Maureen O’Riordan war jedenfalls überzeugt, daß sich kein Mann in Irland etwas Derartiges bieten lassen würde.
„So!“ sagte Viviane mit grimmigem Knurren. „Ich hoffe, damit hätten wir die Fronten mal wieder geklärt. Und merke dir eins, mein lieber Jacques: Wir beide sind die besten Freunde, solange das Geschäftliche und das Persönliche zwischen uns stimmt. Wenn sich jeder an die Vereinbarungen hält, wird es auch dabei bleiben. Ich war diejenige, die sich in der Beziehung bislang nichts hat zuschulden kommen lassen. Habe ich recht oder nicht?“
„Ja“, antwortete Jacques Hélias kleinlaut.
„Also gut“, sagte Viviane versöhnlich. „Dann zieh deine Hosen hoch, geh nach nebenan und trinke einen Schnaps mit den anderen.“
Er gehorchte ohne ein Widerwort.
Viviane wandte sich indessen der jungen Irin zu. Das Gesicht der massigen Frau war breitflächig. Sie hatte eine Knollennase, das strähnige Haar wirkte auf ihrem Kopf wie ein umgestülpter Teller. Ihre Augen waren klein, hinter Fettpolstern fast verborgen, die Farbe undefinierbar irgendwo zwischen grau und dunkelblau.
„Wie heißt du?“ fragte sie, indem sie mit einem gespielt gütigen Lächeln auf die Gefangene hinunterblickte.
„Maureen O’Riordan.“
„Du kannst uns gut verstehen, nicht wahr?“
„Ja.“
„Du hast dich vielleicht darüber gewundert.“
„Ja.“
„Nun, weißt du wenigstens, in welchem Land du bist?“
„Nein.“
Das Gesicht der Riesenfrau verfinsterte sich. „Haben diese Drecksäcke dir nichts darüber gesagt?“
„Nein. Ich nehme an, sie hatten alle Hände voll mit dem Sturm zu tun.“ Maureen fragte sich, warum sie gegenüber diesem Monstrum von einer Frau plötzlich Partei für ihre Entführer ergriff. Es war eine ihr unerklärliche Regung.
„Unsinn! Redet man mit den Händen?“
„Nein.“
„Na, also. Ihr Iren seid ein einfältiges Volk, nicht wahr?“
Maureen wagte nicht zu widersprechen. Andererseits regte sich ihr Nationalstolz.
„Ich weiß nicht …“, antwortete sie daher zögernd.
Viviane grinste. „Von dem, was außerhalb eurer lausigen Insel passiert, kriegt ihr nicht viel mit. Weil ihr’s nicht mitkriegen wollt. Ihr interessiert euch nur für euch selber. Aber lassen wir das.“ Viviane setzte sich auf die Kante des Lagers aus Fellen und Decken. „Was wir und ihr gemeinsam haben, ist die Abstammung. Unsere Vorfahren waren Kelten, eure und unsere. Du befindest dich hier in der Bretagne, Mädchen. Schon mal davon gehört?“
„Ja. Die Nonnen haben davon erzählt.“
„Die Nonnen!“ Viviane lachte schallend. „Wie können so ein paar dämliche Weiber etwas über die Welt wissen, wenn sie sich von der Welt abgewandt haben und nichts darüber mitkriegen!“
„Ich weiß es nicht.“
„Natürlich nicht. Kannst du ja auch nicht. Haben die Betschwestern was über unsere Sprache gesagt?“
„Ich glaube. Ich kann mich aber nicht erinnern.“
„Na gut. Du hast es jetzt gemerkt. Dank unserer gemeinsamen Vorfahren können wir uns verstehen. Unsere Sprachen sind keltisch und sehr ähnlich. Begriffen?“
„Ja.“
„Du wirst es also leicht haben mit deinem zukünftigen Mann. Ihr werdet euch gut verstehen. Von Anfang an. Und daß du mir keine Schande machst! Jacques und ich haben einen guten Ruf auf der Insel und auch drüben auf dem Festland. Die Bräute, die wir liefern, werden allesamt gute Ehefrauen – treu, sparsam, fleißig und dem Mann immer ergeben, wenn es um gewisse persönliche Wünsche geht.“
Maureen erschauerte. Die Riesenfrau nickte ihr noch einmal zu, zwinkerte verschwörerisch und ging hinaus. Gleich darauf war von nebenan leises Gemurmel zu hören, begleitet vom Prasseln der Flammen. Zwischendurch ertönte immer wieder Gelächter. Sie schienen sich bestens zu verstehen, der Streit zwischen Viviane und Jacques war bereits vergessen.
Das ist es also, dachte Maureen. Sie entführten Mädchen und schaffen sie übers Meer, um sie hier im wahrsten Sinne des Wortes an den Mann zu bringen. Auf diese verbrecherische Weise verdienten sie ihr Geld.
Was für Männer es waren, die sich von den Halunken unter Vivianes und Jacques’ Kommando eine Frau besorgen ließen, konnte Maureen sich beinahe bildlich vorstellen. Sie kroch tiefer unter die Decken und fror trotzdem noch. Es war eine Kälte von innen.
Was Jacques Hélias betraf, war sie dem Schlimmsten noch einmal entgangen. Aber sie hatte das schwer zu verdrängende Gefühl, daß sie vom Regen in die Traufe geraten würde. Padraic Kavanagh, der Mann, dem sie versprochen war, rückte in ihrem Bewußtsein in unerreichbare. Ferne.
Es erschien ihr ausgeschlossen, daß er sie jemals finden würde.
Und sie war eben nicht sicher, ob er überhaupt daran dachte, sie zu suchen. Jene Zurückhaltung, die ihr von Father Geraghty und auch von ihren Eltern eingetrichtert worden war, trug sicherlich nicht dazu bei, das Feuer des Interesses in einem Mann am Brennen zu erhalten.
Maureen O’Riordan glaubte nicht mehr an ihre Rettung. Sie befand sich in einer fremden Welt, viel zu weit von Irland entfernt, um jemals gefunden zu werden. So glaubte sie.
Draußen heulte noch immer der Sturm. Gelegentlich drückte eine Bö in den Rauchabzug und verteilte beißendes Grau im Raum. Erst jetzt nahm Maureen es wieder wahr.
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