„Los, weiter! Du befreist die Gefangenen, nimm dir ein paar Krieger mit“, sagte er zu dem älteren Indio. „Ich werde den Turm durchsuchen. Und zwei von uns übernehmen die Wache, obwohl ich nicht glaube, daß irgend etwas passieren wird. Die weißen Teufel sind zu beschäftigt.“
Die Indios arbeiteten schnell. Die Gefangenen hatten sie innerhalb einer knappen Viertelstunde befreit. José starrte seine Befreier an.
„Was ist mit Maria?“ fragte er.
Aber der Indio schüttelte den Kopf. „Du kannst ihr nicht helfen, du würdest nichts erreichen. Sorge jetzt für dein eigenes Leben, oder du stirbst dennoch durch die Folterknechte Don Fuegas.“
José sah den Indio an. Dann drückte er ihm die Hand, aber gleichzeitig schüttelte er den Kopf.
„Würdet ihr jemanden von euch im Stich lassen? Ich kann Maria diesem Teufel nicht überlassen, ich werde sie herausholen oder sterben!“
Er lief davon, noch bevor die Indios ihn umstimmen konnten. Sie achteten und verstanden ihn, denn sie kannten den Alkalden noch weit besser als José.
Anuk stellte sich José in den Weg. Er erkannte sofort, was in ihm vorging.
„Warte, wir werden dir helfen. Es wird bei den weißen Teufeln große Verwirrung geben. Die werden wir ausnutzen, und vielleicht kann ich dann noch etwas tun.“
José wollte sich losreißen, aber Anuk hielt ihn fest.
„Ohne uns wirst du alles verderben, José. Ich verspreche dir, daß ich die Senorita mit dir befreien werde, wenn das möglich ist. Du kannst mir und meinen Gefühlen vertrauen. Wir müssen sie befreien, denn wenn du geflohen bist, dann ist sie sowieso der Rache des Alkalden ausgeliefert, und du weißt, was das bedeutet.“
José atmete schwer.
„Gut“, sagte er dann. „Was habt ihr vor? Bei der heiligen Jungfrau, beeilt euch!“
Anuk erklärte es ihm, und plötzlich erkannte José die einmalige Chance, die das Vorhaben der Indios für die Befreiung Marias bot.
„Ich glaube, ich kann euch helfen“, sagte er nach einem kurzen Moment des Überlegens. „Los, Anuk, dieses verfluchte Schwein von einem Alkalden soll sich wundern!“
Capitan Roca und Don Fuega hatten den Palazzo erreicht. Capitan Mateo ebenfalls, sogar etwas früher als sie.
Roca blieb stehen.
„Wo sind wir ungestört, Fuega?“ fragte er, und die Art, wie er diese Frage stellte, zeigte dem Alkalden, daß es diesem Mann gegenüber keine Ausflüchte gab.
„In meinem Arbeitszimmer, Senor Capitan. Aber würden Sie mir nicht erklären, was das alles zu bedeuten hat?“
Don Fuega konnte nicht verhindern, daß seine Stimme bei dieser Frage zitterte, und dem Capitan entging das nicht.
„Hören Sie, Don Fuega“, erwiderte er und warf dem Alkalden dabei einen scharfen Blick zu, der dem Don durch und durch ging. „Ich kenne genügend Leute Ihres Schlages. Sie haben keine reine Weste, Senor, das merke ich aus Ihrem ganzen Verhalten.“
Wieder warf er dem Alkalden einen scharfen Blick zu.
„Ich sollte Sie einer strengen Überprüfung unterziehen, wahrscheinlich würden Sie dann am nächsten Morgen neben einigen anderen Angeklagten am Galgen hängen. Sie haben bestimmt genug von mir gehört, um zu wissen, daß das keine leere Drohung ist. Aber Sie haben Glück, Senor: Ich bin nicht hier, um eine Untersuchung gegen Sie zu führen, es geht um eine andere Sache, bei der Sie mir helfen werden. Und jetzt genug von diesem Geschwätz, führen Sie mich in Ihr Arbeitszimmer, damit wir endlich weiterkommen!“
Der Alkalde war totenblaß. Er starrte den Capitan aus großen Augen an, und eben dieser Blick verriet seine Gedankengänge überdeutlich. Voller Entsetzen dachte er daran, daß Maria, jene junge Frau, die neben ihm an der Tafel gesessen hatte, in seinem Schlafgemach gefangengehalten wurde. Aber dann faßte er sich, denn eine unmittelbare Gefahr schien nicht zu bestehen.
„Selbstverständlich, Senor Capitan!“ stieß er erleichtert hervor und dienerte dabei. „Wenn Sie mir bitte folgen würden, Senor Capitan …“
Er eilte voran, und Roca marschierte hinter ihm her. In seinem Gesicht wetterleuchtete es. Er nahm sich vor, diesem verdammten Alkalden noch gehörig auf den Zahn zu fühlen, sobald seine eigentliche Aufgabe gelöst war.
Roca betrat das geräumige Arbeitszimmer. Ihm entging nicht, mit welchem Aufwand und mit welcher Pracht es eingerichtet worden war. Zorn stieg in ihm hoch, denn zu diesem Pomp hätten die Mittel des Alkalden niemals ausgereicht. Er hatte also wieder einen dieser verfluchten Blutsauger vor sich, die das Ansehen der Spanischen Krone bei den Bewohnern der Neuen Welt schädigten, die Schuld daran trugen, daß es immer und immer wieder zu blutigen Aufständen kam. Roca gehörte nicht zu der Sorte, die die Probleme der Eingeborenen ignorierte.
Don Fuega schob ihm einen der kostbaren Stühle zurecht und nahm selber Platz, nachdem der Capitan sich gesetzt hatte.
Einen Moment herrschte peinliches Schweigen. Die geladenen Gäste, die zum Teil noch anwesend waren, starrten die beiden Männer neugierig an.
Roca quittierte das mit einem unwilligen Stirnrunzeln.
„Schaffen Sie diese verdammten Gaffer weg, Don Fuega. Ich hatte Sie gefragt, wo wir ungestört miteinander verhandeln könnten! Und, verdammt noch mal, beeilen Sie sich. Ich habe keine Lust, in diesem verdammten Hafen solange herumzuliegen, bis meine Schiffe Muscheln ansetzen, klar?“
Don Fuega sprang sofort auf. Er klatschte ein paarmal in die Hände, und sofort stürzten ein paar Bedienstete herbei. Gleichzeitig mit ihnen betraten jedoch Capitan Mateo und die Folterknechte des Alkalden das Arbeitszimmer, das unmittelbar neben dem großen Salon lag, in dem noch immer die reich gedeckte Tafel stand.
Capitan Roca blickte Mateo an.
„Lassen Sie diesen und den angrenzenden Raum räumen, Mateo. Und dann lassen Sie die Wache vor dem Arbeitszimmer aufziehen. Die anderen“, er deutete auf die Folterknechte, die den Alkalden schon lüstern anstarrten, „warten in einem der anderen Räume, halten sich aber zur sofortigen Verfügung! Vorwärts!“
Capitan Mateo gab den Seesoldaten, die im Hintergrund sichtbar geworden waren, ein Zeichen. Sofort setzten die Soldaten sich in Bewegung und drängten die Schar der Gaffer aus dem Palast. Wütende Proteste wurden laut, aber sie wurden von den Soldaten ignoriert.
„So, und jetzt zu uns, Senor Fuega. Ich habe den Auftrag“, sagte Capitan Roca, „die Piraten Killigrew und Siri-Tong zu jagen und zu vernichten.“
Don Fuega wurde noch blasser. Ihm schwante sofort Böses, denn er hatte von dem Seewolf und dessen Aktivitäten in der Karibik nicht nur gehört, sondern sogar einen ganzen Verband von Schiffen verloren, die die Schatzgaleonen, die im Hafen von Nuevitas ankerten, nach Havanna zum Sammelpunkt hatten geleiten sollen.
Don Fuega hatte davon gehört, daß dieser englische Freibeuter der reinste Teufel sein mußte, und diese Siri-Tong nicht weniger. Schlimmer noch als Caligu, der den Spaniern von Tortuga aus zugesetzt hatte.
„Sehr wohl, Senor, sehr wohl“, sagte er. „Und was kann ich dabei tun, ich meine …“
Capitan Roca ließ sich nicht beeindrucken. Er fixierte den Alkalden nur scharf, ehe er weitersprach.
„Der Seewolf, wie man diesen Killigrew nennt, ist zu einer ernsten Gefahr für die spanische Krone geworden. Zudem soll er neuerdings über ein Versteck verfügen, über einen Schlupfwinkel, der so gut wie uneinnehmbar ist. Außerdem“, der Capitan hob seine Stimme, „soll sich der Seewolf nicht nur mit der seit langem gesuchten und gejagten Piratin Siri-Tong, sondern auch noch mit dem berüchtigten Wikinger zusammengetan haben. Und zwar auf Little Cayman. Haben Sie von diesem