Seine Worte dröhnten in ihrem Kopf und begannen zu kreisen.
… dich beschafft habe …
… bevor ich dich ausliefere …
Beschafft hatte er sie? Wie eine Ware oder ein Stück Vieh? Sie erinnerte sich an die Mittagsstunde, in der sie die warme Vorfrühlingssonne am Strand der Warren Bay und auf den Felsenpfaden genossen hatte. Das Klima in der Grafschaft Cork war viel milder als hier, in diesem unbekannten Land.
Ihr Spaziergang in der Einsamkeit, die sie so liebte, war jäh unterbrochen worden – auf brutalste Weise. Die Kerle hatten hinter einem Felsvorsprung gelauert und sie zu einem Boot geschleppt. Dann war sie an Bord des Kutters gebracht worden. Und nun sollte sie Irland niemals wiedersehen.
Aber warum?
Warum?
Maureens Gedanken jagten sich in diesen Sekunden, die ihr noch blieben, bis ihr der gierig starrende Mann Gewalt antun würde. Als Kinder hatten sie von bösen Menschenräubern gehört. Die Nonnen in der Klosterschule hatten von geheimnisvollen Fremden erzählt, die über das Meer fuhren, um kleine Mädchen und Jungen von Irlands Stränden zu stehlen.
Aber Maureen und ihre Freundinnen hatten niemals erlebt, daß eine aus ihrer Mitte plötzlich verschwunden war. Sie hatten es als Legende abgetan, durch die Einbildungskraft der frommen Schwestern dramatisiert.
In der letzten Zeit aber hatten die alten Frauen an den Herdfeuern schlimme Gerüchte verbreitet. Da war sie wieder aufgetaucht, jene vermeintliche Legende, die von den fremden Menschenräubern zu berichten wußte.
Kinder waren indessen nicht ihre Opfer. Mädchen im heiratsfähigen Alter, so hieß es, würden von den Unheimlichen vorzugsweise verschleppt. In Rosscarbery und an der Warren Bay hatte sich Derartiges noch nie ereignet, deshalb nahm niemand in Maureens Heimatdorf die Warnungen der Alten so recht ernst.
Nun aber, nach Maureens Verschwinden, würde das wohl anders sein. Wie würde Padraic reagieren? Würde er sie einfach vergessen und sich eine andere suchen? Vielleicht war es eine willkommene Gelegenheit für ihn, eine zu finden, die bereitwilliger war, wenn er sie in ihrem Verlangen bedrängte.
Maureen zuckte zusammen, als Hélias plötzlich ihre Arme packte und hochriß. Im nächsten Sekundenbruchteil erfaßte er ihre Schultern und stieß sie zurück auf das weiche Lager.
Der Schrei löste sich aus ihrer Kehle. Sie verkrampfte sich und versuchte voller Verzweiflung, sich zu wehren. Ihre Stimme gellte. Hélias versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Sie verstummte. Der Schmerz brannte auf ihrer Wange und raste durch ihren Kopf.
„Einfältiges dummes Ding!“ knurrte er. „Zier dich nicht so! Du weißt ja gar nicht, was für ein Vergnügen dich erwartet!“ Während er sie mit der einen Hand auf die Decken drückte, nestelte er mit der anderen an seiner Gürtelschnalle.
Maureen schluchzte. Tränen traten in ihre Augen. Sie versuchte noch einmal, sich zu wehren, indem sie all ihre Kraft zusammenraffte. Aber ihr Peiniger erkannte schon im Ansatz, was sie vorhatte. Lachend stieß er ihre Knie zur Seite, mit denen sie ihn an der empfindlichsten Stelle hatte treffen wollen.
Maureen spürte in diesem Moment, daß sie keine Chance mehr hatte. Ihr Schicksal war besiegelt. Sie würde nie wieder die sein, die sie einmal war.
Selbst wenn es Padraic gelingen sollte, sie zu finden, würde sie nicht mehr seine Braut sein können. Ja, sie würde es wahrscheinlich nicht einmal mehr fertigbringen, ihm in die Augen zu sehen.
Jacques Hélias keuchte, und seine Augen glitzerten vor Gier.
Maureen senkte die Lider, um den Mann nicht ansehen zu müssen.
Deshalb nahm sie die plötzliche Bewegung nur wie ein Huschen wahr und erkannte nicht, daß diese Bewegung von einem Menschen stammte.
Ein heiserer Wutschrei war zu vernehmen. Im selben Moment verschwand das Keuchen aus Maureens Nähe. Ungläubig öffnete sie die Augen.
„Verfluchter Narr!“ brüllte die Frau, die eben auch jenen Schrei ausgestoßen hatte. „Bist du nicht bei Trost, du verdammter Schwachkopf? Begreifst du nicht, was du da anrichtest? Ihren Preis erbringt die Schlampe nur, wenn sie unberührt ist!“
„Aber der alte Trottel merkt doch bestimmt nicht …“, versuchte Hélias einen schwachen Protest.
Ein klatschender Hieb brachte ihn zum Schweigen.
Maureen O’Riordan setzte sich unwillkürlich auf. Das unglaubliche Geschehen ließ sie für den Moment sowohl ihre Angst als auch ihre Blöße vergessen. Die Szene, die sich da vor ihren Augen abspielte, war so ungewöhnlich, daß eine aberwitzige Art von Heiterkeit in ihr aufkeimte.
Der immerhin kräftig gebaute Mann wurde von der Wucht des Hiebes quer durch den Raum getrieben. Er ruderte dabei heftig mit den Armen, um sein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Denn seine Hose hing in den Kniekehlen, und so war er zu kurzen, immer schneller werdenden Schritten gezwungen. Dann stürzte er doch und hatte Glück, die gegenüberliegende Steinwand um Haaresbreite zu verfehlen und sich nicht den Schädel einzuschlagen.
Er zappelte wie ein auf dem Rücken liegender Käfer. Mit den Beinen strampelnd, mühte er sich ab, die Hose loszuwerden. Es gelang ihm nicht.
Die Frau trat auf ihn zu, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Eine große, schwergewichtige Frau von ausladenden Körpermaßen. Erstaunlicherweise trug sie Stiefel und dazu eine Hose, die das Format zweier aneinandergenähter Kartoffelsäcke hatte.
Maureen sah die Frau nur schräg von hinten. Ihr massiger Oberkörper gewann durch eine dunkelgraue Jacke zusätzlichen Umfang. Das dunkle Haar hing in fettigen Strähnen von ihrem breiten Kopf. Man konnte fast annehmen, daß diese Strähnen aus unechtem Haar gefertigt und angeklebt waren.
„Du elender Mistbock“, sagte die Frau fauchend. „Es gibt da noch einen Punkt, den du übersehen haben dürftest.“ Sie versetzte ihm einen Tritt gegen die Unterschenkel, und sein Strampeln hörte auf.
„Viviane!“ schrie er. „Sei nicht ungerecht! Du kannst doch nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen!“
„Umgekehrt wird ein Stiefel draus“, knurrte sie. „Genaugenommen bin ich nämlich noch verdammt friedlich. Jede andere an meiner Stelle hätte dir eine Kugel verpaßt oder dir ein Messer zwischen die Därme gejagt. Das ist nämlich der Punkt, den du übersehen hast: Du gehörst mir! Und du hast dich gefälligst nicht an nackten jungen Dingern zu vergreifen, die sich außerdem nicht mal wehren können.“
Maureen glaubte, von nebenan ein unterdrücktes Kichern zu hören, war sich aber nicht sicher. Sie faßte ein wenig Mut, da sie im Augenblick ohnehin nicht beachtet wurde. Langsam und vorsichtig zupfte sie eine der Decken zurecht und verkroch sich darunter.
„Viviane“, entgegnete Jacques Hélias im bettelnden Ton eines Kindes, das einer drohenden Strafe zu entgehen versucht. „Sei doch nicht so kleinlich. Das bedeutete doch überhaupt nichts. Ein kleines kostenloses Vergnügen am Rande! Stell dir vor, ich würde nach Quimper reiten und mir den Spaß in den Hurenhäusern verschaffen. Was würdest du dazu sagen, he?“
„Du würdest eine Tracht Prügel empfangen. So, wie jetzt!“
„Nein!“ schrie Hélias. „Nein, verdammt noch mal!“ Noch auf dem Boden liegend, hob er abwehrend die Arme vors Gesicht. Aber es nutzte ihm nichts.
Maureen O’Riordan glaubte ihren Augen nicht zu trauen.
Die Riesenfrau namens Viviane trat breitbeinig über den Mann, der versuchte, an ihren Stiefeln Halt zu finden, um sich abzustoßen und doch noch in Sicherheit zu bringen. Er schaffte es nicht und war mit den um die Kniekehlen gewickelten Hosen einfach nicht schnell genug.
Mit geradezu spielerisch aussehender Leichtigkeit zog Viviane den Mann, den sie offenbar als ihr Eigentum betrachtete, hoch. Und sofort setzte es Maulschellen. Mit der flachen Hand verpaßte sie ihm eine