„Schluß der Debatte! Ich erwarte, daß klare Anweisungen respektiert werden. Die Anordnungen des Kutschers sind in diesem Fall Gesetz. Ein für allemal!“
„Richtig!“ schrie Old O’Flynn triumphierend. „Dagegen kann auch ein Profos nicht anstinken! Sonst sollte man ihm mal die Haut in Streifen von seinem Affenarsch ziehen!“
Die Männer konnten nicht mehr an sich halten. Brüllendes Gelächter entlud sich wie Donner und ließ die Decks der „Isabella“ erbeben.
Ed Carberry wirbelte herum, stemmte die Fäuste in die Hüften und brüllte gegen die Meute an.
„Ihr lausigen Schnattertanten! Wollt ihr wohl die Schnäbel halten, ihr schräggebraßten Waldameisen! Wartet nur ab, bis ich wieder an Deck bin! Dann kriegt ihr Dampf von mir, bis euch das Wasser im Hintern kocht! Darauf könnt ihr einen zwitschern, ihr …“
„Affenärsche!“ überschrie ihn die Crew.
Hasard mußte sich mit aller Gewalt zwingen, nicht in den Übermut der Männer einzustimmen. Unten auf der Pier wandten die Leute erstaunt die Köpfe. Der Krach auf der englischen Galeone hörte sich furchterregend an. Daß dort auf dem ranken Dreimaster nicht die Fetzen flogen, daß es sich nicht um Meuterei oder zumindest handgreifliche Auseinandersetzungen handelte – das wurde den meisten Unbeteiligten erst klar, nachdem sie geraume Weile den Atem angehalten hatten.
Der Seewolf ließ seine Männer gewähren. Denn Ausgelassenheit war an Bord der „Isabella“ noch nie in Disziplinlosigkeit ausgeartet. Zwistigkeiten oder Spannungen gab es in dieser Mannschaft nicht.
Nicht umsonst waren Philip Hasard Killigrew und seine Crew auf den Weltmeeren schon zu Lebzeiten zur Legende geworden. Häufig genug waren sie mitten in die Hölle gesegelt, hatten dem Verderben furchtlos lachend ins blanke Auge gesehen und jeglichen Verdruß dank jenes Gemeinschaftsgefühls überwunden, das sie wie Pech und Schwefel zusammenhalten ließ.
Die rauhen Worte, die sie sich gelegentlich an den Kopf warfen, klangen nur für einen Außenstehenden erschreckend. Für die Männer unter dem Kommando des Seewolfs waren es Freundschaftsbezeigungen, die nur sie selbst verstanden. Niemand sonst.
Hasard sorgte schließlich mit einer Handbewegung für Ruhe, nachdem die größten Wogen der Heiterkeit verebbt waren.
„Noch einmal zu unseren Kranken“, sagte er mit verhaltenem Lächeln. „Wenn ich recht sehe, Old Donegal, ist dein linker verstauchter Knöchel noch bandagiert. Im übrigen ist dein Kopfverband genauso ansehnlich wie der unseres Profos’. Wenn ich mich nicht irre, verbirgt sich darunter eine Platzwunde, die noch nicht verheilt ist.“
„Aye, aye, Sir“, erwiderte Old O’Flynn zähneknirschend.
„Was dich betrifft, Luke“, fuhr der Seewolf fort, „hat der Kutscher wohl sehr richtig entschieden, daß du den linken Arm vorläufig nicht bewegen darfst. Dein Schulterdurchschuß war nämlich nicht von schlechten Eltern.“
Luke, der kleine, drahtige, dunkelblonde Engländer, senkte den Kopf.
„Und über deinen Streifschuß, Ed, brauche ich wohl keine Worte zu verlieren.“
„Ein Kratzer, Sir“, entgegnete der Profos mit gedämpfter Stimme, was bei ihm eine Seltenheit war. „Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Wir haben die Nase voll davon, dauernd zu faulenzen. Das hält doch kein Rübenschwein aus.“
„Meine Rede“, fügte Luke Morgan eilfertig hinzu. „Man kennt seinen Körper doch selbst am besten und weiß, wann man wieder einsatzfähig ist. Kein schönes Gefühl, wenn man dann in die Koje verbannt wird.“
Hasard nickte scheinbar verständnisvoll. Ed Carberry und Luke Morgan waren es vor allem, in deren Augen schon ein Anflug von Hoffnung zu leuchten begann. Die beiden gierten am meisten nach dem ersehnten Landgang. Hasard hatte das sehr schnell begriffen, und im nächsten Moment mußten sie feststellen, daß sie bei ihm trotz allem auf Granit bissen.
„Damit es keine Zweifel mehr gibt, Gentlemen“, sagte er hart, „die Anweisungen des Kutschers bleiben unverändert, und seinen weiteren Orders ist strikte Folge zu leisten. Ihr könnt euch eine halbe Stunde an Deck die Füße vertreten. Dann geht es wieder ab in die Koje. Das ist ein Befehl!“
„Himmel, Arsch und Kabelgarn“, knurrte Ed Carberry, „das ist doch zum …“ Er ließ den Rest unausgesprochen, als er den Blick des Seewolfs spürte.
„Wie soll man da gesund werden!“ maulte Luke Morgan. „In dieser verdammten miefigen Kammer wird man doch erst recht rammdösig.“
Nur Old Donegal Daniel O’Flynn hatte begriffen, daß es zu diesem Zeitpunkt besser war, das Maul zu halten.
Carberry und Morgan erfuhren es einen Atemzug später. Die Stimme des Seewolfs war plötzlich wie ein Peitschenhieb.
„Ich wiederhole meinen Befehl nicht. Höre ich noch ein Widerwort, lasse ich euch in der Krankenkammer einschließen. Ab jetzt! Ich warte nicht länger.“
Luke Morgans Augen wurden groß und rund. Nur Old O’Flynns Miene blieb unbewegt, während Ed Carberrys Rammkinn fast bis auf den Brustkasten sackte.
„Aye, aye, Sir“, ächzte er dann, „wir fangen an mit dem Füßevertreten.“
Diesmal lachte keiner, als die drei nach einer Kehrtwendung über die Decksplanken in Richtung Back schlurften. Jeder der Männer wußte, wie bitter es war, sich wieder halbwegs auf dem Damm zu fühlen und trotzdem nicht so zu dürfen, wie man zu können glaubte. Aber jeder einzelne in der Crew war sich auch darüber im klaren, daß der Seewolf nicht anders entscheiden konnte. Den drei Verwundeten ihren Willen zu lassen wäre unverantwortlich gewesen.
Für Hasard war es jetzt an der Zeit, die mit Spannung erwartete Entscheidung zu treffen. Daß es an Bord auch während der Liegezeit im Hafen genug Arbeit gab, war jedem klar. Für die besagte Spannung sorgte nur die Frage, wer zur ersten Gruppe gehörte, die Landurlaub erhielt.
„Smoky!“
„Sir?“ Der Decksälteste trat vor. Smoky war ein breitschultrig gebauter Mann, dessen mächtige Fäuste davon zeugten, wie gut er in der Lage war, notfalls seinen Rang zu verteidigen.
„Folgende Männer gehen unter deiner Führung an Land: Batuti, Mac Pellew, Dan O’Flynn, Piet Straaten, Jan Ranse, Nils Larsen, Bob Grey, Gary Andrews, Jack Finnegan, Paddy Rogers, Blacky, Jeff Bowie und Bill.“
Die, deren Namen gefallen waren, stimmten Jubelgebrüll an. Die anderen zogen lange Gesichter. Abermals sorgte der Seewolf mit einer energischen Handbewegung für Ruhe.
„Smoky, du bist mir dafür verantwortlich, daß es keinen Krawall gibt. Ihr werdet in kein Fettnäpfchen treten und jedem Streit aus dem Weg gehen. Wir sind hier nicht in Plymouth. Ist das klar?“
„Aye, aye, Sir“, entgegnete Smoky grinsend, „wir werden frommer als die frommsten Klosterbrüder sein. Wer sich nicht daran hält, kriegt von mir persönlich eins auf die Nuß.“
„Das will ich hoffen.“ Hasard zwang sich, ernst zu bleiben. „Gibt es trotzdem Ärger, wird der Landgang auch für den Rest der Crew gesperrt. Ich denke, jeder weiß, was das heißt.“
Er brauchte es nicht näher zu erklären. Freundliche Warnungen, die nun unter der Crew ausgetauscht wurden, rückten die Dinge von selbst ins Lot.
In der allgemeinen Wuhling, die jetzt entstand, schoben sich Philip und Hasard ins Blickfeld ihres Vaters. Die beiden Söhne des Seewolfs sahen enttäuscht aus. Auf Philips Schulter thronte Sir John, der karmesinrote Arara-Papagei, der sich eifrig das Gefieder putzte.
„Hast du uns vergessen, Dad?“ fragte Hasard junior etwas erbittert.
Äußerlich ähnelten sich die beiden Jungen wie ein Ei dem anderen. Schlank und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbar gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen. Schon jetzt, in ihren jugendlichen Jahren, ließen sie erkennen, daß