„Sag mal, woher hast du das Wasser zum Kochen geholt?“
Der Kombüsenmann deutete zur Südseite der Bucht, wo sich die Felsen fast bis auf das Niveau des Strandes senkten. Dort bestand praktisch die einzige Möglichkeit, ohne große Umstände das Inselinnere zu erreichen. Denn sonst war die Bucht von einer hohen Steilwand umgeben.
„Da gibt es eine Quelle“, sagte der Kutscher leichthin, „ungefähr dreihundert Yards von hier. An Trinkwasser haben wir jedenfalls keinen Mangel.“
Die Augen des alten Donegal begannen zu leuchten.
„Hast du noch was von dem Wasser da?“ fragte er erregt, stellte seine Muck weg und rappelte sich hastig auf.
Erst in diesem Moment begriff der Kutscher.
„Alles verbraucht“, sagte er rasch. „Habe alles fürs Kochen nehmen müssen.“
„Dann holen wir was“, entschied Old Donegal. „Her mit einer Pütz!“
„Haben wir noch nicht auf Lager“, sagte Ed Carberry und mühte sich ab, ein Grinsen zu unterdrücken. „Pützen liegen auf der Galeone noch auf dem Hauptdeck rum.“
„Wie, zum Teufel, hast du denn das Wasser geholt?“ fauchte Old Donegal den Kutscher an.
„In dem Topf natürlich.“ Der Kombüsenmann zeigte auf die Feuerstelle. „Und den habe ich zum Kochen gebraucht. Wir müßten erst alles aufessen, bevor wir neues Wasser holen können.“
„Darum geht’s nicht!“ schrie der alte O’Flynn aufgebracht. „Ich muß das Wasser probieren! Sofort! Kapiert ihr denn nicht? Vielleicht haben wir den Jungbrunnen entdeckt! Der soll hier in der Gegend sein. Himmel, ja das ist bestimmt der Jungbrunnen!“
„Ich habe einen anderen Vorschlag für dich“, sagte der Kutscher trocken. „Geh einfach selber los. Dreihundert Yards nach Osten, wenn du oben auf dem Felsen bist. Du kannst die Quelle gar nicht verfehlen. Da läuft ein kleiner Creek, der dir den Weg weist. Und dann trinkst du das Wasser einfach mit den Händen.“
Einen Moment sah Old Donegal überrascht aus, als hätte ihm der Kutscher eine völlig verblüffende Lösung offenbart. Dann stapfte er los, und trotz seines Holzbeins legte er ein beträchtliches Tempo vor.
Die Männer zwangen sich, still zu bleiben, und konzentrierten sich ganz auf das Backen und Banken. Letztlich wollten sie auch vor den Söhnen des Seewolfs nicht unbedingt zeigen, daß es ihnen an Respekt mangelte, um den Old Man und seinen Traum vom Jungbrunnen ernstzunehmen. Immerhin hatten sie dank der Idee des Kutschers erst einmal ihre Ruhe.
Nach dem Essen gönnten sie sich keine lange Pause.
Philip und Hasard junior zeigten den Männern das Versteck, das sie auftragsgemäß bei ihrer ersten Erkundung der Bucht entdeckt hatten. Es stellte sich heraus, daß es sich um einen hervorragenden Unterschlupf handelte, wie man ihn sich besser nicht vorstellen konnte.
In der Steilwand, vier Yards hoch über dem Sandstrand, hatten die Junioren eine Grotte erspäht. Die Öffnung war kaum größer als das Kombüsenschott an Bord der „Isabella“.
Stenmark und die beiden Jungen rüsteten sich mit Tauwerk aus und benutzten den Weg, den Old Donegal genommen hatte, um den Felsen oberhalb der Grotte zu erreichen. Die notwendigen Vorbereitungen für das Stauen des Goldschatzes und der Waffen und Ausrüstungsgegenstände mußten getroffen werden.
Oberhalb der Höhlenöffnung neigte sich die Steilwand nach vorn, seewärts nach Westen hin. Stenmark half Hasard junior, ein Tauende um Oberkörper und Oberschenkel zu schlingen und so zu verknoten, daß es sich nicht zuziehen konnte. Dann belegten der blonde Schwede und Philip junior das andere Ende etwa zehn Yards landeinwärts an einer Felsnase. Gemeinsam packten sie das Tau vor dem aufgerollten Teil, und Stenmark nickte dem Sohn des Seewolfs zu.
Hasard hielt das Tau zusätzlich mit beiden Händen, als es sich gestrafft hatte. Rückwärts bewegte er sich über die Felsenkante, bis er frei baumelte und langsam nach unten schwebte. Wegen des überhängenden Felsenteils hatte es den Anschein, als wiche die Steilwand, von ihm zurück.
Als seine Füße knapp unterhalb der Höhlenöffnung schwebten, stieß er einen gellenden Pfiff aus.
Sofort endete sein Abwärtssinken. Er begann, sich in Pendelbewegungen zu versetzen, indem er die Beine abwechselnd anzog und nach vorn streckte. Hatte sein Abstand von der Höhlenöffnung in lotrechtem Zustand zwei Yards betragen, so gelangte er nun immer näher an den düsteren Felseneingang heran.
Schließlich, mit einem letzten Schwungholen, warf er die Beine hoch, erfaßte mit den Füßen den unteren Rand der Öffnung und nutzte den Schwung, um sich aufzurichten und nach vorn in die Dunkelheit zu werfen. Stenmark und Philip reagierten richtig, indem sie haargenau in diesem Moment mehr Tau gaben. Hasard stieß einen erneuten Pfiff aus.
Wenig später hangelte sein Bruder nach unten. Philip trug eine dicke Taurolle schräg über Schulter und Rücken. Die weitere Arbeit lief zügig und wie am Schnürchen. Stenmark löste das obere Tauende von der Felsnase, und die Jungen holten es in die Höhle.
Während der blonde Schwede zum Strand hinunterstieg, suchten Hasard und Philip in der Höhle geeignete Felsvorsprünge, an denen sie die beiden Tampen belegen konnten. Dann warfen sie die Taue hinunter. Schon fünf Minuten später konnten sie die bereitliegende Jakobsleiter bis zum Sims des Höhleneingangs hochziehen. Das Straffen der Seile und das sichere Verknoten erledigten die Söhne des Seewolfs im Handumdrehen.
Die Männer enterten über die Jakobsleiter auf. Der Kutscher hatte eine Laterne aus den „Viento-Este“-Beständen mitgebracht und zündete sie in der Höhlenöffnung an.
Der erste Blick in die Grotte bewies, daß die Zwillinge eine gute Nase gehabt hatten. Vom Eingang aus verbreiterte sich die Kaverne zu einem großen Rund, das jede Menge Stauraum bot.
In Nischen und auf Vorsprüngen der Höhlenwände gab es verlassene Nester von Seevögeln, die hier ihre Jungen großgezogen hatten und nun irgendwo in der Weite der Karibik ihr neues Domizil hatten.
„Da haben unsere Rübenschweinchen doch tatsächlich was Prachtvolles aufgetan“, sagte Ed Carberry dröhnend und hieb den Jungen auf die Schulter, daß sie in die Knie gingen.
„Unterschlupf und Lagerraum zugleich“, sagte der Kutscher und nickte. „Wir haben alles an einem Platz, brauchen unsere Kräfte also nicht zu zersplittern.“
„Und wenn es sein muß“, fügte Sven Nyberg hinzu, „können wir uns hervorragend verteidigen.“
„Eine Burg könnte nicht besser sein“, sagte Nils Larsen. „Hier kommt überhaupt keiner an uns heran. Wenn wir die Jakobsleiter eingezogen haben, sind wir sicher wie in Abrahams Schoß.“
„Und von oben“, sagte Stenmark grinsend, „hat erst recht keiner eine Chance – wegen des Felsenüberhangs.“
„Übermut wäre aber auch nicht gut“, mahnte Martin Correa. „Höhlen kann man schließlich immer noch ausräuchern.“
Die Männer sahen ihn mißbilligend an.
„Einer muß doch immer die Stimmung verderben“, sagte Ed Carberry brummig, aber an seinem Augenzwinkern war zu erkennen, daß er es durchaus humorvoll meinte.
Jeder der Freunde wußte indessen, daß Martins Hinweis durchaus angebracht war. Man durfte sich nie zu sicher fühlen.
Sie nahmen auch den hinteren Teil der Grotte in Augenschein und stellten fest, daß keine Feuchtigkeit vorhanden war, die dem Schwarzpulver geschadet hätte. Ohne Zeit zu verschwenden, setzten sie ihre Arbeit fort.
Spieren und Taljen hatten sie von der „Viento Este“ bereits mitgebracht. Über die Jakobsleiter wuchteten Nils Larsen und Sven Nyberg das notwendige Material nach oben. Mittels Tauen und Stützstreben wurde der erforderliche Ladebaum im Höhleneingang montiert. Mit einem