmen sie das Ächzen und Knarren, dann herrschte eine beängstigende Stille.
Ein paar Minuten vergingen schweigend. Jeder versuchte, seine Gedanken zu ordnen und über das Gesehene nachzudenken.
„Es war wahrhaftig der Teufel“, sagte Knut schaudernd. „Großvater hatte recht, er reitet auf einem riesigen Schwefelfaß, und es hat aus allen Mäulern Feuer gespien.“
„Wollen wir zum Land segeln?“ fragte Olaf beklommen. „Dorthin wird es uns nicht folgen.“
„Wir sollten lieber abwarten, damit es nicht noch einmal unseren Kurs kreuzt oder wir den seinen. Bleiben wir lieber noch hier. Ich habe fürchterliche Angst, denn gegen den Teufel kann man sich nicht wehren.“
„Nein, das kann man nicht. Wohin mögen sie wohl segeln?“
„Sie segeln nicht, sie schweben über dem Wasser, das habe ich ganz deutlich gesehen.“
Jetzt, nachdem der Spuk vorbei war, ging ihre Phantasie mit ihnen durch. Das, was früher der Großvater zu sehen geglaubt hatte, sahen sie noch viel deutlicher, eindringlicher und ausführlicher. Und sie spannen noch mehr Garn hinzu.
Zwei Stunden später waren sie an Land und begaben sich eiligst in den nächsten Krug, um ihre erstaunliche und unheimliche Geschichte an den Mann zu bringen.
Sie fanden überall offene Ohren.
Im Krug hockten andere Fischer und Seeleute, die wegen des immer stärker werdenden Nebels nicht auslaufen konnten. Es dauerte nicht lange, dann hatten sich sämtliche Gäste um die beiden Thorsten-Brüder geschart und spitzten die Ohren. Auch der Wirt war natürlich mit dabei, und jeder wußte etwas anderes zu berichten.
Aus dem Viermaster war ein Geisterschiff geworden, mit dem Teufel an Bord, der jetzt die Küsten heimsuchen würde. An Bord hatte er Trolle, Dämonen und Kobolde, die zu Stein erstarrt waren.
Keiner der gespannten Zuhörer zweifelte an dem Schauermärchen, das immer abstraktere Formen annahm. Sie waren abergläubisch, und so wurde die Geschichte weidlich ausgeschlachtet, und jeder wußte noch etwas mehr zu berichten.
„Das Schiff aus dem Nebel war schon einmal hier, vor etlichen Jahren“, erzählte der Wirt. „Immer, wenn es nach einer gewissen Zeit wieder erscheint, gibt es ein Unglück. Ein Sturm sucht die Küsten heim und vernichtet alles, oder eine Krankheit bricht aus.“
„Oder es gibt eine Feuersbrunst“, sagte eifrig ein anderer, „wie damals, als es ganz überraschend auftauchte. Es erscheint immer in einer schwarzen Nebelwolke, und es hat so große Geschütze an Bord, daß es mit einem einzigen Schuß die ganze Welt vernichten kann.“
„Mit einem einzigen Schuß?“ fragte der Wirt entsetzt.
Die beiden Thorsten-Brüder bestätigten das sehr eifrig.
„Wir haben die Rohre gesehen“, sagte Knut. „Man kann hineinschauen wie in einen riesigen pechschwarzen Schlund. Ein ganzer